Kapitel 21

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„Und wie wars?" Müde reibe ich mir über die Augen, ehe ich August antworte. Der sieht auch ganz verwuschelt aus, ein Kopfkissenabdruck klebt noch an seiner Wange. Verübeln kann ich es dem Lockenkopf nicht, es ist schließlich Montag. Morgen. Montagmorgen. „Es war toll! Nicht nur das Spiel, auch Julius war super!" „Wer hat gesagt, dass er spitze ist?" Augenrollend klaue ich ihm den Stift, mit dem er seit geschlagenen fünf Minuten auf den Tisch trommelt. Montagmorgen ist schlimmer als jeder Kater. „Jaaa, du hast es mir gesagt."

Mister Wi stellt sich vor den Kurs, wartet auf Aufmerksamkeit. Das ist an einem Montagmorgen nicht schwer, weil eh kaum jemand redet. Die wahre Kunst ist es, alle wach zu halten. Aber auf Mister Wis Entertainment kann man vertrauen. So langsam verstehe ich seine Art von Mensch. Er ist toll, keine Frage, aber er genießt die Show ungemein und ist eine Dramaqueen. So breitet er seine Arme aus und legt seinen Kopf in den Nacken, als erwarte er Applaus. Kopfschüttelnd seufze ist, beginne aber meine Hände aneinander zu schlagen. Vielleicht war das nicht seine Intention, deshalb ist es aber nicht weniger lustig. Wie ein Lauffeuer machen alle mit, auch wenn die meisten wahrscheinlich gar nicht wissen, wieso sie es tun.

„Ach, das wäre doch nicht nötig gewesen." Aufgrund der Lautstärke habe ich die Tür nicht gehört, die Julius hat durchschlüpfen lassen. Er steht mitten im Raum, sieht ziemlich abgehetzt aus und wischt Mister Wi das Grinsen aus dem Gesicht. Ich sage ja, Dramaqueen. Und so jemanden sollte man niemals den Applaus stehlen. Scheinbar haben wir es hier mit zwei Dramaqueens zu tun. Als Julius' Blick meinen findet, heftet er sich an mich, verweilt dort. Ich tue es ihm nach, weiß nicht so richtig, was ich machen soll. Er hat ein dunkelblaues Shirt und eine helle Jeans an, die seine Beine beto-

„Schlecht geschlafen, Shroeder?" Pikiert verschränkt Mister Wi die Arme und wartet auf eine Entschuldigung. Julius reagiert gar nicht, durchdringt mich immer noch mit seinen gerade verwaschen wirkenden Schokoaugen. Augusts Kichern ertönt kurz, wird aber von einem schlecht inszenierten Räuspern übertüncht. Was sollte das jetzt?

„Ich habe von Ihnen", Julius dreht seinen Kopf zu unserem Lehrer, „geträumt." Zwanzig Paar Augen richten sich erst auf Julius, dann auf Mister Wi. Seine Aussage ist schockierend, klar, aber noch viel interessanter ist seine Strategie. Der kluge Kopf hat Wi seine heißgeliebte Aufmerksamkeit geraubt, die er sich durch die Schrecksekunde nicht wiederholen kann. Er hat verloren, muss mit dem Unterricht weiter machen, kann nicht mehr gewinnen und Julius- Julius ist fein aus der Sache raus und lenkt von sich ab. Bin ich ein Consulting-Detective? Vielleicht nicht, aber Sherlock, mach dich auf einen Konkurrenten gefasst!

In der Jahre dauernden, stillen Sekunde setzt sich Julius auf seinen Platz, während sich unser Lehrer sammelt. Er braucht nicht lange, um seine Haltung wiederzufinden. Als hätte er einen Schalter umgelegt, setzt Wi ein gefälliges Lächeln auf und zeigt auf mich. Was habe ich denn jetzt damit zu tun?

„Paul, drei Adjektive über das Spiel von Samstag!" Erleichtert atme ich aus. „Fesselnd, beeindruckend, dynamisch?" Gott, was rede ich für Schwachsinn? „Sehr gut! Aber mal ernsthaft, der Schiri hat bei dem ‚Foul' mächtig übertrieben, oder?" Jetzt scheint keiner mehr zu schlafen. Zustimmendes Gejohle bricht in den Reihen aus, bei dem ich nicht mitmache. Assia neben mir bleibt auch leise, denn sie hat, nach eigenen Angaben, das Spiel nicht gesehen.

„Merkt euch eure Gesichter! Ich werde euch gleich Material über den Star von Samstagabend austeilen, mit dem ihr euch befassen sollt. Stellt euch vor, ihr sollt ihn der Schule vorstellen, weil er für einen Tag zu uns kommt. Geht bitte davon aus, dass niemand der Zuhörer weiß, wie genau Fußball funktioniert."

Ein Stapel Blätter wird herumgereicht und die ersten Fragen gestellt. Ich sortiere meine Einfälle auf einem Konzeptblatt, als ich Assia neben mir frustriert aufstöhnen höre. „Es kann doch nicht wahr sein, dass man ein Fußballfan sein muss, um am Unterricht teilnehmen zu können! Schreiben wir jemals einen Text über Musicals oder anderen Kulturen? Nein!" Mit gedämpfter Stimme murmelt sie weiter unzufrieden vor sich hin und pustet eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht.

Ich kann sie verstehen, es ist total bescheuert einen informierenden Text über etwas zu schreiben, von dem man kaum eine Ahnung hat, aber hilflos lasse ich sie sicher nicht. Aufmunternd drücke ich ihre Schulter und schlage die erste Seite auf. Zusammen gehen wir das Material durch, ich versuche ihr alles Nötige zu erklären und am Ende macht es ihr doch noch Spaß.

„Danke Paul. Du hast recht, was würde ich nur ohne dich tun." Dankbar schließt sie ihre Arme um mich und flüstert noch: „Aber glaube ja nicht, ich finde diesen balljagenden Schwachsinn jetzt besser."

Be My Cookie (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt