Es ist deine Schuld

302 20 4
                                    

Es ist deine Schuld

Taddls Plan war aufgegangen. Hinter dem Kaufhaus befand sich keine Menschenseele, außer ihnen. Doch die Sicherheit war kein Trost für sie.

Sie hatten Simon verloren.

Aber keinem von ihnen schien das so viel auszumachen, wie Annika, die er immer noch trug. Er hatte ein paar üble Kratzer auf den Armen von ihren langen Fingernägeln, als das Mädchen versucht hatte seinem Griff zu entkommen und Simon wieder in den Fahrstuhl zu ziehen. Auf dem ganzen Weg nach unten hatte geschrien und geweint, doch sobald sich die Türen des Fahrstuhles geöffnet hatten war sie plötzlich still geworden.

„Annika… alles in Ordnung?“

Fragte er vorsichtig und seine beruhigende Bassstimme trieb mit einem leichten Echo über den leeren Parkplatz.

Diese Stimme war es, die Annika plötzlich wieder aufweckte.

„Ob alles in Ordnung ist?“ fauchte sie ihn an mit einem Unterton, der ihn vor Angst zusamen zucken ließ „Lass mich sofort los, du…“

Wieder begann das Mädchen sich zu wehren, doch dieses Mal war der Junge darauf nicht vorbereitet und er konnte sie nicht länger halten. Mit einem dumpfen Schlag landete das Mädchen auf dem Boden, wo sie, am ganzen Oberkörper zitternd, liegen blieb. Es hatte den Anschein, als wären ihre Beine die einer Puppe und nicht die, mit denen jeder andere Mensch geboren worden war. Es jagte Taddl einen Schauder über den Rücken.

Sie lag einfach nur da, die heiße Stirn auf den kalten Stein gelegt und schluchzte leise. So erinnerte sie ihn, erschreckender Weise, an Caty. Aber nicht die alte, gesunde Caty, sondern die, die sich eben erst in den Kopf geschossen hatte.

Traurig.

Kalt.

Kraftlos.

Gebrochen.

Kurz davor aufzugeben.

„Annika… ich…“ Taddl kniete sich neben sie auf die Steine und versuchte ihr die Hand auf die Schulter zu legen, während die Kälte ihm durch den Stoff seiner Hose in den Körper kroch.

„Fass mich nicht an!“

Fauchte sie ihn an und sofort zog der Junge die Hand zurück, als hätte er sich verbrannt.

„Ich habe es Caty versprochen!“ Schluchzte sie, ohne ihren Kopf zu heben.

„Ich habe ihr versprochen, dass ich auf Simon aufpasse! Ich sollte dafür sorgen, dass er in Sicherheit ist! Er ist gestorben, ohne dass ich ihm von Caty sagen konnte, dass sie ihn liebt! Er hätte da oben nicht sterben dürfen!“

Ein Schluchzer, heftiger als die davor schüttelten sie, dann hob sie plötzlich den Kopf und sah Taddl direkt ins Gesicht.

„DU hättest nicht zulassen dürfen, dass er diesen Fahrstuhl verlässt! Ich wäre gegangen! Mein Tod wäre da oben sinnvoller gewesen! Er war nicht bei Verstand! Stattdessen hast DU zugelassen, dass er stirbt! Simons Blut klebt an DEINEN Händen, Taddl und zwar nur an deinen!

Erschrocken machte Taddl einen Schritt von ihr weg. Was hätte er denn tun sollen? Simon war zu weit von ihm entfernt gestanden und plötzlich hatte er Annika auf dem Arm gehabt! Wie hätte er ihn aufhalten sollen?

Selbstzweifel fraßen sich in sein Herz… hätte er es vielleicht doch verhindern können? Hätte er sich selbst aus dem Fahrstuhl drängen sollen, damit Simon überlebte?

Aber man konnte doch nicht ein Leben einfach mit einem anderen aufwiegen!

Außerdem mussten sie weiter, sonst wäre das alles umsonst gewesen…

Annika war mittlerweile wieder in sich zusammen gesackt und wimmerte leise vor sich hin. Das Mädchen würde nicht zulassen, dass er sie ein weiteres Mal trug.

Er schlich so nahe zu seinen beiden Freunden, wie er nur konnte und flüsterte, damit Annika ihn sicher nicht hören konnte.

„Ardy, bitte nimm du sie. Wir müssen weiter, bevor die Untoten dahinter kommen, dass wir einfach hinter dem Haus sind…“

Sein bester Freund nickte langsam und begann, so zärtlich, als würde er einen kleinen Vogel aufheben, nahm er das Mädchen auf den Arm. Eine Sekunde lang befürchtete Taddl Annika würde auch Ardy anfauchen, doch sie ließ es einfach geschehen.

Bis zum letzten Tropfen BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt