Eine kleine Pause

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Machen wir hier eine kleine Pause. Machen wir einfach eine kleine Pause und lasst mich eine andere erzählen. Die Geschichte von einem Mädchen, das nie irgendwo wirklich erwünscht war.

Ihr Leben begann, eingewickelt in einer Plastiktüte in einem Abfalleimer. Das war das erste, was sie von sich wusste. Nie hatte sie ihren Geburtstag gefeiert, weil das der Tag gewesen war an dem man sie als Säugling aus einem Abfalleimer gefischt hatte.

Weggeworfen, wie Abfall, weil ihre Beine nicht funktionierten. Dabei war es nur ein simpler Defekt in ihrem Rückenmark. Mehr nicht. Nur leider vermochte kein Arzt dieser Welt das zu heilen.

So zog sie im Rollstuhl von Heim zu Heim und, als sich herausstellte, dass sie hochbegabt war, von Pflegefamilie zu Pflegefamilie. Sie alle hatten nur eines gewollt. Jede einzelne von ihnen wollte die Familie sein, das das arme, behinderte, hochbegabte Kind großzog und später die Lorbeeren dafür einsammeln.

Das hatten sie alle gewollt, doch am Ende hatten sie sich einen Dreck für das Mädchen an sich interessiert. Sie alle wollten nur die Eltern eines Genies werden, doch im Alter von 14 Jahren war sie zu dem Entschluss gekommen, dass sie auch ohne Familie ein Genie sein konnte.

So begann ihr Leben alleine.

Niemals hatte sie ein Problem mit Geld. Ihr einziges Problem waren ihre Beine. Wenn sie Medikamente gegen fast alles entwickeln konnte, warum dann nicht auch gegen ihre Lähmung?

Allerdings war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie in einer Sackgasse gelandet war. So kurz vor dem Ziel. Ihr fehlte nur ein Antikörper. Ein einziger. Alles hatte sie versucht, um ihn synthetisch herzustellen, doch es hatte nichts funktioniert.

So war sie also zu dem Entschluss gekommen den Virus in seine aggressivste Form zu bringen und es, anstatt mir Ratten und Mäusen, mit echten Menschen zu versuchen. Warum sie YouTuber gewählt hatte wusste das Mädchen selbst nicht. Vielleicht weil sie es ihnen nachtrug, das ihr Leben so widerlich glücklich und perfekt war?

Also hatte sie sich Judie bei Seite genommen, ihr etwas gedroht und sie nach Köln geschickt. Dort hatte sie Taddl mit dem Papier infiziert, an dem er sich geschnitten hatte. Dner und Simon hatten den Virus direkt eingeatmet, als sie den Umschlag mit dem gefälschten Fanbrief geöffnet hatten. Tc und Andre hatte sie etwas in die Drinks gemischt. Bergi hatte sie den Virus mit der Salbe in den Blutkreislauf gebracht. Bei Ardy war es der Kuli gewesen, an dem er sich geschnitten hatte und Iblali hatte sie es gespritzt.

Judie hatte wohl auf irgendeine Art versucht die YouTuber zu warnen, anders konnte das Mädchen es sich nicht erklären, dass in der Tasche von Taddls Jacke ein kleiner Zettel mit ihrer Handynummer gelegen hatte.

Annika selbst hatte es Steve und Rick das Virus gespritzt, wobei Rick die Dosis offensichtlich nicht vertragen hatte. Später hatte sie es Flo verabreicht.

Für Frodo und GLP hatte sie jemanden engagiert.

Diese Personen hatten alle den inaktiven Virus in sich getragen. In der Theorie hätten sie darauf Antikörper entwickeln müssen, doch offensichtlich hatte niemand das getan. Sie alle waren nur Überträger gewesen.

Flo hatte seine Freundin selbst infiziert, sowie Simon Caty selbst infiziert hatte. Wahrscheinlich durch einen Kuss.

So war Judie zurück nach Berlin gegangen und Annika hatte sich nach Köln abgeseilt. Ihr Plan war es gewesen die YouTuber in ihrer Wohnung abzupassen, nach Hilfe zu rufen und dabei bitterlich zu weinen, oder so.

Dass sie in diesem Laden festgesessen hatte war Pech gewesen und dann war Simon hinein geschneit gekommen.

In diesem Moment, als sie in diesem Laden lag, mit der Scherbe in der Schulter hatte sie, zum ersten Mal in ihrem Leben, nicht gelogen. Sie hatte zum ersten Mal die pure Wahrheit gesagt, als sie Simon bat einfach zu verschwinden, doch er hatte sie gerettet.

Noch nie zuvor hatte sie in ihrem Leben jemand kenngelernt, der ihr gegenüber nett gewesen war, ohne etwas von ihr zu verlangen, ohne einen persönlichen Vorteil darin zu haben.

Simon war der einzige Mensch gewesen, der für sie je in die Nähe von dem gekommen war, was andere einen Freund genannt hätten.

Simon war der einzige gewesen, um den sie wirkliche, echt Tränen vergossen hatte.

Dessen Tod sie noch in ihre Träume verfolgte.

Ironisch, dass sie mit tausenden Toden auf dem Gewissen ruhig schlafen konnte, aber dieser eine nagte an ihrer abgestumpften Seele.

Jetzt war sie also hier.

Zurück in ihrem Haus. In ihrem zu Hause und die letzte Hoffnung auf Heilung war Taddl. Er musste es einfach sein. Egal wie sehr sie ihn dafür hasste, dass er Simon damals nicht zurückgehalten hatte und an seiner Stelle nicht den Fahrstuhl verlassen hatte.

Wenn Taddl keine Antikörper gebildet hatte war alles umsonst gewesen.

Bis zum letzten Tropfen BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt