Teil 25

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Erdem

Nachdem Mine ins Badezimmer gegangen war, lag ich noch eine Weile im Bett und dachte über alles nach. Das es ihr auch gefallen hatte, war mir bewusst. Vielleicht erinnerte sich ihr Verstand nicht mehr an mich, aber ihr Körper tat es. Plötzlich wurde ich von meinem klingelnden Handy aus den Gedanken gerissen, stand auf und lief zu meiner Hose, um mein Handy aus der Hosentasche rauszuholen. Pelin rief an.
"Hallo?"
"Schatz, wo bist du? Eren geht es wieder schlecht.", sprach sie sofort hektisch ins Telefon und ich versprach ihr, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Also zog ich mir wieder meinen Oberteil an, richtete meine Haare, trug meine Accesoirs auf und gerade als ich auch in meine Hose schlüpfte, kam Mine wieder in ihr Zimmer rein.
Es tat mir leid, dass ich sie jetzt im Stich lassen musste und ich wusste auch, dass sie sich dadurch wie eine Hure fühlen würde. Aber im Endeffekt ging mein Sohn vor. Somit hatte ich nicht einmal eine andere Möglichkeit als sie zu verlassen. Noch einmal berührten sich unsere Lippen, unsere Blicke kreuzten sich und auf dem schnellsten Weg begab ich mich aus ihrer Wohnung zu meinem Wagen, um endlich nach Hause zu fahren. Es war sowieso schon recht spät.

Zuhause angekommen beeilte ich mich in das Zimmer meines Sohnes und wurde Zeuge, wie er sich übergab und völlig elend zu seiner Mutter blickte. Sie wisch mit einem Tuch über seine Lippen und ich kniete mich zu ihm, vor das Bett, strich ihm durch die Haare und merkte schnell, dass er hohes Fieber hatte.
"Hast du ihn schon kalt geduscht?"
"Nein, noch nicht. Es ist auch erst vor einer halben Stunde passiert. Von jetzt auf gleich.", erwiderte Pelin und sofort hob ich meinen Engel in meine Arme, um ihn ins Badezimmer zu tragen und ihn kalt zu duschen. "Baba, özür dilerim." (Papa, es tut mir leid.), entschuldigte er sich unter Tränen. "Oglum, du musst dich nicht entschuldigen. Du kannst nichts dafür."
Die nächste halbe Stunde verbrachten meine Frau und ich damit das Fieber wenigstens etwas zu lindern, aber es half nichts. So beschlossen wir kurzerhand in die Klinik der Stadt zu fahren. Ich war völlig aufgebracht und die Ärzte wussten nicht einmal, woran das liegen konnte. Schon seit längerem gaben sie uns keine klare Diagnose. Seine ständige Krankheit hinderte ihn auch daran, dass er eine normale Kindheit durchleben konnte. Oft fehlte er im Kindergarten und in den letzten Tagen wurde es immer schlimmer. "Ich kann nicht leben, wenn ihm etwas passiert.", ging ich mir durch die Haare, als ich vor dem Krankenzimmer wartete. Pelin umarmte mich fest und lehnte ihren Kopf an meine Schulter. Ich war ihr wirklich für alles sehr verbunden. Wenn sie nicht in mein Leben getreten wär, wüsste ich nicht, was ich heute getan hätte. So gebrochen fühlte ich mich, einsam und voller Zorn. Ich war wütend auf Mine, wütend auf alles, was zwischen ihr und mir vorgefallen war.

Bis zum Morgengrauen warteten wir im Krankenhaus und ich war Gott dankbar dafür, dass es Eren zum Glück besser ging. Auch wenn ich in ein und halb Stunden auf der Arbeit sein musste, fuhren wir zu dritt nach Hause und ich legte mich neben meinem Sohn schlafen. Er war wirklich das aller Wichtigste in meinem Leben. Ohne ihn wäre ich heute nicht der Mann, der ich war. Erst durch ihn hatte ich wirklich Verantwortung übernommen und alles daran gesetzt, ein wirklich guter Vater zu werden.
Ein paar Stunden später wurde ich von Pelin geweckt. "Erdem, geh auf die Arbeit. Ihm geht es wieder besser."
Hätte ich nicht einen wichtigen Auftrag zu erfüllen, wäre ich auch geblieben, aber so hatte sie recht. Folglich stand ich auf und machte mich für die Arbeit fertig. Bereits drei Stunden war ich zu spät.

Als ich dort ankam waren es sogar drei Stunden und 45 Minuten. Sogleich begab ich mich in mein Office und erarbeitete diese Papiere für den kommenden Samstag, recherchierte im Internet und führte eine Liste auf.
TOP 10 der besten Expansionsorte im Ausland. Auch die Vor- und Nachteile und die zur zeitige wirtschaftliche Lage. Auch die Akten die mir Mine gebracht hatte, waren erledigt und eine halbe Stunde vor der Mittagspause lief ich in das Zimmer meines Chefs und überreichte ihm meine Arbeit. Er warf einen Blick drauf, kontrollierte alles im Schnelldurchgang und war begeistert. "Sehr schön, Herr Gül. Ich wusste es doch, dass ich mich immer auf Sie verlassen kann."
"Kein Problem. Wenn das alles wäre, würde ich nun gerne nach Hause. Meinem Sohn geht es schlecht. Wir waren die komplette Nacht in der Klinik.", berichtete ich ihm von gestern und da er Eren wirklich sehr mochte, bejahte er eifrig und wünschte ihm gute Genesung.
"Danke." Mit diesen Worten stolzierte ich wieder in mein Büro und sah gerade als ich an Mines vorbei lief, wie Cihan Mines Zimmer verließ.
"Oh, hallo Erdem. Wie geht es dir?"
"Wie immer, ganz gut. Wie geht es dir?", forschte ich monoton nach und hielt seinem prüfenden Blick stand. Er war schon immer eifersüchtig auf mich. Immerhin wusste jeder, dass ich in dieser Firma eine hohe Position hatte. Aber sein spitzbübisches Grinsen, ließ es nicht einmal zu, dass ich ihn für ganz aufnahm.
"Auch gut. Meld dich, lass uns wieder mal etwas trinken gehen.", zwinkerte er keck und nachdem ich zugestimmt hatte, lief ich weiter in mein Zimmer. Es war mir in diesem Moment scheiß egal, was er mit Mine besprochen hatte. Umso mehr ich an Eren dachte und mir Sorgen über ihn machte, umso mehr hasste ich auf einer absurden Art und Weise meine Ex. Was hatte sie damit zu tun? Was konnte sie für die Krankheit meines Sohnes? Im Grunde nichts.

Schnell räumte ich mein Office etwas auf, blickte zu den Pflanzen und entschied meiner Sekretärin bei nächster Gelegenheit aufrichtig zu danken. Sie kümmerte sich schließlich ausgezeichnet um die Grünpflanzen. Mir fehlte oft die Zeit dazu oder ich vergaß sie komplett. Nachdem ich fertig war, nahm ich meine Aktentasche und ein paar weitere Dokumente, die ich von Zuhause aus bearbeiten wollte. Kleine Fehler befanden sich noch drin, was zwar nicht schlimm war, aber korrigiert natürlich besser aussah. Wo jetzt alles erledigt war, verließ ich mein Büro und lief zu den Aufzügen und gerade als ich einstieg, stieg auch Mine ein und schaute mir gefühlvoll in die Augen. Etwas Verunsicherung verbarg sich hinter ihrem Blick. Allerdings war sie mir in diesem Moment wirklich egal. "Geht es Eren wieder gut?", fragte sie vorsichtig und ich musste mich wirklich zurück halten, um meine Wut nicht an ihr raus zulassen. "Was geht dich das an? Du hast doch eh nichts mit ihm zu tun."
Sie zuckte kurz zusammen und blickte mich geschockt an. "Wieso reagierst du so kühl?"
"Vielleicht hast du genau das verdient." Mit diesen Worten stieg ich aus und lief einfach an ihr vorbei. Doch bevor ich aus dem Ausgang hinaustrat, drehte ich mich noch einmal um. Mine stand immer noch vor den Aufzügen und blickte mich enttäuscht an. Keine Ahnung wieso, aber ich lief auf sie zu und schnappte mir ihre Hand, um sie rauszuzerren. Die anderen Mitarbeiter ignorierte ich gekonnt. In einer leeren Ecke, in der Nähe der Firma blieben wir draußen stehen und kein einziges Wort verließ ihren Mund. Sie schaute mich nicht einmal an.
"Mine, es tut mir leid. Ich wollte meine Wut nicht an dir rauslassen, aber gestern Nacht ging es ihm wirklich schlecht. Als ich ihn dort sah, hat es mein Herz zerbrochen. Er hatte hohes Fieber und erst in der Klinik ging es ihm besser. Ich hab heute kaum geschlafen, bin kaputt und fühle mich einfach nur schlecht. In meinem Leben gibt es nichts wichtigeres, als ihn. Du verstehst mich oder?"
Erst jetzt schaute sie mir in die Augen und nickte leicht mit ihrem Kopf. Dann nahm ich ihr Gesicht zwischen meine Hände und küsste sie auf die Stirn. Es war ein einfacher, bedeutungsloser Kuss und trotzdem spürte ich, wie sie deswegen zitterte. Doch länger konnte ich nicht mehr bei ihr bleiben, also ließ ich sie dort alleine stehen und begab mich zu meinem Wagen, um letztendlich nach Hause zu fahren.

Das Schicksal lenktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt