„Warum?"

310 20 1
                                    

„Warum?“

Tag: 20                   Bodensee

Es roch steril, als Taddl aufwachte. Nach Krankenhaus, nach Labor. Irgendwie nach beidem. Das erste, was er tun wollte war sich an den schmerzenden Kopf zu fassen, doch seine Hände verweigerten ihm den Dienst.

Erschrocken schlug er die Augen auf, wollte sich umsehen, doch kein einziger seiner Muskeln wollte sich bewegen.

„Na, Dornröschen? Schon wach?“

Annika zog eine sterile Spritze aus einer der unzähligen Schublade und nahm Taddl Blut ab. Es würde nur das erste von hunderten Malen sein.

Abschätzend betrachtete sie die rote Flüssigkeit in der Spritze, tropfte etwas davon auf einen Objektträger und legte die restliche Spritze an die rechte Seite des Tisches.

„Annika?“

Sie hob den Kopf und wendete sich zu Taddl um.

„Warum?“

Gekonnt lenkte das Mädchen ihren Rollstuhl an das Bett auf dem der junge Mann lag, angeschlossen an einen Tropf mit Betäubungsmittel.

„Warum was?“

Fragte sie mir einem spöttischen Unterton.

„Warum ich das getan habe? Warum ich Floid getötet habe? Warum ich einen Virus entwickelt habe, der Europa in einen Horrorfilm verwandelt hat und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis Asien folgen wird? Und vielleicht auch Afrika? Warum ich dich unter Drogen gesetzt habe, dich bewegungsunfähig mache und dein Blut untersuche?

Ich will dir etwas erklären, Taddl. Der Virus, den du da draußen gesehen hast kann, in seiner reinsten Form, die die du in dir trägst, durch die Luft übertragen werden. In der unreinen Form nur noch durch Bisse, aber dafür wirkt er schneller. Er setzt sich in dein Rückenmark, greift es an und dringt schließlich in das Gehirn ein. Ich mache mir keine Sorgen um mich, weil ich einen experimentellen Impfstoff im Blut habe, der die Viren allerdings nur am eindringen der Krankheit in meinen Organismus hindert. Es sind die falschen Antikörper. Die Antikörper, die ich will wehren nicht ab, sondern reparieren. Das ist es, was ich will, Taddl und ich glaube dein Blut hat diese Antikörper.“

Annika wandte sich gerade wieder von ihm ab, als der junge Mann seine Frage über die Lippen brachte.

„Wäre die  bessere Frage nicht, warum du so ein grausamer Mensch bist?“

Die einzige Antwort, die Annika jedoch  gab war ein Schauben, als sie zurück zu ihrem Labortisch rollte, irritiert dort hin sah, wo eben noch ein Objektträger mit einem Tropfen Blut gelegen hatte, schüttelte dann den Kopf, nahm die noch volle Spritze von der linken Seite des Tisches und bereitete einen weiteren Objektträger vor.

Tag: 25                Bodensee

Auch wenn die Nacht sich schon längst über das Land gelegt hatte saß Annika noch immer in ihrem Labor und starrte auf die durchsichtige Lösung in einer Spritze. Alles hatte sie versucht, wirklich alles, doch sie hatte keinen einzigen Antikörper in Taddls Blut nachweisen können… zumindest nicht direkt, obwohl einige Tests auf irgendeine merkwürdige, unerklärliche Art positiv zu sein schienen. Manchmal wiedersprachen sich die Ergebnisse der Test, sogar komplett!

Doch in der Theorie sollte in dieser Lösung der Antivirus sein, der das Potential hatte ihre Lähmung zu heilen.

Wie lange starrte sie diese Lösung jetzt schon an und versuchte zu entscheiden, ob sie es sich injizieren sollte, oder nicht. Was hatte sie schon zu verlieren? Nicht mehr, als ihr Leben.

So streckte Annika den Arm aus, setzte die Nadel an und stach zu.

Tag: 26

Annika erwachte, als die Sonne durch eines der großen Fenster auf ihr Bett fiel. Wie jeden Morgen, wenn sie sich keinen Wecken stellte.

Die Welt stand am Abgrund, war verlassen. Zeit spielte keine Rollte mehr und dementsprechend kümmerte Annika sich um keine einzige der Uhren in ihrer Villa.

So lag das Mädchen also da, in ihrem riesigen Bett, in das sie sich jeden Abend aufs neue ohne Hilfe hineinhieven musste, und blinzelte ohne jede Eile ins Sonnenlicht, streckte sich…

Eine Bewegung, die sie sonst noch nie getan hatte ließ sie zusammenzucken.

Irritiert streckte Annika sich ein weiteres Mal und… tatsächlich.

Eines ihrer Beine hatte sich bewegt!

Schneller, als je zuvor schälte sie sich aus dem Bett, kletterte nur mit Hilfe ihrer Arme in ihren Rollstuhl und fuhr sofort zu der erstbesten Stelle, wo etwas stand, an dem sie sich festhalten konnte, ohne dass es ihrem Gewicht nachgab.

Diesen Dienst erwies dem zierlichen Mädchen schließlich eine Kommode aus hellem Eichenholz, an dessen Kante sie sich festkrallte und langsam begann sich aus dem Rollstuhl zu heben.

Normalerweise zog Annika dabei ihre Füße nach, als wären sie nicht mehr, als ein zu langer Ärmel, doch jetzt setzte sie beide Fußsohlen auf den Boden, spürte das glatte Holz darunter und begann vorsichtig ihre Beine durchzudrücken, bis sie halbwegs aufrecht stand.

Diese Position konnte Annika zwar nur für den Bruchteil einer Sekunde halten, bevor sie in sich zusammen fiel, doch dieser kleine, flüchtige Augenblick hatte ihr genügt, um eine Bestätigung zu haben.

Sie hatte es geschafft. Es hatte gewirkt, trotz der Tatsache, dass manche Testergebnisse sich selbst wiedersprachen!

Noch bevor sie sich wieder in ihren Rollstuhl setzen konnte erfüllte, von einer Sekunde auf die andere, ein Lachen die Villa. Jedoch war es kein normales, glückliches Lachen, sonder in diesem Kichern lag etwas ab normales, hysterisches, das jedem Menschen, der es hörte einen eisigen Schauer über den Rücken jagte.

Bis zum letzten Tropfen BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt