Teil 29

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Erdem

Der Sex war einfach nur erstklassig und langsam gewöhnte ich mich wieder an das Gefühl mit ihr zu schlafen. Auch damals war es nie ohne. Natürlich, wir hätten bis zu der Ehe warten sollen, aber jeder, selbst unsere Eltern hatten damit gerechnet, dass wir heiraten würden und deswegen gab es damals keine sonderlichen Probleme.
Ihre Eltern waren am Anfang enttäuscht, weil Mine die rote Schleife nicht mehr mit Ehre tragen konnte, aber da sie mich wirklich sehr geliebt und als zukünftigen Schwiegersohn geehrt hatten, konnten wir sie beruhigen.
Tja, alles kam anders und nun war aus meinem damaligen, so unschuldigem und süßem Mädchen wortwörtlich eine Hure geworden. Teils war ich mit schuldig, ich hatte sie reingelegt. Wieso? Aus Wut. Wut auf alles was mit ihr in Verbindung steht. Noch mehr das sie einfach alles vergessen hatte. Trotzdem verbrachte ich die Nacht bei und wachte dementsprechend erst am nächsten Morgen in ihrem Bett auf. Sie war nicht da. Wahrscheinlich war sie duschen gegangen und so stand ich auf und griff nach meinem Hemd, welches ich ja dank ihr nicht mehr anziehen konnte. Gott, der Preis spielte keine Rolle, aber wie sollte ich jetzt so auf die Arbeit?
Seufzend schmiss ich es zur Seite und suchte mein Handy, was jedoch aus Versehen aus der Jackentasche runter fiel und einen Krach verursachte. Scheiße.

Wenige Augenblicke später hörte ich schon Schritte, nahm meine Kleider und versteckte mich in ihrem Schrank. Hoffentlich würde ihre Mitbewohnerin die kaputten Knöpfe nicht entdecken. Leider hatte ich diese Frau komplett vergessen, obwohl Mine mir von ihr bereits erzählt hatte. Trotzdem hatte ich am Morgen kein Bock auf ihr Gelaber bezüglich mir und so hoffte ich inständig, dass sie mich nicht finden würde. Wie erwartet wurde die Zimmertür geöffnet und ich hörte wie die Freundin sprach: "Mine, ich hab aus deinem Zimmer Geräusche wahrgenommen. Was versteckst du vor mir?"
"Gar nichts. Wahrscheinlich ist nur ein Vogel gegen die Scheibe geflogen. Wenn etwas wäre, würde ich es dir schon sagen. Ich zieh mich schnell an und dann können wir auch los, okay?"
Zum Glück gab die andere auf und verließ das Zimmer. Einige Momente später wurde auch die Schranktür geöffnet und ich sah Mine vor mir stehen und erleichtert durchatmen. "Erdem, es tut mir Leid."
"Kein Ding, wie machen wir das jetzt?"
"Ich gib dir die Hausschlüssel und du gibst sie mir später zurück, okay? Dann kann ich jetzt mit Ayla mitgehen und wir treffen uns später.", schlug sie vor und ich bejahte, ehe ich hinzufügte: "Du solltest zum Frauenarzt und dir die Pille für danach verschreiben lassen. Es spielt keine Rolle, ob ich gestern verhütet habe oder nicht."
"Ich weiß, aber ich will nicht alleine hin."
"Nimm doch Ayla mit.", erwiderte ich sarkastisch und machte mich an die Arbeit um meine Hose anzuziehen. Mein Hemd zog ich auch an, selbst wenn ich die Knöpfe nicht zu machen konnte, darüber mein Jackett und fragte sie nach einem Schal. "Was für eins?"
"Irgendein schlichtes. Ich will nicht, dass jeder meine nackte Brust sieht."
Nickend nahm sie eins aus ihrer Schublade und reichte es mir. Ein schwarzes, was zu meinem Jackett gut passte.
Auch sie zog sich an und ihren heißen Körper zu bewundern erregte mich. "Treibst du Sport?"
"Nein, ich hab sogar solche hässlichen Risse auf meinem Bauch. So, als wenn ich mal schwanger gewesen wäre.", lachte sie los und schüttelte dann eifrig mit ihrem Kopf. "Jetzt mal Spaß bei Seite, ich weiß gar nicht, woher die herkommen. Zum Glück fallen sie nicht auf."
"Wer weiß, vielleicht warst du mal schwanger.", witzelte ich unhöflich und fügte hinzu: "Mine, ich will nicht das Ayla von uns beiden etwas mitkriegt. Wir werden es geheim halten. Weder will ich das du als eine Hure bezeichnet wirst, noch ich als ein Wichser."
"Erstens ich hatte vor dir mit keinem Sex... und zweitens hab ich auch nicht vor, es irgendjemandem zu erzählen.", antwortete sie und senkte dabei ihren Blick.
"Du hattest vor mir keinen Sex? Wieso bist du dann keine Jungfrau gewesen? Schätzchen, glaub mir, ich weiß wie sich eine Jungfrau anfühlt. Und du warst sicherlich keine."
Nun riss sie die Augen unglaublich weit auf und ich sah, wie die Wut in ihr stieg. Oh man, ich liebte es sie zu provozieren, auch wenn ich jetzt gerade übertrieb.
"Willst du damit sagen, dass ich eine Hure bin?"
"Das sagst du jetzt."
"Wer bist du, dass du mit mir so respektlos reden kannst?", wurde sie langsam lauter und kämte sich ihre dunkelroten Haare, sah mich dabei bedrohlich an und fügte hinzu: "Sag noch einmal etwas falsches und ich schwöre dir, du wirst es bereuen."
"Drohst du mir gerade?"
"Miiiiine? Bist du immer noch nicht fertig?", rief ihre Freundin von unten und Mine erwiderte bloß: "Doch, ich komme gleich. Fünf Minuten."
Dann stellte sie sich vor mich und teilte mit: "Ich warte auf eine Entschuldigung."
"Ach tust du das?" Verspielt zog ich sie in meine Arme und wir fielen auf das Bett. Sie sah immer noch gekränkt aus und zärtlich küsste ich ihre Lippen, jedoch ließ sie es nicht zu, drehte ihr Gesicht um und gab mir zu verstehen: "Komm nicht zu spät auf die Arbeit. Herr Becker hat mir die Aufgabe gegeben, dir für morgen behilflich zu sein."
"Sag ihm, dass alles erledigt ist. Ich habe mit Rosella zusammen gearbeitet. Den Rest hat er auch schon kontrolliert. Es ist also alles geklärt. Du kommst zu spät."
Die Augen rollend erhob sie sich, warf mir ihre Hausschlüssel zu und verließ dann das Zimmer. Zehn Minuten später vernahm ich auch schon die Haustür und blieb noch ein wenig liegen, bis ich mich aufstellte und ihr Zimmer durchstöberte. Es müssten doch andere Wertgegenstände oder Erinnerungen aus der Vergangenheit sich hier irgendwo verbergen. Sie konnte doch nicht einfach alles weggeschmissen haben. Wenigstens ein Bild von ihm. Scheiße man, nichts da. Was für ein Mensch war diese Frau nur, dass sie wirklich nichts außer diesem Stein besaß? Wo war der ganze Rest? Umso mehr ich durchstöberte und nichts fand, umso aggressiver wurde ich. "Neden bize bunu yapiyorsun? Neden yoksun?" (Wieso tust du uns das an? Wieso bist du nicht da?), führte ich nun sogar Selbstgespräche und voller Enttäuschung ließ ich mich auf das Bett fallen, atmete tief ein und aus und versuchte wieder runter zu kommen. "Eger benim ismim Erdem Gül'se o zaman sana yemin ediyorum, yaptiklarindan pisman olucaksin." (Wenn mein Name Erdem Gül ist, so schwöre ich dir, dass du deine Taten bereuen wirst.), presste ich zwischen zusammen gekniffenen Zähnen und erhob mich langsam um das Haus zu verlassen.

Zuerst machte ich mich auf den Weg nach Hause, um zu duschen und anschließend mich für die Arbeit fertig anzuziehen. Ihren Schlüssel und ihren Schal steckte ich in eine kleine Tüte und mit meinem Aktenkoffer zusammen machte ich mich auf die Arbeit. Mine war anscheinend wirklich wütend auf mich, also bestellte ich rote und weiße Rosen und ließ sie ihr in ihr Büro zukommen. Die Mittagspause verbrachte ich alleine in der Gemeinschaftsküche, in unserem Stockwerk und während ich einen Müsliriegel aß, hörte ich wie meine Kolleginnen bereits über Mine und mich sprachen. Von wegen wir würden uns ja sehr nahe stehen. Wahrscheinlich hatten sie mich noch nicht bemerkt, also räusperte ich mich kurz, warf ihnen einen vernichtenden Blick zu und fragte kalt: "Wie wäre es mit mehr arbeiten, anstatt solche sinnlosen Gerüchte in die Welt zu setzen? Mine und ich arbeiten zusammen, weil wir beide aus dem gleichen Land kommen, haben wir auch eine besondere Bindung und verstehen uns. Mehr ist da nicht. Ihr wisst das ich verheiratet bin und einen Sohn hab, richtig? Also warum verschwendet ihr eure Zeit umsonst? Los, ab an die Arbeit!"
Sofort standen alle auf und verließen die Küche. Wie gesagt, ich hatte hier auch Mitspracherecht. Wurde anerkannt und geschätzt. Nicht weil ich Jahrzehnte hier arbeitete, sondern wegen dem Fleiß und Zeit die ich in diese Firma investierte. Nach der Pause lief ich in das Büro unseren Chefs, klopfte an und trat ein. Mine saß bereits bei ihm und ich gesellte mich dazu. Wir unterhielten uns über den morgigen Tag und gingen nochmal alles durch. Cihan würde die Gäste aus dem Flughafen abholen und Mine und ich sie im Hotel begrüßen. Andere wichtige Mitarbeiter würden sich auch dort befinden. Alles war bis zum letzten Detail geregelt.
Gleich nach dem Gespräch betrat ich mein eigenes Zimmer und arbeitete an meinen eigenen Projekten weiter.
Um 16 Uhr war endlich Feierabend, heute etwas früher und draußen vor dem Ausgang wartete ich auf Mine.
Es dauerte ein paar Minuten, bis sie kam und ich in ihrer Hand den von mir bestellten Rosenstrauß sah. Sie sah wenigstens etwas wieder glücklich aus und roch daran, bis sie mich sah und zu mir lief. "Schal und Hausschlüssel, bitte."
"Steig ein, ich fahr dich."
"Erdem, hayir!" (Nein)
Ich blickte sie streng an, sodass sie sich doch hinsetzte und fuhr sie dann nach Hause. Im Auto reichte ich ihr dann die Schlüssel und bevor sie aussteigen konnte, hielt ich ihre Hand fest und flüsterte: "Es tut mir leid. In letzter Zeit gehen die Gefühle mit mir durch. Der ganze Arbeitsstress und dann noch das mit Eren. Ich weiß einfach manchmal nicht, was ich da tue und lasse mich von meinen negativen Gefühlen leiten. Affet beni. (Verzeih mir)"
Einige Sekunden war es ruhig, sie nahm die Tüte entgegen und küsste mich auf die Wange.
"Danke für den Strauß und ich verzeihe dir, aber wenn du mich noch einmal beleidigst, bin ich weg."
"Versprochen, ich werde mich zügeln."
"Das war kein Scherz, Erdem du bist wirklich mein erster. Zumindest dachte ich das. Glaub mir, für mich war das auch ein Schock, als ich erfahren habe, dass du nicht mein Erster bist. Aber ich erinnere mich nicht mehr. Ich weiß nicht, mit wem es passiert ist. Ich weiß überhaupt nichts. Glaub mir, ich hab mit dir geschlafen mit dem Glauben, ich sei Jungfrau.", erzählte sie aufrichtig und diese Worte lösten ein komisches Gefühl in mir aus und etwas verwirrt starrte ich sie an: "Was soll das heißen, du erinnerst dich nicht mehr?"
"Ich möchte nicht darüber reden. Der Grund ist nicht wichtig. Es zählt einfach nur, dass ich es nicht tun kann."
"Wieso nicht?"
"Erdem, lass es! Vergiss. Bitte."
Es verursachte wirklich ein mulmiges Gefühl in mir aus und meine Gedanken waren Wirrwarr. Was war passiert, dass sie sich nicht erinnerte? Oder wollte sie sich nicht mehr erinnern? War ihr Herz so gebrochen, dass sie sich einfach dazu entschieden hatte, alles los zulassen?
"Meinst du das ernst? Also das du mir deine Jungfräulichkeit geschenkt hättest?", wechselte ich das Thema und schüchtern bejahte sie, senkte den Blick und ich nahm einfach nur ihr Gesicht zwischen meine Hände und presste die Lippen auf ihre. Wieder war der Hass verschwunden und ich empfand nur noch Sehnsucht. Sehnsucht an unsere gemeinsame Zeit.

Das Schicksal lenktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt