Die Kälte der Türklinke prickelt an meinen Fingern, ehe sie nachgibt. Durch die Dunkelheit tappe ich auf die Toiletten zu, die mich aufgrund der Bewegungsmelder schon leuchtend erwarten. Frustriert umklammere ich die Keramikarmatur eines Waschbeckens. Keine zehn Minuten halte ich es mit den beiden in einem Raum aus. Wann ist das so schlimm geworden? Das Schlimmste ist, dass sie gewinnen, immer wieder gewinnen, nur weil ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht. Ich könnte Julius erwürgen, weil er mich so etwas denken lässt, aber ich würde mich dabei immer noch an ihn klammern. Dieser verdammte Junge hat mich so sehr im Griff, dass ich ihn immer noch vor dieser gemeingefährlichen Truppe beschützen möchte. Dabei gehört er dazu. Er ist ein Teil von denen, die es schaffen mich mit ihrer bloßen Existenz fertig zu machen.
„Hey, du. Was ist los? Du sahst aus, als hättest du einen Geist gesehen." Assia ist durch die Tür gehuscht und hat sich neben mich gestellt. Mit den Armen stütze ich mich gegen das Waschbecken, während ich mich zum Becken beuge. Aus dieser Position kann ich sie zwar nicht sehen, aber ich kann mir ihren unsicheren Blick sehr gut vorstellen. Mit einem letzten Stoß drücke ich mich vom Porzellan ab. „Verdammt! Wusstest du, dass sie kommen? Nein, natürlich wusstest du nichts davon. Wie armselig muss man sein, um keine fünf Minuten durchzuhalten? Assia, ich kann das nicht mehr. Wie kann man einen Menschen so sehr hassen und so sehr... Was auch immer das ist! Und dann tun die auch noch so, als wäre alles okay! Sogar Konrad! Der konnte noch nie seine Klappe halten, aber jetzt verliert er kein Wort über das Passierte. Ich meine, explodiert der irgendwann und lässt mich das spüren? Und Julius ist genauso. Ich halte das nicht mehr aus, dieses scheinheilige Tun, als wäre nichts mehr, als würde niemand bemerken, wie arschig er sich verhält! Und wieso bin ich der Einzige der damit scheinbar nicht umgehen kann? Ist Weichei auf meiner Stirn tätowiert? Konrad hat mich zu dem weinerlichen schwulen Loser gemacht, der ich nie war! Das ergibt doch alles keinen Sinn..."
Ob ich damit meine Worte oder diese ganze Geschichte meine, weiß ich auch nicht. Assia zuckt nicht mal mit der Wimper, während ich nur eine Kostprobe, von dem was in mir tobt, raus lasse. Den Verstand habe ich scheinbar irgendwo verloren und vergessen ihn wieder abzuholen. Überfordert drehe ich mich zu ihr und verstecke das Gesicht in den Händen.
Als meine Worte verklungen sind und die Stille wieder ihren festen Platz um uns herum einnimmt, legt Assia ihre Arme um mich. „Lass uns von hier verschwinden." „Wie bitte?" Ist die Erde eine Scheibe? „Genau das ist es doch, was ich nie wollte! Ich bin mit dir hier und du hast dich so darauf gefreut. Außerdem werde ich doch nicht das tun, was Konrad von Anfang an wollte." Fertig mit den Nerven tigere ich auf und ab, ehe mich Assia an den Schultern packt. Ihre braunen Augen haben nichts mehr von dem feinfühligen Ausdruck, den sie sonst ausstrahlen.
„Du hörst mir jetzt zu. Es ist mir scheißegal ob irgendjemand gewinnt oder nicht oder sich bestätigt fühlt! Du siehst furchtbar aus und das seit dich Konrad so fertig gemacht hat und so geht das nicht weiter. Ich lasse dich jetzt nicht dorthin zurück gehen, wo das alles seinen Ursprung genommen hat. Hast du dir seitdem irgendetwas Schönes gegönnt? Nein! Du denkst nur, hast schlechte Laune und machst dich fix und fertig. Dabei können die dir mal den Buckel runter rutschen. Geh nach Hause, ruh dich aus. Und falls es dir hilft, mich haben sie auch verjagt. Ich habe auch keine Lust mehr, aber das ist nicht deine Schuld. Komm jetzt."
Sie schleift mich an den Schultern aus den Toilettenräumen, setzt mich vor der Bibliothek ab, wie ein nasser Regenschirm und weht in den Raum. Keine Sekunde später kommt sie mit unseren Sachen wieder, hakt sich bei mir ein und zieht mich Richtung Tür. Den Kloß in meinem Hals habe ich noch nicht überwunden. Assias bestimmte Art trifft mich immer wieder wie ein kalter Schlag.
„Möchtest du... Mit zu mir nachhause?" „Ich dachte schon, du fragst nie." Erst als wir auf den kühlen Straßen sind, löst sich meine Anspannung und ich kann wieder einen klaren Gedanken fassen.
Während der Fahrt wechseln wir viele Gedanken, aber erwähnen mit keiner Silbe Themen, die mich vorhin noch aus der Fassung brachten. Nach Assia habe ich eine Auszeit verdient, die wir in den Ferien zusammen angehen werden. Ich habe keinen Grund sie von ihren Plänen abbringen zu wollen. Assia fragt mich zwischendurch über meine Mom aus und ich sie über die Zeit, bevor wir uns kannten. Als wir dann über die Stufen zu meiner Wohnung gehen, bin ich fast wieder aufgetaut.
„Na nu, was macht ihr denn schon wieder hier? Oh Mist, der Ofen!" Mum wird von der Ofenklingel unterbrochen und lässt uns vor der offenen Tür stehen. Mit einem zufriedenen Seufzen bete ich Assia hinein und lasse meine Sachen einfach im Flur fallen. Assia tut es mir gleich und wir schauen in der Küche nach dem rechten. Aus der offenen Ofentür steigt ein wenig Qualm, aber es sieht nicht allzu schlimm aus. Assia kichert kurz auf, als sie die dunkle Verfärbung des Käses sieht, der auf der selbstgemachten Pizza liegt. Mit Ofenhandschuhen bewaffnet stellt sie das Blech auf den Küchentisch und holt eine Thermoskanne mit Tee hervor. Ich hole uns drei Teller aus einem der Schränke und mit einem Pizzaschneider und Kuchenblech säge ich uns Stücken heraus.
Gerade als meine Mum Assia eine Tasse Tee eingießt, erkenne ich, wie sie ihr zuzwinkert und erklärt, dass sie ein hübsches Lächeln habe. Sobald wir in meinem Zimmer verschwunden sind, zieht Assia die Augenbraue hoch. Achselzuckend beantworte ich ihre unausgesprochene Frage. „Vergiss es, sie durschaut jeden. Manchmal ist sie schlimmer als eine Hellseherin."
Meine beste Freundin betrachtet mich kurz fasziniert und widmet sich dann meinem Zimmer. Ich habe vermutet, dass sie sofort unter dem Schreibtisch verschwindet wie letztes Mal, aber diesmal bleibt sie kritisch davor stehen. „Irgendetwas fehlt hier."
Wortlos, aber mit einem schwachen Lächeln lasse ich sie stehen und gehe aus dem Raum. Sie hat mich auf eine Idee gebracht, die ihr sicher gefallen wird.
„Wieso hast du so etwas Cooles in einer verstaubten Kammer?" Sie versucht eine Lichterkette mit Lampions zu entknoten, kommt aber nicht weit. Die alte Kiste habe ich fast vergessen, aber von dem Schmücken des Ladens bleibt eben doch immer ein Rest übrig. Wir sitzen unter meinem Schreibtisch und bestücken den Boden mit Kissen und bringen Bilder an dem Holz an, die man nur von hier aus sieht. „Unser ganz eigener Rückzugsort", hat Assia ihn betitelt.
Erst als wir mit unserem Werk zufrieden sind, kommen wir wieder ins Gespräch. Es ist genau das, was ich schon so lange gebraucht habe - einen Abend ohne irgendwelchen Gedanken verschwendet an Julius oder Zweifel. Dass mein Zimmer damit eine Nuance persönlicher wird, ist dabei ein ganz schöner Nebeneffekt.
„Hast du noch mehr von solchem Zeug?" Meine Freundin streicht die letzten Falten von den Kissenbezügen. „Mein Kleiderschrank sieht wahrscheinlich noch schlimmer aus. Ich würde mich nicht wundern, wenn ich dort eines Tages Narnia finde." Assia und ich scheinen keine Sekunde später auf die gleiche Idee zu kommen. „Modenshow!"
So kitschig, so abgedroschen, wie es auch klingt, aber es macht unglaublich Spaß mit Assia durch Klamotten zu wühlen, von denen ich nur die Hälfte trage. Die meisten Schätze habe ich längst vergessen und so reicht sie mir immer mehr Kleidungsstücke in Kombination.
Die Stunden vergehen und als ich fast den ganzen Schrankinhalt schonmal auf der Haut trug, versucht auch Assia eine fröhlichere Farnkombi anstatt ihrem gewohnten Grau und Schwarz. Unter Applaus dreht sie eine Ehrenrunde durchs Zimmer und drückt mir dann einen letzten Haufen Stoff in die Hand. „Trag das morgen, dann sieht dieser Idiot endlich, was er verpasst."
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Be My Cookie (boyxboy)
RomansaPaul ist Captain einer Fußballmannschaft und versucht die zwölfte Klasse zu überleben. Trotz neuer Freunde, die ihn gegen alte Feinde unterstützen, macht ihm das gegnerische Team das Leben schwer. Obwohl sein Schwulsein nie ein Geheimnis war, bringt...