„Guten Morgen, Paul. Es ist Zeit aufzustehen; das Frühstück wartet, die Eier kochen, die Tees ziehen. Aufstehen..." Die liebliche Stimme einer Elfe spinnt sich durch meinen Geist und führt mich sanft aus dem Dunkel der Nacht. Ganz langsam öffne ich die Augen und sehe einen dunklen Haarschopf am Bettrand. Die Elfe entpuppt sich als Cezara, die mich mit so viel Feingefühl aus dem Schlaf holte, dass ich sie am liebsten engagieren würde. Als sie bemerkt, dass ich die Augen offen habe, schleicht sie zu Assia rüber und flüstert auch ihr das Aufwachmantra in die Ohren.
Ich bin wahnsinnig froh darüber, auch sie hier zu haben. Cezara kannte ich nie sonderlich gut und auch ohne die Verbindung zu Linus, ist sie eine Begegnung wert. Mit ihr haben wir alle wahrscheinlich eine neue Freundin gefunden.
„So, ihr beiden, heute lehnt ihr euch mal zurück. Linus kommt gleich vom Bäcker wieder und das Frühstück ist auch schon vorbereitet. Ich habe Eier und Bacon gemacht, Assia, für dich natürlich die fleischlose Variante. Und jetzt raus aus den Federn, sonst wird noch alles kalt." Als Cezara die Vorhänge aufmacht und das Licht den Raum flutet, sind wir endgültig wach und trotten ihr schlaftrunken hinterher.
Der Duft nach Rührei und knusprig gebrutzeltem Bacon lässt all meine Sinne singen und wie ein Zombie, der Gehirn riecht, wanke ich in Richtung Tisch und klaue mir einen Streifen des guten Zeugs. „Wie kannst du jetzt schon was essen?", fragt mich Assia mit noch rauer Stimme. Sie sieht genauso verstrubelt und knautschig aus, wie ich mich fühle, weshalb ich doch noch kurz im Bad verschwinde, um mir kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen und Zähne zu putzen. Trotz dieser Restaurierungsarbeiten komme ich mit meinen geschwollenen Augen noch immer nicht an die Frische von Cezara heran. Und als dann noch Linus in der Tür auftaucht, beladen mit zwei Tüten Brötchen, fühle ich mich restlos underdressed.
Der Junge mit den hellen Locken muss seinen halben Kleiderschrank mitgenommen haben, um solche Outfits zustande zu bringen. Vielleicht ist es auch nicht das halb offene rosa Hemd mit weißen Punkten oder die schwarze Jeans mit den polierten Lederschuhen, vielleicht ist es die Art, wie er seine Sachen trägt. Mit so viel Leichtigkeit und Eleganz verschönert wohl niemand einen Wanderweg so sehr, wie er. Wobei er gestern eher auf Komfort als auf Schmuck oder Farben gesetzt hat, was mir eine Ahnung gibt, was wir heute machen. Aber erstmal ist das Essen deutlich interessanter.
Assia und ich sollen uns trotz fehlender Utensilien hinsetzen und den Tee kosten. Den Rest erledigen die beiden wie im Flug, sodass wir schnell unsere Teller füllen können. „Wir wollten uns dafür bedanken, dass ihr, vor allem du, Assia, uns hier Urlaub machen lasst." Bestärkend nimmt Linus Cezaras Hand, die sich dann auch einschaltet. „Ja, trotz dessen wir uns noch nicht so lange kennen, können wir so tolle Tage miteinander verbringen. Vielen Dank dafür und ich hoffe, dass wir nicht nur ertragen werden." Lachend sehen Linus und ich uns an, aber ich verkneife mir den neckischen Kommentar, der mir auf der Zunge liegt. Linus weiß auch so, was ich sagen will. Und während ich dabei seine vor Glück strahlenden Augen sehe und neben mir Assia gar nicht weiß, was sie sagen soll, kommt ein Gefühl in mir hoch, dass ich unter der Freude der letzten Tage vergraben habe.
Die Geheimnistuerei, mit der ich von meinem Freund abgedriftet bin, muss endlich ein Ende haben. Spätestens jetzt sollte ich gecheckt haben, wie sehr ich Linus vertrauen kann und wie sehr ich mich verfluchen würde, würde ich diese Chance nicht nutzen. Und als die Notiz in meinem Kopf abgespeichert wird, heute mit ihm zu reden, kann auch ich die drei befreit angrinsen.
Während der Brötchenkorb rumgereicht wird und sich alle beherzt bedienen, erfrage ich, was wir denn heute machen wollen. Aus Linus' Kleiderwahl erschließe ich, dass die beiden da schon etwas im Sinn haben. „Du hast recht, nach dem gestrigen Wandern können wir heute wahrscheinlich keine matschigen Blätterwege mehr sehen. Ich habe gestern von den Booten aus eine kleine Stadt gesehen, die ganz niedlich von weitem aussah. Linus hat dann ein bisschen recherchiert und wir haben sie tatsächlich entdeckt. Wir haben aber keine Verbindung mit Bus oder Bahn gefunden, aber wir sind ja mit dem Auto hier. Wie findet ihr die Idee?"
Assia und ich haben nichts gegen den Vorschlag und da Assia das Örtchen kennt, erzählt sie uns von dem besten Buchladen weit und breit und einem kleinen Café, bei dem jedes Stück Kuchen eine Kunst für sich ist. Die Aussicht auf ein Stück Torte feuert auch mich an, begeistert zuzustimmen und auf die nächste Portion Ei vorrausschauend zu verzichten. Um die Eskapaden von dem Kochen gestern nicht zu wiederholen, machen Cezara und ich aus, uns heute um das Abendbrot zu kümmern. In der Stadt wird es sicher auch einen Lebensmittelladen geben.
Die Belanglosigkeiten des Fertigmachens und Aufräumens sind nicht erwähnenswert, sodass wir wenig später das Haus verlassen. Hinter dem Haus laden wir unsere Sachen in den kleinen Kofferraum von Linus' VW Käfer ein und tummeln uns auf der Rücksitzbank. Linus und Cezara sind die einzigen, die von uns alt genug für einen Führerschein sind, wobei auch nur Linus dieses Auto fahren kann. So schön der hellblaue Wagen auch sein mag, so hat er seine Tücken, wie Linus und ich schnell herausfanden, als er ihn zum Geburtstag bekommen hat.
Assia ist von dem Wagen hellauf begeistert und löchert Linus über Zylinder, Achsenabstände, Reifendruck und was nicht alles. Derweilen genieße ich die vorbeirauschende Natur und schließlich den Wandel zu Gebäuden, Einkaufspassagen und einzelnen Touristen. Schon beim Durchfahren fällt auf, dass es nur drei kleine Einkaufsstraßen gibt und der Rest zu Wohnhäusern gehört, aber die kleinen Restaurants und verwinkelten Läden wiegen die Quantität wieder auf. Am wahrscheinlich beeindruckendsten ist aber die helle Kirche in der Mitte der Passagen, die über die anderen Häuser hinausragt.
Sobald Linus in einer Nebenstraße geparkt hat, teilen wir uns auf und während mein bester Freund mit Cezara in dem erwähnten Bücherladen verschwindet, steuern Assia und ich die Kirche an. Bewaffnet mit Zeichenblock und Stiften aller Art drehen wir unsere Runden um das Gebäude. Die Efeuranken, die sich um die weißen Wände räkeln, werden zum ersten Motiv ihrer Bilderreihe. Als wir dann sogar von einem Mitglied der Kirche hineingebeten werden, wird Assia zum Flummi. Die hohe Decke der Kapelle ist von allen möglichen geometrischen Formen umrahmt und Säulen ziehen sich durch den Raum. Der Glaubensvertreter scheint sich über unsere Begeisterung zu freuen und erzählt uns allerlei Fakten zu dem Gebäude.
Als unsere Freunde dann auch auftauchen, mit einer von Büchern schweren Tasche, gehen wir in das kleine Café, von dem Assia gesprochen hat und sobald ich die Schoko-Bananen-Creme-Torte sehe, ist es um mich geschehen. Die ältere Dame, die uns bedient, beginnt bei Assias Anblick zu strahlen und setzt sich sofort auf einem herangezogenen Stuhl zu uns an den Tisch. Sie muss schon längst über dem Rentenalter hinaus sein, scheint sich aber blendend an ihre Kunden zu erinnern. „Ich weiß noch, wie du jeden Tag in mein Geschäft gekommen bist und so lange die Schokokekse angestarrt hast, bis ich dir irgendwann eine große Tüte voller zerbrochener Ware gegeben habe, weil ich das nicht mehr mit ansehen konnte. Aber anstatt du deine Besuche auslässt, bist du trotzdem jeden Tag wiedergekommen und hast dich in an einen Tisch gesetzt, um deine mitgebrachten Kekse zu essen."
Peinlich berührt wird meine beste Freundin auf ihrem Stuhl immer kleiner und gibt schließlich den Grund ihres Wiederkommens preis. „Sie schmecken nun mal nur hier. Und hier riecht es immer so gut, dass die Schokokekse auch viel besser geschmeckt haben." Auf Nachfrage von mir fügt sie noch hinzu, dass sie erst sieben oder acht gewesen sein kann, aber das schon immer ihr Lieblingsladen war.
Die ältere Dame, die wir doch „Fran" nennen sollen, reicht uns vier heiße Schokoladen, um auf unsere Kuchenbestellung zu warten. Tatsächlich liegt an jedem Teetassenrand besagter Keks und nach einem Bissen wird klar, wieso klein Assia verrückt danach war. Ich würde für dieses Gebäck einer Sekte beitreten.
Beladen mit den Torten, für Assia eine Schokobombe, für Linus eine Cremetorte und für Cezara Blaubeere-Vanille, kommt Fran zu uns und wünscht einen guten Appetit. Schmatzend schaufeln wir uns bis zum letzten Krümel Gabeln in den Mund, genießen aber jeden Quadratmillimeter der Leckereien. Dabei erzählen wir uns Süßigkeiten-Geschichten aus unserer Kindheit und lassen uns gegenseitig von jedem Stück kosten. Es ist einer dieser Momente, in denen man fast traurig wird, weil man ganz genau weiß, dass es ihn nur einmal gibt, aber gerade, da fühlt es sich an wie unsere perfekte kleine Ewigkeit.
DU LIEST GERADE
Be My Cookie (boyxboy)
RomancePaul ist Captain einer Fußballmannschaft und versucht die zwölfte Klasse zu überleben. Trotz neuer Freunde, die ihn gegen alte Feinde unterstützen, macht ihm das gegnerische Team das Leben schwer. Obwohl sein Schwulsein nie ein Geheimnis war, bringt...