Judie und Clementine

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Judie und Clementine

Köln Tag: -4

Wenn man die richtigen Straßen kannte war Köln nachts zum longboarden ein Traum. Simon hatte darauf bestanden Herr Bergmann das Longboardfahren beizubringen. Ardy und Victor waren mitgekommen und kicherten jedes Mal, wenn Bergi das Gleichgewicht nicht mehr halten konnte. "Macht euch nicht über mich lustig!" lachte er "Wie habt ihr euch denn angestellt, als ihr das erste Mal draufstandet?" "Sei nicht traurig. Wenn Paluten das nächste Mal wieder mitkommt lachst du genau so!" Herr Bergmann hielt sich an einer kleinen Mauer fest, um nicht wegzurollen, doch er zog die Hand mit einem überraschten Aufschrei schnell wieder weg. "Verdammt!" fluchte er und betrachtete unglücklich das Blut auf seiner Hand. "Da lag ne Glasscherbe!" Das Geräusch von weiteren Longboardrädern auf Asphalt ließ Simon den Kopf heben. Kamen Taddl und Dner doch noch nach? Aber er hatte sich zu früh gefreut. Es waren 2 Mädchen, die lachend um die Ecke fuhren. Eine von ihnen hatte lange, blau gefärbte Haare, die zu einem lockeren Dutt hochgebunden waren und war etwa 15 Jahre alt. Die zweite hatte lange, offene, braune Haare und wirkte älter. 24? Simon konnte sich nicht helfen, aber sie kam ihm irgendwie verdammt bekannt vor. Die ältere von ihnen drehte den Kopf in ihre Richtung und sofort verschwand das Lächeln von ihren Lippen. Auch wenn seine Kumpel die beiden noch nicht einmal bemerkt hatten konnte Simon an dem Ausdruck in ihren brauenen Augen erkennen, dass sie am liebsten sofort umgedreht wäre. Bildete er sich das ein, oder konnte er Schuld in ihren Augen erkennen? "Oh mein Gott! Sind das etwa..." die jüngere von beiden sog scharf die Luft ein uns sprang von ihrem Longboard. "Clem, warte..." Versuchte das andere Mädchen sie noch zu bremsen, doch jetzt hatte Clem sie gesehen und für das Fangirl in ihr gab es keinen Halt mehr. "U-ungespielt und Ardy... i-iblali... Oh. Mein. Gott! Herr Bergmann!" Mit aller Kraft versuchte sie normal zu atmen und fragte dann etwas ruhiger. "Könnte ich ein Autogramm und ein Foto haben?" "Klar." antwortete Ardy und Bergi stieg erleichtert von Simons zweitem Longboard. Er selbst nickte nur, doch konnte den Blick nicht von dem zweiten Mädchen lösen. Als sie seinen Blick bemerkte schien schnell ein Lächeln auf ihrem Gesicht. "Judie, nun komm schon!" rief Clem "Hast du einen Kuli dabei? Bitte sag, dass du irgendwas zum Schreiben dabei hast!" "Ja, hab ich. Warte kurz." Judie kramte in ihrem Rucksack herum und gab ihr einen kleinen, silbernen Kuli. Während Clem Autogramme sammelte, mit einem schimmern in den Augen, als wäre sie im 7. Himmel, hatte Judie eine Unterhaltung mit Victor und Bergi angefangen. "Ist Taddl nicht bei euch?" fragte Clem mit großen Augen. "Nein, ihm geht es nicht so gut. Hat sich wohl ne Grippe eingefangen..." Erschrocken sah sie Ardy an und schob und schob sich abwesend eine ihrer blauen Strähnen hinters Ohr. "Hoffentlich geht es ihm bis zum Videoday besser! Ich freue mich seit Monaten auf euren Auftritt!" Ardy lachte "Dafür hievt er sich bestimmt aus dem Bett! Wieso bist du jetzt schon hier? Der Videoday ist doch erst in 4 Tagen..." "Ich durfte für eine Woche zu meiner großen Schwester, Judie. Sie studiert hier." Ardy nahm den Stift entgegen und verewigte seine Unterschrift in ihrem kleinen Buch. Simon tat das Selbe. "Brudi, ich bin so phänomenal dumm! Wer schafft es bitte sich an einem Stift zu verletzten?" Verwirrt sah er auf Ardys Daumen, wo sich ein schimmernder Tropfen Blut sammelte.

"Longboardfahren ist echt super, wenn man es mal kann!" Judie grinste frech und Victor musste lachen. "Wo sie Recht hat, hat sie Recht." "Das glaub ich euch ja auch, aber um ehrlich zu sein ist mir die Lust vergangen, als ich mich an dieser verfluchten Scherbe geschnitten habe!" Herr Bergmann zeigte ihr den Schnitt, der quer über seinen Handteller verlief. "Uuuuuuuh... Der sieht mies aus! Den solltest du desinfizieren und verpflastern! Hoffentlich kannst du dann noch Happy Wheels aufnehmen!" Sie lächelte ihn an. Judie war also auch ein Fan. "Wenn du willst kann ich mich erstmal um den Schnitt kümmern, damit ihr nicht gleich nachhause müsst. Fragt mich nicht, wieso ich eine halbe Apotheke dabei habe... ich mache mir ziemlich Sorgen um meine kleine Schwester." Er stimmte zu und sie begann sofort in ihrem Rucksack zu herumzuwühlen. "Warum machst du dir solche Sorgen um sie? So klein ist sie schließlich nicht mehr..." Bergi drehte seinen Kopf und musterte Clem. Sie sah mit leuchtend grünen Augen zu Simon auf, ihr Longboard unter dem Arm. 15 Jahre musste sie mindestens schon alt sein und so hilflos sah sie auch nicht aus. "Clementine (bitte englisch aussprechen) ist die Letzte, die ich noch habe. Achtung, das könnte jetzt etwas brennen..." Judie strich etwas Salbe über den langen Schnitt und Herr Bergmann biss die Zähne aufeinander, doch konnte nicht verhindern, dass er wegen dem Schmerz scharf die Luft einsog. "Ich will dir nicht zu nahe treten, aber..." Victor zögerte, bevor er die Frage aussprach. "Was ist mit deinen Eltern... oder dem Rest deiner Familie..." "Sie wollten uns nicht. Als Clementine geboren wurde haben sie uns im Urlaub einfach in irgendeinem Cafe abgesetzt und sind dann untergetaucht. Ich habe meine ganze Kindheit in einem Waisenhaus verbracht - Clem hatte das Glück eine Familie zu finden. Wir haben trotzdem viel Zeit miteinander verbracht. Sie ist nicht einfach nur meine kleine Schwester. Sie ist meine Familie, die Person, die mir das Gefühl gibt, das mich jemand vermissen würde, wenn ich plötzlich weg wäre... oder es auch nur bemerken würde." Hastig schüttelte Judie den Kopf. "Das war sicher zu viel Information... Eigentlich erzähle ich meine Lebensgeschichte nicht jedem, den ich auf der Straße treffe... aber ich habe das Gefühl euch zu kennen..." Ein merkwürdiger Ausdruck huschte über ihre braunen Augen, die konzentriert auf Bergis Verletzung lagen. "W-wow... ich weiß nicht, was ich sagen soll..." Plötzlich lächelte sie wieder. "Du musst auch nichts sagen." Mit schnellen Handgriffen knotete sie den Verband um seine Hand. "Ich studiere trotz allem Medizin und wohne in Köln. Besser geht es doch nicht." Zufrieden machte sie einen Schritt zurück und rief ihre kleine Schwester. "Clem, komm schon! Wir wollten doch noch was essen!" Bettelnd sah das Mädchen zu Judie, doch ihre große Schwester ließ sich durch keinen Hundeblick beeinflussen. "Du kannst sie aber auch nicht die ganze Nacht aufhalten. Komm schon, du siehst sie alle ja am Videoday wieder!" Schmollend verabschiedete Clementine sich. Herr Bergmann würde nicht behaupten, dass sie sie aufhielten und doch war er sich nicht sicher, was er von Judie halten sollte. Da war etwas in ihren Augen, was ihn verunsicherte... Noch bevor er reagieren konnte stolperte sie, direkt neben ihm. Victors Reflexe waren um einiges schneller und so fing er Judie auf, bevor die auf dem harten Asphalt landete. Kurz zuckte seine Rechte Hand, als würde ihn ein kleines Insekt stechen, aber dann richtete das Mädchen sich schon verlegen auf. "Danke..." Judie vermied es Victor in die Augen zu sehen, nahm ihre kleine Schwester, stieg auf ihr Longboard und verschwand dann in der Dunkelheit einer angrenzenden Straße.

Bis zum letzten Tropfen BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt