Eine schlaflose Nacht

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Eine schlaflose Nacht

Köln                                    Tag: 6

Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Entspannen. Ausatmen. Einatmen. Funktionierte so nicht das Einschlafen? Izzi hatte es vergessen. Von draußen drang ein langgezogener Schrei in die Wohnung und sofort saß er wieder aufrecht da, seine Hände zitterten, wie das Letzte Laubblatt im Herbstwind. Er lag auf der Couch in Simons Aufnahmezimmer. Seit diesem Tag konnte er einfach nicht mehr schlafen. Immer wieder war da dieses Bild, wenn er die Augen schloss. Der abgetrennte Kopf... Die Leiche... Immer noch zitternd rappelte er sich auf und schlich vorsichtig ins Bad. Dabei bemerkte er, dass im Wohnzimmer noch Licht brannte und ein leises Knistern durch die geschlossene Tür sickerte. Mit einem leichten Subs öffnete sich die Tür um ein paar Zentimeter und Izzi konnte Annika erkennen, wie sie in ihrem Rollstuhl saß. Erschrocken drehte sie sich um. "Oh, Izzi... Hab ich dich geweckt?" fragte sie mit angenehm gedämpfter Stimme. Caty hatte ihr einen ihrer Schlafanzüge gegeben, doch der war dem zierlichen Mädchen etwas zu groß. "Nein, ich kann sowieso nicht schlafen." "Darf ich wissen, was es bei dir war?" Überrascht blinzelte Izzi. "Ich hätte nicht gedacht, dass dich das interessiert..." "Ich weiß, dass ich mich ziemlich blöd verhalten habe, seit ich hier bin. Ich.. ich wollte mich dafür entschuldigen. Bis jetzt habe ich nur keine guten Erfahrungen gemacht, mit Leuten, die mir helfen wollten... oder eher so getan, als ob." Izzi schloss die Tür hinter sich. "Ist schon in Ordnung. Momentan ist doch alles so falsch und... schrecklich verdreht... Deine Geschichte gegen meine?" Annika fuhr mit ihrem Rollstuhl neben die Couch, wobei sie bei jeder Bewegung, die sie mit ihrem linken Arm machte leicht zusammen zuckte. "Ich bin wegen dem Videoday von hier nach Köln gekommen. Am Flughafen habe ich sogar Frodo und LeFloid getroffen... Ich dachte das würde eine der besten Wochen meines Lebens werden. Allerdings kam ich zu dem ersten Tag etwas zu spät und da war die Lanxess-Arena schon dicht. Also hab ich irgendwie versucht mir einen schönen Tag in Köln zu machen, dann wurde der Flughafen gesperrt. Einen Tag, bevor ich abreisen wollte. Schließlich hatte ich kein Geld mehr und wurde aus dem Hotel geworfen. Es ist nicht unbedingt leicht sich ohne ein Dach über dem Kopf in Köln aufzuhalten" Sie schluckte, als müsste sie sich ein Schluchzen verkneifen. "I-ich war an einem U-Bahn Bahnhof. Selbst die Nacht war noch so unglaublich heiß und stickig, dass ich mich irgendwo verkrochen habe. E-es war die Nacht vor 4 Tagen. Als die Sonne unter ging war die Welt noch in Ordnung. Ich war in meinem Rollstuhl schon halb eingenickt, als ich die Stimmen von ein paar Jungs hörte. Außer uns war die komplette U-Bahnhaltestelle leer und verlassen. Sie schienen alle leicht angetrunken zu sein und ich wurde nicht schnell genug wach, um an den drei vorbei noch raus zu kommen. Sie alle drei waren etwa Mitte zwanzig, vermutlich direkt von einer Party. Ich hörte, wie sie leise kicherten und dann versperrten sie mir den Weg. "Wo willst du denn hin, süße?" Hat der eine gefragt und schmierig angelächelt. Ich sagte sie sollen mich vorbei lassen..." Annikas rechte Hand begann zu zittern und Izzi sah, wie sich Tränen in ihren Augenwinkeln sammelten. "Einer hielt meinen Rollstuhl fest und die anderen beiden..." Sie schluckte und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, um die Tränen wegzuwischen. "Das Schlimmste ist nicht passiert, aber das war das Erste Mal in meinem Leben, dass ich froh war unterhalb meiner Hüfte nichts mehr spüren zu können... Von einer Sekunde auf die andere brach einer der Typen plötzlich über mir zusammen. Blut lief aus seinen Ohren, seiner Nase, seinen Augen und er spuckte einen Mund voll direkt auf mich. Er... er ist gestorben, aber wieder aufgestanden. Er ist einfach aufgestanden, mit dem ganzen Blut auf dem Gesicht, hat sich auf einen seiner Kumpel gestürzt und ihm einfach die Hauptschlagader durchgebissen. Ich bin so schnell verschwunden, wie ich konnte und... seit dem war ich in dem Laden, bis Simon kam... den Rest kennst du ja." Izzi war überrascht von so viel Ehrlichkeit. Tränen glitzerten auf Annikas Wangen, die sie hastig wegwischte. "Verdammt und schon heule ich wieder... Wie ich das hasse..." Izzi lehnte sich vor und legte ihr mitfühlend den Arm auf die Schulter. Das Mädchen fuhr unter seiner Berührung erschrocken zusammen, aber dann traf der Blick seiner Augen ihre und Annika entspannte sich etwas. "Glaub mir, du bist nicht die Einzige. Die erste Nacht nachdem..." Izzi zögerte. "Ich weiß bis heute noch nicht, ob ich Simon und Caty mit meinem Geschluchzte nicht die ganze Nacht wach gehalten habe. Annika lächelte traurig. "Warum tut ihr das?" "Was meinst du?" 'Warum seid ihr so nett? Warum helft ihr mir? Nicht viele Leute, die ich bis jetzt getroffen habe waren so ehrlich..." "Dann bist du bis jetzt aber nur Arschlöchern begegnet. Ganz ehrlich, warum sollte ich dir auch nicht helfen? Du hast Simon doch auch geholfen!" "Aber ich kannte ihn auch... irgendwie... und dich und Ardy und Dn... äh Felix." Verlegen rang sie mit ihren Händen. Ein Fangirl. Izzi konnte nicht anders. Er musste grinsen. "Hey, das ist nicht lustig!" Sie schubste Izzi freundschaftlich, woraufhin er wirklich anfing zu lachen. "Doch! Irgendwie schon!" prustete er und Annika fiel in das Gelächter mit ein. Es war das Erste Mal seit 4 Tagen, dass im YouTuberHaus jemand lachte.

Bis zum letzten Tropfen BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt