Kapitel 35

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„Mum, du hast die Handschuhe vergessen!" Es ist immer noch Sommer, wobei die Temperatur wöchentlich sinkt, aber es ist noch längst nicht kalt genug für Handschuhe. Nein, ich rede von Einmalhandschuhen, die man für das Putzen verwendet, damit einem nicht die Haut wegätzt. Das meine Mum diese Bemerkung nicht unkommentiert lässt, überrascht mich nicht. „Bringst du mir bitte einen Schal mit?"

Mit einem Grinsen auf den Lippen betrete ich das Bad – aber ohne Schal. Die bunten Röcke meiner Mutter liegen über den gefliesten Boden verstreut, weil sie in einer ziemlich rückenfeindlichen Position vor dem Klo hockt. „Durchhalten, ich bin auch gleich mit der Küche fertig, dann ist das Ungemütlichste gemacht." Dankbar schnauft die Rothaarige auf und schrubbt mit etwas mehr Energie weiter. Zurück an meinem Arbeitsplatz sortiere ich die letzten Töpfe in den ausgewischten Schrank und schalte das Radio ein.

Wie gewöhnlich ist heute Putztag, schließlich ist der Laden Sonntagnachmittag zu und noch weiter verschieben kann man die Hausarbeit dann auch nicht mehr. Die Frau, die mir das Leben geschenkt hat, hasst putzen, freut sich aber umso mehr, dass ich ihr einiges abnehmen kann. Ich versuche es weitestgehend zu vermeiden, dass sie sich durch das ganze Haus quält, also habe ich es mir vor Jahren zur Aufgabe gemacht das Putzen spaßiger zu machen. So teilen wir uns anfangs die nervigsten Bereiche und machen den Rest zusammen, dabei am liebsten mit lauter Musik. Das ist auch der Grund, wieso in diesem Moment besagte Frau das Zimmer betritt und das Radio ausschaltet, um sich mit ihrem Handy zu verbinden.

Ihr eigener Musikgeschmack weicht meinem nicht unbedingt ab, aber wir probieren gern jedes Genre durch, oftmals um am Ende nur lachend auf den Boden zu sacken. Heute ertönt eine Filmmusikplaylist aus den Lautsprechern. In einem entspannten Rhythmus schnappen wir uns wie bei einer einstudierten Choreographie Besen und Eimer und legen los. „Weißt du von welchem Film dieser Klassiker sein soll?" Ihre Aufmerksamkeit ist so auf die Klänge fokussiert, dass sie weiter abwesender scheint, als die paar Schritte, die uns trennen. Es läuft irgendein uraltes Lied, dass wahrscheinlich von Guardians of the galaxy ist, was meine Mum aber gar nicht wissen konnte. Linus und ich haben es uns zum Ritual gemacht alle Marvel Filme zusammenzuschauen, sodass wir uns mehrmals im Jahr einen der Blockbuster im Kino reinzogen.

Im Tempo zur Musik fegt Mum durch das Zimmer, den Besen eher als Begleiter, als zum Putzen. Als dann noch „Time of my life" aus Dirty Dancing läuft, ist es endgültig um die tanzende Frau geschehen und sie wirbelt mit ihrem hölzernen Tanzpartner durch den Raum. Ich schaue ihr dabei zufrieden zu, wippe mit den Schultern mit, ehe mich meine Mum vom Boden zieht und herumwirbelt. Ergeben stimme ich in ihren Gesang ein, wissentlich, dass ich es wohl niemals in irgendeinen Chor schaffen werde. Die dicken Socken unter den Füßen meiner Mutter lassen sie beinahe fliegen. Unser Duett beende ich mit einem Kniefall auf dem Sofa und einer Verbeugung Hand in Hand mit der wunderschönen Anna Wilson. „Darf ich Vorstellen: Der Star dieses Abends!"

„Woher hast du so tanzen gelernt? Pass auf, sonst passt du noch in die Klischees der Schwulen." Lachend zucke ich mit den Schultern und schnappe mir den achtlos weggeworfenen Besen. „Irgendwas muss ich ja von dir geerbt haben." Dafür ernte ich eine ausgestreckte Zunge und ein beharrendes „Natürlich hast alle guten Eigenschaften von mir!" Ich drücke meiner Mutter einen Kuss auf die Stirn und wir erledigen zusammen den Rest mit einem Wischer, der dieses Mal nicht zweckentfremdet wird.

Nach einer Kissenschlacht, deren Anlass das Beziehen meines Bettes war, betrachten wir zufrieden unser Werk und schmeißen uns ein letztes Mal in die weichen Federn. „Komm jetzt, du Irrer! Wir müssen uns jetzt belohnen, so schwer wie unsere Arbeit war." Wie ein Lehrer, der einen Schüler rügen muss, hebt sie den Zeigefinger und legt einen strengen Ton auf.

Gespannt was die Grünäugige damit meint, greife ich nach ihrer Hand und ziehe sie mit mir in die Küche. Dort steht eine Backmischung für American Cookies, die meinem nicht ganz so wachsamen Adlerblick entgangen sein muss.

„Du holst die Utensilien raus und ich die Zutaten, Deal?" „Deal!" Ich besorge Schüssel und Mixer und hole aus dem Laden eine Tüte M&Ms, die wir mituntermischen wollen, natürlich gegen den entsprechenden Preis. Am Ende landet nur ein Dreiviertel des Teiges im Ofen, den Rest haben wir so verdrückt. Die kleinen Kleckse auf dem Backblech bringt meine Mum noch in Formen, ehe ich den Rest in die Spüle räume. Wie paralysiert beobachten wir die Klumpen beim Wachsen, während wir über die nächste Woche sprechen. Andere nennen das Sitzen vor dem Ofen, gelehnt an eine Küchenwand, sicher Zeitverschwendung, aber bei uns ist immer etwas los, also nutzen wir die Zeit zum Quatschen.

Rundum scheint wirklich alles perfekt und meine Mum und ich haben nichts zu beklagen, als wir mit den noch heißen Keksen, verpackt in einer Dose, durch die grüneren Straßen Londons spazieren. Nach dem Geruch von Spülmittel und aller Art Reinigern ist die frische Luft mal ganz gut, vor allem weil gerade abends die Temperaturen deutlich abkühlen und ich mir sogar eine Strickjacke überwerfen muss. Ein komisches Gefühl nach den heißen Tagen, die ich jedoch nicht vermisse.

„Hast du nichts zu beanstanden, Paul? Du warst noch nie ein Draufgänger, aber mit siebzehn habe ich ganz andere Dinge getan, als meiner Mutter beim Putzen zu helfen. Du bist doch glücklich, oder?" Sie hat diese Frage schon oft gestellt, ich glaube, sie denkt ich würde mich verantwortlich für sie fühlen. Dabei kommt meine Mum sehr gut allein zurecht. Genauso wenig wie ich glauben kann, wie viel Glück ich mit meiner Mum habe, kann sie bestimmt nicht glauben, dass ich lieber einen Abend mit ihr verbringe, als mit zwielichtigen Kerlen saufen zu gehen. Aber es stimmt, es läuft gerade alles perfekt. Nirgendwo anders möchte ich sein. Nach einer kurzen Erklärung meiner Gedanken nehme ich mir einen unserer Kekse und beiße genüsslich in die Leckerei. Oh wie sehr ich Kekse liebe.

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