Irgendein Haus

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Irgendein Haus

Tag: 15                                                Winkel

Die Kälte kroch ihnen in die Knochen und die Füße schmerzten ihnen vom laufen.

Müde.

Sie alle waren müde.

Wenn sie keine Rast machen würden, dann würden sie bald ihm Stehen einschlafen, das war Taddl klar, doch sie alle hatten Angst vor dem dunklen, dumpfen Schlaf. Nur zu gut konnten sie sich daran erinnern, was bei ihrem letzten, wirklich tiefem Schlaf passiert war.

Zwar schien es Ardy besser zu gehen, seit er eine Aufgabe hatte, doch Taddl kannte seinen besten Freund gut genug, um zu sehen wie ihn diese ganze Sache zerstörte. Er machte sich Sorgen um ihn, doch schwor sich selbst, im stillen, dass er Ardy, Dner und Annika um jeden Preis zum Bodensee bringen würde, in Sicherheit. Auch, wenn er selbst dafür sterben sollte.

Die Sonne begann sich drohend auf den Horizont zu zubewegen, als sein Blick auf ein verdrecktes Ortsschild fiel, das wohl einmal gelb gewesen war. Das Metall war vom Rost zerfressen und es sah aus, als würde es schon eine Weile am Straßenrand in dem wuchernden Gras liegen, doch trotzdem konnte er den Namen des Ortes noch lesen.

Winkel

Merkwürdiger Name für einen Ort.

Man konnte beinahe die Angst und Nervosität der kleinen Gruppe überlebenden sehen, als sie die verlassenen Straßen des kleinen Ortes entlang schlichen, die mit ehemals idyllischen Häuschen gesäumt waren. Allerdings dauerte es nicht lange, bis das Häuserwäldchen sich lichtete und Platz machte für etwas, was einem großen Bauernhauf glich.

Sämtliche leere Grundstücke, die sich um die großen Gebäude herum befanden waren leer und verlassen.

„Wollen wir es dort versuchen, oder lieber in einem der Häuser übernachten?“

Fragend sah Taddl in die Runde seiner Freunde, wo Annika in Ardys Armen gerade blinzelnd aus ihren Halbschlaf erwachte.

„Suchen wir uns ein Haus.“

Murmelte Dner mit einem misstrauischen Blick auf den verlassenen Hof.

„Nach der Sache mit dem Tiergarten traue ich nichts mehr, was mit Tieren zu tun hat!“

Taddl gab ihm Recht. Er selbst hätte vermutlich auch nicht ruhig schlafen können. So suchten sie sich eines der Häuser, in dem sie, halbwegs sicher, die Nacht verbringen konnten und die ganze Zeit glaubte Taddl Annikas kalte, blaue Augen im Nacken zu haben.

„Wir teilen uns auf.“ Schlug Taddl flüsternd vor, als sie in dem Eingangsbereich eines scheinbar leeren Hauses standen. „Erst müssen wir sicher sein, dass das Haus wirklich leer ist, dann gönnen wir uns alle eine ordentliche Mütze Schlaf. Ardy und Annika, ihr könnt nach oben gehen. Dner, du schaust im Keller nach und ich selbst durchsuche diese Etage.“

So teilten sie sich auf.

Taddl

Er wartete, bis Dner im Keller verschwunden war und Ardy, zusammen mit Annika auf der Treppe nach oben stand. Plötzlich ließ ein leises Scheppern ihn zusammenzucken. Da war etwas… nur einen Raum von ihm entfernt.

Taddls Herz begann vor Angst schneller zu schlagen, als er sich Schritt für Schritt auf die dünne Tür zu kämpfte. Wenn hier drin ein Untoter war, dann musste er ihn erledigen!

„Wie denn, du Idiot? Du hast ja noch nicht einmal eine Waffe! Annikas Messer ist, zusammen mit ihrem Rollstuhl, im Einkaufszentrum geblieben! So sehr du Ardy und Dner beschützen willst, es wird nichts helfen, wenn du selbst dabei ins offene Messer rennst!“

Ardy

Mit Annika auf dem Arm schlich er die ausgetretenen Stufen der Treppe hinauf. Hier musste einmal eine Familie gelebt haben. Bevor sich die Welt in eine Hölle verwandelt hatte.

„Denkst du sie waren glücklich?“

Fragte der Junge leise, als er ein kleines, rosanes Top über dem Geländer hängen sah.

„Vielleicht.“ Gab Annika zurück und ihre blauen Augen wanderten zu dem winzigen Kleiderstück. „Aber nicht alle Familien können glücklich sein.“

„Es hilft, wenn ich mir vorstelle es wäre so. Jede andere Vorstellung…“ Ardy schluckte schwer und wandte seinen Blick von dem rosanen Stück Stoff ab. „… die Vorstellung ein schreckliches Leben gehabt zu haben, mit Todesangst zu sterben und dann nicht einmal wirklich tot zu sein…“

„Wenn man nichts an seiner Lage ändert, dann ist man selbst schuld. Es gibt Dinge im Leben, an denen man nichts ändern kann, doch genauso gibt es genug Dinge, die man selbst in der Hand hat. Das, was du ‚unglücklich‘ nennst ist ein Zustand, den man ändern kann.“

Nach und nach lugte Ardy in jeden Raum des zweiten Stockwerkes. Ein Bad, ein Schlafzimmer, zwei Kinderzimmer. Keine Untoten.

Seufzend ließ er die bunten Zimmer voller Poster und Plüschtiere hinter sich, betrat das Schlafzimmer und legte Annika auf das große Bett.

So gut es sich auch anfühlte sie zu tragen, seine Arme und sein Rücken brachte ihn um.

Es half ihm irgendwie eine Aufgabe zu haben und beschäftigt zu sein. Er fühlte sich nicht mehr so verloren.

„Danke.“

Auch wenn Annikas Stimme ruhig und gedämpft war schreckte Ardy aus seinen Gedanken auf.

„Wofür?“

„Ohne dich wäre ich verloren gewesen… Ich hasse es nicht laufen zu können, aber ohne meinen Rollstuhl… bin ich nur unnötiger Ballast. Ein Torso mit Armen, der reden kann. Mehr bin ich ohne Beine nicht.“

„Was redest du da?“ Ardy setzte sich neben das Mädchen aufs Bett und starrte sie ungläubig an. „Das denkst du von dir? Annika, das stimmt nicht! Nur, weil du deine Beine nicht bewegen kannst bist du nicht weniger Wert, als andere!“

„Du warst ein Star, Ardy. Hast du dich jemals so gefühlt, als würde dich jeder hassen, als würde es für dich keinen Platz auf der Welt geben? Hat dir jemals jemand das Gefühl gegeben, dass du einfach nur unerwünscht bist und dein ganzes Leben einfach nur überflüssig und ungewollt?“

Bis zum letzten Tropfen BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt