Kapitel 4

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Mein bemühtes Lächeln vergeht mir, als ein lautes Knallen durch den Flur vibriert. Mir tut Konrads Spind jetzt schon leid, bei den Qualen, die er aushalten muss! Meine eigenen Bücher klemmen mir schon unterm Arm, aber um zum nächsten Raum zu kommen, muss ich hier lang. Die Pause ist schon fast vorbei, so lange habe ich gebraucht, um mein Zahlenschloss zu überreden sich doch zu öffnen. Alibihalber schlage ich eines der Bücher auf und schmule über den Rand zu Konrad. Ich könnte auch einfach mit einem Tunnelblick an ihnen vorbei gehen, aber ich habe solche Typen lieber im Auge als im Rücken.

Vorsichtig löse meinen Blick von den Zeilen, die ich nicht vorhabe zu lesen und begutachte das Schauspiel, das sich vor mir abspielt. Die zerrissene schwarze Jeans soll Konrads Status als Bad Boy wohl unterstreichen, falls die schwarze Lederjacke nicht laut genug »Gefahr« schreit. Eigentlich schreit alles an ihm »Hier bin ich, beachte mich!« und: »Signalfarbe? Schwarz ist das neue rot!« Selbst seine Haare, die an den Seiten kurz geschoren sind, hat er sich badboymäßig nach hinten gebunden. Es verwundert mich allerdings, ihn ganz allein zu sehen. Wo Konrad ist, können seine Hunde nicht weit-

Zwei weitere Donnerschläge kündigen Josh und Elian an, die aussehen wie wandelnde Werbetafeln für Sportmarken, auch wenn ihre Klamotten schon mal bessere Tage gesehen haben. Die Haare sind mit eimerweise Haargel zugeklebt und Jogginghosen umspielen ihre Beine. Kurzum: die perfekten Lakaien, um Konrad in Szene zu setzen; nun ist das Rudel komplett. Josh und Elian gehen fast im Gleichschritt zu ihm, mit dem sie sich gestikulierend unterhalten. Bestimmt erzählen die beiden Konrads gerade wie großartig er doch sei oder ob sie ein Portrait von ihm malen dürfen.

Gerade möchte ich mich abwenden und in den nächsten Unterricht gehen, als Konrad lautstark einen Namen blafft, bei dem ich hellhörig werde. »Komm endlich, Julius!« Tatsächlich taucht in dieser Sekunde Besagter auf. Er versucht mit schnellen Schritten zu Konrad zu gelangen und gleichzeitig einen gefährlich hohen Hefter-Stapel auf einem Arm zu balancieren, was nur mäßig funktioniert. Ein Schnauben entfährt mir und ich bin schlagartig von ihm enttäuscht. Wieso muss er auch an Konrad und seine Gang geraten sein? Bei Elian war es letztes Jahr genauso: Er tauchte nach den Sommerferien plötzlich auf und wurde sofort in Konrads Team geholt, danach hat es nicht mehr lange gedauert, bis er Konrads Füße geküsst und seinen Kleiderschrank angepasst hat.

Aber Julius? War es doch Zufall, dass er bei dem Training im Gegensatz zu den anderen das Konzept von Logik verstanden hat? Wenigstens hat er seinen persönlichen Stil noch nicht verloren und läuft nicht, als hätte er sich gerade in die Hose gemacht. Das ist doch was, oder? Ruckartig hefte ich meinen Blick wieder auf mein Buch, das ich im Arm halte. Ich habe schon viel zu lange rüber gestarrt, aber einen letzten Blick kann ich mir nicht verkneifen. Julius‘ Haare sind verstrubbelt, als hätte er zu lange am Fenster gestanden und –

»Er war nicht immer so«, überrumpelt mich eine Stimme von hinten und lässt mich ziemlich hart auf den Boden der Tatsachen aufprallen. Mein Alibibuch kann ich gerade so noch auffangen und klemme es mir wieder unter den Arm. »Gott, Assia! Erschreck mich doch nicht so!«, japse ich und lehne mich immer noch ein wenig wacklig auf den Beinen an die Wand. Sie wirft mir einen kurzen unbeeindruckten Blick zu und fährt dann fort: »Julius muss die zwölfte Klasse wiederholen, weil er lange gefehlt hat. Wegen einer Sportverletzung oder so. Konrad kannte er aus seinem Jahrgang, aber der wiederholt nur, weil er mit dem Denken noch nicht so weit ist.« Jetzt wird mir auch klar, wieso ich Julius letztes Jahr in keinem Kurs gesehen habe! »Woher hast du die ganzen Infos?«, frage ich verblüfft. »Wenn man nicht viel redet, vergessen einen die Menschen schnell. So bekommt man viel mit, ohne dass es den anderen auffällt«, erzählt sie mir mit gesenkter Stimme. Wie ich, möchte sie nicht die Aufmerksamkeit von den Vieren erlangen.

»Ich hoffe er wird nicht auch so ein…« – »Idiot?«, hilft mir Assia auf die Sprünge. Hart lache ich auf und ziehe meine Augenbrauen hoch. »Solche Töne zu hören, also wirklich!«, sage ich gespielt schockiert, woraufhin sich ein leichter Rotschimmer über ihre Wangen zieht. Ich seufze mit einem letzten Blick auf der Gruppe. Assia wickelt sich eine Haarsträhne um den Zeigefinger, während sie versucht ihre Gedanken in Worte zu fassen. »Ich glaube nicht, dass das passiert. Ich kenne seinen Kumpel, August, und der ist alles andere als abgehoben. Ich kann diese Wichtigtuer auch nicht leiden. Ständig werden sie von den Lehrern verwarnt, fliegen aber nie raus. Dass Josh dealt, ist inzwischen auch ein offenes Geheimnis.« Unruhig tänzle ich von einem Bein auf das andere und lasse mir ihre Worte durch den Kopf gehen. Diesem Idiotentrupp traue ich jede Dummheit zu… Mit einem Blickaustausch reißen wir uns gemeinsam von der Szene los und laufen schweigend zu unserem nächsten Kurs. Diesmal ist die Stille aber nicht unangenehm oder bedrückend und zum ersten Mal habe ich heute das Gefühl, meine Vorsätze tatsächlich zu meistern.

Be My Cookie (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt