Kapitel 10

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Wer mag keine Sonntage? Sonntage sind großartig! Die Meisten schlafen bis in den Mittag hinein oder gönnen sich zum Frühstück Pancakes, um dann die Woche auf der Couch mit der Familie ausklingen zu lassen. Ich mag Sonntage auch, aber nicht aus diesen Gründen.

Sonntags übernehme ich den Laden und die Kundenbetreuung: meine Mum und ich frühstücken zusammen, ich öffne vormittags und empfange die Kunden. Manchmal machen wir das auch zusammen, aber oft hat sie nur sonntags Zeit, um den Papierkram zu regeln und die Abrechnung zu bearbeiten.
Es ist erst 11 Uhr und die ersten Kunden sind nach einer kurzen Tratsch-Runde und frischem Gemüse schon wieder ausgeflogen, um das Mittagessen aufzusetzen. Als letztes geht Mr Peeches mit einem Stängel Lauch und Schmelzkäse aus der Tür und eröffnet damit die Flaute, die bis zum frühen Nachmittag anhält, dann schließe ich den Laden. Mum und ich haben schon mal überlegt früher zu schließen, aber es gibt eben doch ein paar ältere Menschen, die es nicht mehr schaffen allein zu kochen und hier etwas Warmes essen und auch für sie wollen wir so lange wie möglich da sein.

Ich nutze die Chance und mache einen kurzen Abstecher in das kleine Gästebad, um mir mit etwas kaltem Wasser die Hitze aus dem Gesicht zu spülen. Mit dem Kopf unter dem Hahn und dem eiskalten Wasser in den Haaren ist dieser Tag fast zu ertragen. Beim Blick in den Spiegel wuschle ich mir nochmal durch die Haare und muss bei meinem Anblick ein kleines bisschen Schmunzeln. Meine Ladenuniform besteht aus einer weiß und grün gestreiften Schürze mit aufgesticktem Lagenlogo, einem weißen T-Shirt, einer kurzen Hose, die man unter der Schürze kaum sieht. Mit diesem Ding habe ich alle Entwicklungsstadien durch: als ich ganz klein war wollte ich immer unbedingt Mums Schürze tragen, um zu zeigen wie viel Verantwortung ich schon übernehmen kann und mit zwölf war sie mir dann mehr als peinlich, weil ich mich wie eine Zuckerstange gefühlt habe, aber inzwischen ist sie wie eine zweite Haut.

Das helle Klingen der Türglocke ertönt und schnell husche ich aus dem gefliesten Raum. »Seit wann trinkst du veganes Wasser?«, ertönt eine Stimme, die mir mehr als bekannt vorkommt. »Ist besser als Wasser mit Mikroplastik, oder?« Das ist August!
Ich schleiche mich in den Getränkegang, wo Julius auf dem Boden hockt und sich die Etiketten durchliest. Ich kneife mehrmals die Augen zusammen, aber die beiden stehen immer noch da! So große Zufälle gibt es doch nicht, oder? Fuck, dass könnte jetzt sehr unangenehm werden…. außer… »Guten Tag, meine Herren. Was kann ich für Sie tun?«, frage ich mit meinem besten französischen Akzent. August hat mich schon gesehen, aber zu Glück den Mund gehalten und muss sich sichtbar ein Lachen verkneifen. »Alles gut, wir, äh… schauen uns nur um«, erklärt Julius und lehnt sich tiefer in das Fach. »Drogen finden Sie hier aber nicht, junger Mann!«, verspreche ich es ihm nun ohne den Akzent und bekomme das Lachen selbst nicht mehr unterdrückt. »PAUL?!« Der Blondschopf knallt mit einem lauten Wumms gegen das obere Regal. Hoppala. Er dreht sich schockiert um und schmeißt dabei eine Flasche zu Boden. August kugelt sich vor Lachen, Tränen stehen ihm in den Augen und ich sehe selbst bestimmt nicht besser aus. Scheinheilig kommentiert er unser Zusammentreffen: »Ach Paul, was ein Zufall!«

Julius scheint sich inzwischen wieder eingekriegt zu haben, seine Gesichtszüge glätten sich allmählich und er mustert mich ungehalten. »Hi, Paul! Du arbeitest hier?« Ich streiche mit meinen Händen über die Schürze und fühle mich irgendwie wieder wie der zwölfjährige Zuckerstangenjunge. »Der Laden gehört meiner Mutter, ich helfe hier manchmal aus. Was macht ihr hier?« – »Was für ein Zufall, dass wir uns hier treffen! August und ich wollten gerade in den Park gehen, aber August ist auf dem Weg eingefallen, dass er sein Wasser vergessen hat und es unbedingt veganes Wasser sein muss«, erklärt er mir augenrollend.
Von wegen Zufall, ich habe August doch erzählt, dass ich hier arbeite! Und dieses Schlitzohr hat ganz sicher keinen Appetit auf Wasser!

»Was wolltet ihr bei diesem Wetter denn im Park machen?«, versuche ich meine Verwirrtheit zu überquatschen. »Ein bisschen versteckt gibt es dort einen kleinen See, der nicht ganz so voll ist. Was anderes kann man ja bei dieser Hitze nicht machen«, erklärt der Lockenkopf und ich stimme mit einem Brummen zu. Jetzt sehe ich auch, dass die Shorts der beiden eindeutig Badehosen sind. »Wisst ihr was? Jetzt, wo wir hier so stehen, möchte ich doch kein Wasser«, teilt uns August mit. Julius, der an einem Regal lehnt und uns nur beobachtet, stößt zurecht ein »Hä?« aus. Im Gegensatz zu mir findet er das aber nicht so witzig, er wirkt eher etwas vorgeführt. Ich hoffe er nimmt es August nicht übel… Ob das ein Versuch von ihm ist, uns außerhalb der Teams zu Freunden zu machen? Verärgert über Augusts komischen Plan schnaufe ich kurz, merke aber schnell, dass es gar keine so dumme Idee ist. Ich meine, wir sind ja eh schon hier oder? Also können wir uns ja auch ein bisschen unterhalten…

Ich verschwinde hinter der Theke und deute auf die Barhocker gegenüber, wo die beiden auch Platz nehmen. »Boah lecker! Wollen wir Gemüselasagne essen?«, fragt August mit großen Augen, während er auf die Tafel mit den Tagesgerichten deutet. Julius reibt sich sofort etwas fröhlicher die Hände, auch ich könnte langsam was verdrücken. Lachend befülle ich uns drei Teller, mit extra viel Käse versteht sich.

Während das Essen warm wird und ich uns Getränke besorge, unterhalten wir uns deutlich ausgelassener über Gott und die Welt. Scheinbar habe ich mehr Kurse mit August und Julius zusammen als gedacht und der Wuselige der beiden präsentiert uns zehn verschiedene Artikelideen, obwohl wir gerade mal die erste Schulwoche hinter uns haben. Auch beim Essen plaudern wir noch ein wenig weiter und tauschen alle unsere Nummern aus. »Wenn man in so vielen Kursen zusammen ist, muss man sich aufeinander verlassen können«, predigt August mampfend vor sich hin. Dagegen kann selbst ich nichts einwenden und Julius schickt uns kontextlos ein Bild von seinem Lasagnenmassaker. Mit einem Lächeln und vollen Bäuchen verlassen die beiden dann kurz vor der Schließung den Laden und August winkt mir noch bis zur nächsten Wegbiegung zu. Der Junge hat tatsächlich drei Portionen gegessen! Wo bitte speichert er den ganzen Kram?

Das Ende hat den peinlichen Start längst wett gemacht und insgeheim freue ich mich sogar darüber, den Tag nicht allein verbracht zu haben. Und irgendwie hat August sein Ziel erreicht: alle Bedenken gegenüber Julius haben sich verflüchtigt – naja, vielleicht nicht alle, aber die meisten und das ist mehr, als ich erwartet hätte. Ich beende meine Schicht mit einem Lächeln und Putzwasser im Gesicht, schließe den Laden ab, gehe in die Wohnung. Kaputt vom Tag drücke ich meiner Mum noch einen Kuss auf die Stirn und lasse mich dann neben ihr auf die Couch fallen.

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