Teil 58

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Mine

Ich wusste, dass er auf eine Antwort wartete, aber irgendwie schaffte ich es nicht. Alles was mir durch den Kopf ging, würde keinen sinnvollen Satz ergeben. Erst die Tatsache, dass er es ihr erzählt hatte und sie anscheint nicht ausgerastet war, war schon verwunderlich. Erdem hatte mir zwar mal erzählt gehabt, dass er mit seiner Ehefrau nur Freunde sind, aber so eine Beziehung hatte ich nicht erwartet. Jedenfalls nicht, dass man sich erzählte, ob man einen betrog oder nicht. Fürs erste gingen wir beide schweigend zu den Brötchen und kauften uns paar belegte Brötchen. Für die anderen Mitarbeiter, die unsere Freunde waren, nahmen wir welche mit, da wir es uns immer abwechselten. An der Kasse drehte ich mich zu ihm um und schaute in seine Augen. "Erdem." Endlich schaute er in meine Augen und strich sich über die Haare. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll oder wie ich es formulieren soll. Im Leben fällt man und steht wieder auf. Manchmal verliert man Menschen, Gute Menschen und Schlechte. Vertrauen ist wichtig. Ohne funktioniert es nicht. Aber auch irgendwie, wenn man jemanden vertraut so gibt man ihm ein Messer in die Hand. Oft wird das Messer einen in den Rücken gerammt. Genau deswegen kann ich nicht antworten. Es liegt in deiner Hand, ganz alleine in deiner. Aber wenn ich du wäre würde ich niemanden das Messer in die Hand geben. Niemals den Leuten so viel vertrauen geben, so dass sie dich verletzen können. Es ist immer besser so zu tun als ob man einen das vollste Vertrauen gibt." Es wäre falsch, wenn ich ihm gesagt hätte, dass er mir vertrauen kann. Ich selbst vertraue nicht jedem. Wem vertraute man denn auch schon ganz? Ich wusste, dass andere anders antworten würden. Sie würden sagen, dass man ihnen doch vertrauen sollten, aber sowas konnte man von einer Person nicht verlangen. Wie erwartet bekam ich auch keine Antwort von Erdem. Wenn ich wäre, würde ich auch nichts erwarten und einfach schweigen. Wir setzten uns wieder in die Gemeinschaftsküche und nahmen an der Unterhaltung von den anderen Teil. Es war nichts wichtiges weswegen ich nur ab und zu etwas dazu beitrug. Nach der Pause verabschiedeten wir uns alle und verschwanden in unsere Büros. Die Lust an der Arbeit verging mir direkt als ich die Ordner sah, die mir meine Praktikantin ins Zimmer legte. Ich hatte sie wohl so traurig angeschaut, so dass sie mir, bevor sie ging, ein bemitleidendes Gesicht zeigte. Schnell rappelte ich mich auf und nahm auch schon den ersten Ordner in die Hand, der sich um das finanzielle handelte. Mit Zahlen kam ich immer gut zurecht, aber wenn man nicht gut bei Laune war, wurde es einfach nichts. Als ich auch schnell bemerkte, dass es nichts wurde, nicht mit so einer Laune, legte ich den Ordner wieder zurück und schnappte mir das Telefon. Den Rest könnte ich auch zu Hause erledigen, was ich auch wirklich machen würde, wahrscheinlich auf meinem kuscheligen Bett und einer Tasse Kaffee in der Hand. Allein die Vorstellung erwärmte mein Herz. Ich entschied mich meine Eltern anzurufen, da ich es wirklich in letzter Zeit sein ließ, warum wusste ich nicht.

"Komm doch zu der Hochzeit deiner Cousine. Sie würde sich freuen", nach dem ganzen Fragen über die Arbeit und der Gesundheit, kam es dann zu solchen Themen. "Sie mag mich nicht. Ich denke nicht, dass sie sich freuen würde", sagte ich nur und spielte mit der Schnur des Telefons herum. "Aber deine Tante liebt dich." Dies stimmte wirklich. Meine eine Tante, nicht die Mutter meiner Cousine, liebte mich. Sie war nicht so alt wie meine Mutter und hatte auch noch keine Kinder. Sie war auch 2 Jahre älter als ich und hatte mit ihren Schwestern einen, für mich, großen Altersunterschied. "Ich habe sie auch vermisst", gestand ich ihr und hörte sie schon am anderen Ende lächeln. "Dann kommst du." Schon war es beschlossene Sache. Nach dem wir uns verabschiedet hatten, nahm ich die Ordner in die Hand und verließ früher die Firma. Zu Hause legte ich erst alles auf mein Bett, zog mir etwas gemütliches an und setzte mich ins Wohnzimmer zu Ayla. "Ich fahre nach Hause am Donnerstag. Wenn du mitkommen willst, gel (komm)", fragte ich sie, da ich wusste, wie sehr sie es dort bei mir mochte. "Warum schon Donnerstag?"
"Sibel heiratet und ich wollte nicht Freitag hinfahren. Wäre zu anstrengend." Ayla hatte sich mit Metins Eltern verabredet, wollte aber gerne kommen auf Grund meiner Tante. Meine Tante war wie eine Freundin für uns beide, die wirklich immer da war. Als ich den Unfall hatte, war sie immer bei mir. Ich hatte mich am Anfang von den anderen distanziert, nur ihre Nähe ließ ich zu. Noch heute, wenn ich in ihre Augen sehe, sehe ich diese Reue bei ihr. Sie versucht mir immer wieder was zu sagen, bekommt es aber nie über die Lippen. Sie schweigt lieber und da ich weiß, dass sie mich nicht verletzen will mit dem was sie sagen würde, sage ich nichts dazu. Auch wenn ich wissen will was es ist, ob es mein Leben verändern würde oder ob es überhaupt mich betraf.

Die Woche war ganz angenehm. Wir hatten zwar oft eine Versammlung und auch hatten wir lauter Vorträge, dennoch wenn man alles geplant hatte und sich gut vorbereitet hatte, war es nicht so hart, wie man sonst so annahm. Die ganze Woche hatte ich Erdem immer wieder gesehen. Wir sprachen und lachten zusammen. Von außen sahen wir wie die perfekten Arbeitskollegen für einander aus. Nur wir selber wussten, wie es in Wirklichkeit war. Und diese Wahrheit machte mir Angst. Ehrlichkeit war immer besser und ich musste mir gestehen, dass ich Gefühle hatten. Es waren nicht kleine, es waren tiefe. Es war so vertraut, dass es mir Angst machte. Immer wenn ich in seine Augen schaute, war es so angenehm, so bekannt eben. "Morgen bist du nicht da oder Mine?", fragte mich Nadja, eine mir gute Freundin gewordene Arbeitskollegin. "Wo bist du denn?", fragte nun Cihan und löffelte mein Jogurt leer. "Wieder daheim. Meine eine Cousine heiratet und eigentlich gehe ich nur wegen meiner Tante hin", gestand ich den beiden und sah Erdem lächeln. Zu gerne wüsste ich an was er dachte.

Fertig gepackt, saß ich nun im Auto und fuhr nach Hause. Meinen Eltern hatte ich bescheid gesagt wann ich ungefähr ankommen würden, so dass sie keine Angst haben sollten, wenn die Tür einfach aufging. Ich hatte bis heute an meinem alten Schlüsselbund viele Schlüssel dran. Bei manchen wusste ich nicht einmal wofür er war. Besonders der eine, der lauter Herzchen drauf lackiert wurde. Die Fahrt hatte ich gut überstanden und kam heil nach Hause. Dort wurde ich auch schon freudig begrüßt besonders von Mert. Auch wenn es nicht lange her war, dass wir uns gesehen hatten, war unsere Beziehung einfach zu gut und deswegen vermissten wir uns schnell. Da es schon spät war, ging auch ich schnell in mein Bett. Mitten in der Nacht wachte ich jedoch auf, da ich eine Gestalt in meinem Zimmer sah und schon nach meinem Handy greifen wollte, was ich dann der Person überziehen wollte. "Ich bins", erklang die Stimme von Mert, der sich zu mir ins Bett legte. Schon als kleine Kinder hatten wir diese Angewohnheit, dass wir uns zusammen legten, wenn es dem einen nicht gut ging oder Probleme hatte. Ich wollte nicht mitten in der Nacht nach seinen Problemen fragen und malte mir schon aus, dass es wahrscheinlich Probleme in seiner Beziehung gab.

Den Freitag hatten wir alle gut überstanden. Die Familie kam und es wurde noch richtig geplant für den Samstag. Mit meiner Tante, Sebnem, ging ich noch shoppen, um mir ein Kleid zu kaufen. Da Mert seine Krawatte in der Farbe grün hatte, kaufte ich mir auch dementsprechend ein Kleid. Ich mochte es, wenn man sich passend anzog. "Lass das hier mitnehmen. Es wird perfekt für dich sein!", strahlte sie nur noch das Kleid an und stolzierte auch schon zur Kasse. Es war eigentlich ganz schlicht und zeigte auch keine Haut. Mit langen Kleidern hatte ich nie Probleme, da ich selber groß war und die langen Kleider einfach wunderschön dann an einem aussahen. Das Kleid war komplett aus Spitze und war ein Traum. "Wir müssen noch Sch-", und schon hörte ich auch nicht mehr zu und ließ mich mitschleppen. Den Freitag hatte ich so überstanden und war auch schon ganz froh, dass ich mich in mein Bett legen konnte am Abend.

Samstag war noch schlimmer als der Freitag. Schon in der Früh mussten wir raus und von dem Ort zum anderen hetzen, was ich überhaupt nicht ausstehen konnte. Noch müde, saß ich auf dem Stuhl und sagte der Friseuren, sie solle meine Haare hochstecken. Schmuck musste ich mir nicht anlegen, dafür aber gab ich meiner Tante meine silberne Kette, die ich vor paar Monaten gekauft hatte. Da ich fertig war, setzte ich mich auf den Stuhl und schaute zu Sibel, meiner Cousine. Auch wenn ich sie nicht mochte, gönnte ich ihr die Freude. Sie war so glücklich, so dass es schon schmerzte. Ich hatte noch nie über die Zukunft nachgedacht, jedenfalls nicht was das Thema Heirat und Familie anging. Es müsste schön sein, wenn man so geliebt wurde, dass man heiraten wollte.

"Hadi, Mine! Mert geldi. (Los, Mine! Mert ist da!)", schrie meine Mutter und mit ihr ging ich zu Mert, bei dem ich vorne einstieg. Meine Mutter stieg in das Auto meines Vaters ein. "Ich lege mich etwas hin, weck mich wenn was los ist", nuschelte ich nur noch und schloss meine Augen.
Viel verpasst schien ich nicht zu sein, da ich aufwachte als wir schon im Saal waren. Eingehackt bei Mert machte ich mich auf dem Weg. Familie war immer früher da als die anderen und deswegen konnten wir noch schnell ein paar Dinge klären. Mert wurde nach hinten gerufen, da er etwas schleppen sollte und ich wurde nach vorne verfrachtet um die Gäste zu empfangen die so langsam schon kamen. Auch wenn bei uns Pünktlichkeit nicht groß geschrieben wurde, kamen viele früh, um sich überhaupt einen guten Sitz zu sichern. Da ich auch nur immer die Standard Begrüßung über meine Lippe brachte, stockte mir der Atem, als ich in sein Gesicht blickte.

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Das Schicksal lenktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt