Kapitel 29

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Ich bin schlimmer als ein Teenagermädchen. Sobald Julius' Name erwähnt wird, egal ob damit meiner oder ein Fremder gemeint ist, starre ich in diese Richtung. Die ganze nächste Woche werden meine Gedanken zu Kaugummi, schleppen sich ohne Ziel durch meinen Kopf und bleiben immer an denselben Stellen kleben. Die Hauptrolle in meinem katastrophalen Gedankengut hat Julius übernommen. Sogar mit den Blicken weiche ich ihm aus. Es hilft nicht gerade, dass Assia Julius in den gemeinsamen Stunden immer wieder beobachtet und danach mich inspiziert. Als merke ich nicht, dass sie die Situation viel besser zu verstehen scheint, als ich es tue. Sogar vor dem Einschlafen werde ich von dem Grinsen heimgesucht, das in mir alles aufwirbelt und neu anordnet.

Das Training ist eine willkommene Ablenkung. Mit fliegenden Sprints renne ich meinen Gedanken davon. Das Poltern der Schritte auf dem Hallenboden übertönt meine innere Stimme, die mir widerlich süß ins Ohr säuselt. Meine Sinne werden vom Erahnen der nächsten Spielzüge derart gefordert, dass es keinen Platz mehr für Ablenkungen gibt.

Heute ist das nicht so. Heute passiert genau das Gegenteil. Julius und ich haben letzte Woche ausgemacht, dass ich nach dem Training vorbeikomme. Das Adrenalin des Spiels vermischt sich mit der Aufregung auf nachher und macht aus mir ein zappliges Nervenbündel. Die große Digitaluhr über dem Tor erfährt das erste Mal mehr Aufmerksamkeit als der Ball.

„Okay Jungs, zieht euch um!" Zack entlässt uns mit einem Lächeln in die Freiheit und hinterlässt ein Kribbeln in meinem Bauch. Mit den anderen Jungs ziehe ich mich um und checke einmal mehr, ob ich nicht irgendwas falschherum anhabe. Meine Freunde merken, dass ich nervös bin, fragen aber nicht weiter nach. Julius und ich haben keine Uhrzeit ausgemacht, aber wir haben viel zu tun, also lege ich einen Zahn mehr zu als sonst. Mit gepackter Trainingstasche und halbwegs mit den Fingern gekämmten Haaren, verabschiede ich mich von meinem Team und mache mich auf den Weg.

Durch die Bäume, die an der Abkürzung über dem Parkplatz stehen, blitzt ein schwarzer Pick-up-Oldtimer, den ich nur zu gut kenne. „Hey. Wie war das Training?"

Das Herz in meiner Brust bleibt stehen. Das Gespenst meines Kopfes lehnt mit verschränkten Armen vor der Brust an einem Baum. Unfähig ein Wort rauszubringen starre ich ihn an. Das schwarze T-Shirt überspannt seinen Oberkörper, eine lockere Jeans umspielt seine Beine, die unglaublich viel Kraft in sich tragen. Die blonden Strähnen sind leicht verstrubbelt und sehen perfekt chaotisch aus, was wunderbar zu dem schiefen Lächeln passt, das er mir zuwirft.

„Was... machst du hier?" Na toll, eigentlich wollte ich cool rüberkommen, wenn ich bei ihm auftauche und nicht wie ein zittriges Eichhörnchen. „Wir haben keine bestimmte Uhrzeit ausgemacht und nach dem Sport hast du sicher kein Bock, durch die halbe Stadt zu fahren. Gern Geschehen." Julius führt das nicht weiter aus, sondern rappelt sich auf. Mit einem kraftgeladenen Ziehen öffnet er die Fahrertür und steigt in die Kabine. „Pack dein Gepäck einfach auf die Rücksitzbank."

Gesagt getan öffne ich zaghaft die Tür und drapiere meine Sportasche so, dass sie nicht umherfliegen kann. Danach setze ich mich auf den Beifahrersitz und schnalle mich an. Julius grinst spöttisch, was ich nur meinen vorsichtigen Handgriffen zuschreiben kann. „Wir sitzen nicht in einem Ei, du kannst ruhig alles anfassen." Mit rotem Kopf nuschle ich etwas Unverständliches zurück.

Der Motor heult auf und lässt mich zusammenfahren. Sobald Julius losfährt röhrt der Wagen vor sich hin, übertönt das Radio mit jedem Gasgeben. Ich nutze die halbe Stunde Fahrt, um mich zu sammeln und ruhiger zu werden, das kann ja niemand mitansehen. Während Julius mir von seinem Tag erzählt, bekomme ich mich mehr oder minder in den Griff und beteilige mich an der Unterhaltung.

„Ist es okay, wenn ich duschen gehe, sobald wir da sind? Ich bin im Fitnessstudio gewesen, bevor ich dich abgeholt habe und tue uns beim Arbeiten sicher keinen Gefallen damit. Du kannst dir in der Zeit ja schonmal den Arbeitsauftrag durchlesen." Mein Kopf ist zu sehr damit beschäftigt zu diskutieren was heißer ist, Julius unter der Dusche oder im Fitnessstudio, um etwas dagegen zu haben. „Klaro."

Sobald wir da sind und Julius aufgeschlossen hat, versorgt er mich ganz der Gastgeber mit etwas zu trinken. „Wo sind eigentlich deine Eltern?" Julius gießt sich selbst Orangensaft in ein Glas. „Arbeiten. Und meine große Schwester ist auf der Uni. Die Kleinere ist mit ihren Freunden im Hort und Lotte bei meinem Dad."

Versorgt gehen wir in sein Zimmer, wo er mir den Aufgabenzettel gibt und wieder verschwindet. Ich habe mich auf seinem Schreibtischstuhl niedergelassen, von wo aus ich sein ganzes Zimmer im Blick habe. Unmittelbar erinnert mich meine Position an Assias Haus und unsere Unterhaltung. Gott, wie viele Stunden ich damit verbracht haben muss zu grübeln.

Ich wende mich dem Blatt zu und lese den ersten Satz. Ob Julius traurig ist, dass seine Eltern so selten da sind? Bestimmt gewöhnt man sich irgendwann daran, beschließe ich aus mangelnder Erfahrung. Ich lese den ersten Satz nochmal. Ob er deshalb so viel mit anderen abhängt? Ich lese die ersten drei Wörter. Er musste bestimmt schon oft auf seine Schwester aufpassen. Das erste Wort. So zieht sich die Zeit ins Endlose, ehe die Stufen den Schleichenden knarzend verraten.

Keine Sekunde nachdem ich meinen Blick von dem Blatt hebe, bereue ich es. Im Türrahmen steht der nackte Julius, auf dessen sonnengebräunte Haut die letzten Tropfen glänzen, wie aus Glas. Meine Gesichtszüge entgleiten mir ins Absurde, während Julius ganz entspannt dazustehen scheint. Wie ein Löwe der allein durch seine Wirkung auf Menschen gefeiert wird, steht Julius im Raum und denkt nicht Mal daran sich zu bedecken. Ich verstecke mein Gesicht hinter den Händen und kneife die Augen fest zusammen.

„Oops."

Be My Cookie (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt