Auf dem Notizzettel in meinem Kopf steht geschrieben, dass ich doch bitte nie wieder Schlösser für die Aktensammlungen in meinem Kopf benutze, weil ich früher oder später vielleicht wieder daran muss. Und wie im echten Leben, hilft keine Muskelkraft der Welt gegen fest verriegelte Schlösser.
„Was hast du da?", frage ich August, der mir an diesem Vormittag schon mehrmals entgegengekommen ist. Zwischen den Pausen haben wir nie genug Zeit, um wirklich etwas besprechen zu können, deshalb freut es mich, ihn mal stehend zu erwischen. Er schaut sich irgendein Blatt Papier in seinen Händen an, auf dem ich nur bunte Kleckse erkenne.
„Bist du sicher, dass du das wissen möchtest?" „Ja, sonst hätte ich nicht gefragt, Schlauberger", kommentiere ich seine unnötige Frage. Wortlos reicht er mir den Papierstreifen und ich lese laut vor: „Julius Shroeder lädt ein – Halloween Party am 31.10., 8 pm – Kostümierung ist Pflicht", anbei sind noch Adresse und das Bild eines Horrorclowns. „Kommst du auch?"
Julius gibt eine Party? Dass Halloween schon in ein paar Tagen ist, habe ich durch die Ferien verdrängt, aber meine Mum und ich schauen an dem Abend eh immer nur alte Gruselfilme und mampfen die gekauften Süßigkeiten selbst. „Ich habe dich gefragt, ob du auch kommst", wiederholt August seine Frage. Verzückt strahlt er in mein Gesicht, wobei er seine Freude über das Event nicht zurückhält. Ich versuche August meine ruhige Herangehensweise an Halloween beizubringen, aber er winkt nur genervt ab. „Komm schon, Grandpa, lass uns mal wieder etwas erleben!" Mit meinen Augen male ich einen Halbkreis in die Luft und stöhne frustriert. Da will man einmal einer Person aus dem Weg gehen und dann sowas... „Ich sagte: Nein."
Jetzt scheint es August endlich verstanden zu haben, faltet den Flyer und verstaut ihn in seiner Hosentasche. Enttäuscht pustet er sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und dreht sich von mir weg. „Was ist denn?" Mein Kumpel bleibt von mir abgewandt, spricht dann aber weiter. „Ach nichts. Ich dachte mir nur, dass du eine Party nicht so verlockend findest." Na klasse, das soll bestimmt eine Anspielung auf die Party damals sein, bei der ich gerade Mal die Vorahnung hatte, für Julius etwas zu empfinden. Aber so wie es mich damals aufgeregt hat, dass er mich als Spaßbremse sieht, so bringt es mich auch jetzt auf die Palme. „Das stimmt doch gar nicht!" Ich muss meinen Ton mäßigen, aber mein Gegenüber zuckt nur mit den Schultern. „Ach, ist doch kein Problem, nicht jeder hat Spaß dabei." „Aber ich habe Spaß dabei. Weißt du was? Ich komme!"
Das war dumm. Oder auch nicht. Keine Ahnung, aber wenigstens kann mir jetzt niemand mehr vorhalten, dass ich wegen eines Typen keinen Spaß mehr haben könnte. Siehst du, Julius?! Ich brauch dich nicht! Allein das verzogene Grinsen in Augusts Gesicht offenbart, dass das sein Ziel war, aber seine Gerissenheit unterstreicht meinen Entschluss nur noch. Den Flyer zieht August wieder aus der Tasche und reicht ihn mir. Nach kurzen Abschiedsworten verdrückt er sich und ich glaube zu sehen, dass seine Schritte noch federnder als sonst sind. Dieses Streifenhörnchen scheint sich wahnsinnig über meine Zusage zu freuen. Leider scheint das nicht bei allen der Fall zu sein.
Nach der Schule treffe ich mich mit Assia am Haupttor und zusammen gehen wir los. Natürlich berichte ich ihr sofort von meinem Entschluss und rechne damit, dass Assia stolz auf mich ist, weil ich schon so weit bin, aber ihr Gesicht wirkt eher so, als würde sie gleich zum Schlag ausholen. „Du hast was gesagt?"
„Ich habe gesagt, dass ich auf jeden Fall komme. Du hättest Augusts Gesicht sehen sollen!" Meine Freundin scheint mir kaum zuzuhören und ballt nur die Fäuste. „Das kann doch wohl nicht wahr sein! Da lasse ich dich einmal allein und dann machst du das Dümmste, was mir einfallen könnte. Bist du so masochistisch?" Jetzt ist es an mir, entrüstet zu sein. „Entschuldige Mal! Also erstens komme ich auch sehr gut allein klar und brauche dich ganz sicher nicht als Anstandswauwau und zweitens... Zweitens muss ich dahin. Damit kann ich Julius doch klar machen, dass er mich nicht mehr rumschubsen kann und mein Gott, ich werde mich auch nicht mehr so behandeln lassen! Und auf so einer Party sind meistens eh zu viele, als dass ich ihm unbedingt begegne, sodass mein Ignorieren sogar noch erfolgreicher sein könnte, als sonst. Und August kommt doch auch mit, das wird sicher cool."
Während ich Assia meine Beweggründe erkläre, kneift sie die Augen zusammen und knetet ihre Hände. So vertieft, wie sie in ihren Gedanken ist, weiß ich nicht mal, ob sie mir überhaupt zuhört. Erst als ich ende, schlägt sie die Hände über den Kopf zusammen und springt von einem hohen Bordstein auf den Pflastersteinweg. Ihre Haare und die Kapuze flattern dabei um sie herum. „Ja, okay. So schlecht klingt das gar nicht und umstimmen lässt du dich nicht, oder? Auch wenn ich dir sage, dass es deiner Argumentation eindeutig an Logik fehlt?" „Nein." Sie bläst Luft von einer Wange in die andere und deutet eine Verbeugung an. „Ich habe nur eine Bedingung. Ich werde dich schminken."
Ich bezweifle, dass mir roter Lippenstift steht... „Aber mach aus mir keine Dragqueen!" Beleidigt bleibt Assia mitten auf dem Weg stehen und betrachtet mich, als hätte ich sie als „Freak" beleidigt. „Ja, die sind ja auch so gruselig. Man du Idiot, natürlich mach ich dich zu einem Monster, also unterschätz mich nicht. Ich tue mal so, als hätte ich das nicht gehört, pah." Sie setzt ihren Weg fort und ich folge ihr wie ein Dackel. Hoffentlich macht sie mich an Halloween nicht zu einem.
„Ich gehe davon aus, dass du nicht mitkommst?" Dass es auf diese Frage keine Antwort braucht, weiß ich auch, aber man darf ja wohl noch hoffen. „Nein, das spricht gegen alle meine Prinzipien, aber keine Sorge, ich werde schon hören, inwiefern du dich zum Affen machst."
Keine Minute später kommt die Kreuzung, an der sich unsere Wege trennen und ich fahre mit der Tube weiter. Zuhause angekommen habe ich kaum Zeit, irgendwelche Schulsachen zu machen oder meiner Mum zu helfen, stattdessen muss ich mich in die so vermisste Uniform werfen. Sogar den Duft meines Trikots habe ich vermisst und die Dusche nach der Schule fällt demnach sehr kurz aus. „Du hast nicht mal Zeit, mit deiner armen Mutter zu essen? Sie hat stundenlang für dich gekocht und so dankst du es ihr!"
Natürlich essen wir zusammen, sobald ich in der Sportkleidung bin und bei dem Essen, das stundenlang für mich gekocht wurde, handelt es sich lediglich um zwei Brötchen, belegt mit Tomate und Mozzarella. „Viel Spaß, Großer", ruft sie mir noch nach ehe ich durch die Haustür verschwunden bin.
Und schon wieder auf dem Weg zur Schule. Diesmal findet das Spiel bei uns statt, was mich eigentlich ungemein beruhigt, aber heute ist das leider nicht der Fall. Weil ich so lange gefehlt habe, wird Zack zwar darauf achten, mich nicht sofort durchspielen zu lassen, aber abliefern muss ich trotzdem. Um die Verletzungen mache ich mir keine Sorgen mehr, aber Übung hatte ich in der Zeit keine. Hoffentlich bügelt der Heimvorteil das wieder aus.
„Da ist ja der Captain aus dem Ruhestand!", kündigt Jasper meinen Auftritt schon von weitem an. Das Gejohle der Jungs umhüllt mich, als ich in die Kabine trete. „Wer hätte gedacht, dass ich dich nochmal wiedersehe!" Charlie springt um mich herum, aber Linus drängt ihn ein wenig zur Seite. „Lasst doch den armen Kerl in Ruhe, schämt euch!" Ich wuschle meinem besten Freund dankend durch die Haare, ehe wir ein letztes Mal unsere Strategie durchgehen. Egal wie viele Wochen ich weg war, am Ende wird es doch immer dasselbe bleiben.
DU LIEST GERADE
Be My Cookie (boyxboy)
RomancePaul ist Captain einer Fußballmannschaft und versucht die zwölfte Klasse zu überleben. Trotz neuer Freunde, die ihn gegen alte Feinde unterstützen, macht ihm das gegnerische Team das Leben schwer. Obwohl sein Schwulsein nie ein Geheimnis war, bringt...