Kapitel 57

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„August, wie soll ich mich bloß entschuldigen? Ob Worte reichen, um das wieder gut zu machen?"

Als der Inhalt seiner Worte in meinem Hirn ankommt, reiße ich die Augen auf. Mister Ich-hab-kein-Problem möchte sich von August helfen lassen? Und noch wichtiger – er will sich entschuldigen? Trotz dessen meine Lippen zusammengepresst sind, antwortet das Ding in meiner Brust mit schnellen Schlägen.

„Julius, das was du abziehst ist mies und wenn du Augen in Kopf hättest... Ach egal. Ja, das wird schwer, aber" Das Knarzen der Tür lässt die beiden verstummen und ich höre, wie der Wasserhahn angeht. Innerlich verfluche ich diese Unterbrechung, weil ich das Murmeln der beiden höre, aber nichts verstehen kann. Erst als das wiederholte Öffnen der Tür verklungen ist, reden sie weiter.

„Lass einfach deinen Charme spielen und versuche dich zu erklären, mehr kannst du nicht tun." „Oh man, ich bin so ein Idiot. Los komm, ich will es so schnell wie möglich hinter mich bringen."

Wieder ist alles ruhig und die Schritte der beiden Freunde verhallen. Das kalte Plastik der Tür kriecht mir langsam unter die Haut, aber ich warte vorsichtshalber noch eine Minute, ehe ich aus der Kabine trete. Wenigstens habe ich nicht herausgefunden adoptiert zu sein oder irgendwelche Fähigkeiten zu besitzen. Nein, diese erlauschten Informationen sind viel besser!

Mit einem breiten Grinsen wasche und desinfiziere ich im Vorraum meine Hände, so lange wie ich die Tür umklammert habe. Scheinbar waren meine Zweifel gegenüber dem glücklichen Gemüt meiner Freunde völlig unbegründet und es wird besser. Vielleicht muss ich ja gar nicht auf morgen warten oder übermorgen, vielleicht ist heute ja der langersehnte Tag.

Bepackt mit Materialien und Heftern, schlendere ich zum nächsten Unterrichtsraum. So schnell wie möglich bereite ich mich auf den Unterricht vor, als würde das die Zeit voran treiben. Entgegen meiner Erwartungen dauert die fünfundsiebzig-Minuten-Stunde auch fünfundsiebzig Minuten, aber wenigstens ist die Stunde angenehm und weniger nervig als sonst. Vielleicht liegt das aber auch an meinem strahlenden Lächeln, das wie angetackert mein Gesicht ziert.

In der dritten Stunde bin ich deutlich unruhiger, denn die Mittagspause rückt näher und verdammt, die könnte interessant werden. Als es dann tatsächlich zur Pause läutet, kriege ich mich gar nicht mehr ein. Ist eine Fünfzehn-Sekunden-Tanzparty gerade unangebracht? Gut, man soll nicht mit Geld rechnen, das man nicht hat, sagt man ja, aber wen kümmert es? Natürlich ist ihm noch längst nicht verziehen und auch ist noch nicht Friede, Freude, Eierkuchen, aber die Worte von dem ehemaligen Gargoyle klangen aufrichtig und es ist nie zu spät für erste Schritte. Und in erster Linie möchte ich einfach den alten Julius zurück haben.

„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben du hast gerade erfahren, dass du schwanger bist? Oder hast du im Lotto gewonnen? Nein, warte! Du hast herausgefunden, dass Sebastian Stan schwul ist und er hat dich auf ein Date eingeladen?" Meine grünblau gelockte Freundin trat geradewegs aus einem Klassenzimmer, als ich an diesem vorbeilaufe. Mein Grinsen muss man nicht sehen, um zu merken, wie glücklich ich bin. Vielleicht ist es mein Gang, vielleicht eine Art Aura. Aber egal wie übernatürlich, Assia muss es aufgefallen sein.

Ihre Worte übergehe ich einfach, schließe sie in die Arme und wippe dabei auf Zehenspitzen hoch und runter, an Stillhalten ist nicht zu denken. Da ich meine Klappe aber einfach nicht halten kann, versuche ich es mit einer möglichst vagen Andeutung. „Ach, ich bin einfach fest davon überzeugt, dass dieser Tag anders sein wird als die anderen und vielleicht hat mir einer von Cinderellas Vögelchen zugeflüstert, dass die Geschichte zwischen einem gewissen Blondschopf und mir doch noch gut ausgehen könnte." Mit offenem Mund löst sich Assia von mir und starrt mich an, als wäre ich nun völlig verrückt geworden. Herzlich amüsiere ich mich über ihre Pose, greife aber keine Sekunde später nach einem ihrer Arme und ziehe sie weiter.

„Sag mal ist es dir zu verdanken, dass heute die Sonne scheint und es sogar warm ist? Oder stehst du in direktem Kontakt zu einer Wetterhexe?" Assia scheint sich nicht länger an ihrer Verwirrung aufzuhalten und trabt mit mir die Treppen herunter. Tatsächlich strahlt die Sonne durch die Fenster und während wir an den Lichtpunkten vorbeisausen, leuchten ihre Haare in allen Blau- und Grüntönen auf. Belustigt lege ich einen Zeigefinger an die Lippen und flüstre mit vorgehaltener Hand: „Die Fische fliegen bei Nacht."

Aber genug von Wetterhexen, Meerjungfrauenhaare und Klointrigen. Das Mensagebäude strahlt uns förmlich an und dank des Wetters wuseln allerlei Kinder über den Hof, als folgen sie irgendwelchen unsichtbaren Pfaden. Wie beim Parkour winden wir uns um die abgebrochenen Gartenzwerge und winken August und Julius zu, die an einer freien Bank wie Leuchttürme herausstechen. Ob er jetzt mit mir reden möchte? Hoffnung kribbelt wie Kohlensäure durch meine Adern und ich werde zu Ginger Ale.

Der geheimnisumwobene Junge macht aber keinerlei Anzeichen und signalisiert mich auch nicht an die Seite, also nehme ich mir vor, erstmal nicht ganz so glücklich zu wirken. Schließlich weiß ich offiziell ja nichts von der Unterhaltung und den zukünftigen Ereignissen. Mit viel Anstrengung unterdrücke ich das Lächeln und sperre es in eine Kiste. Nur meine Augen bekomme ich nicht davon überzeugt, ein bisschen weniger zu strahlen.

„Was steht heute zur Auswahl?", fragt August, dem es mal wieder nur ums Essen geht. „Nudeln mit Bolognese Soße oder Marokkanisches Gemüseallerlei." Nie im Leben hätte ich mir das gemerkt, vor allem nicht, weil ich immer schon für die ganze Woche bestelle und nicht Tag für Tag. Assia scheint es da anders zu gehen und wird mit einem anerkennenden Lächeln von August belohnt. „Richtig, liebe Assia. Und da ihr sicher aus euren Fehlern lernt, hab ihr was bestellt...?" Im Einklang sagen wir laut „Nudeln", wobei ich deutlich zu motiviert klinge, weshalb ich meine Worte noch einmal weniger energiegeladen hinterher schiebe.

Unsere Wahl erweist sich tatsächlich als die Richtige, während der gestreute Käse auf unseren Gabeln Fäden zieht. Das andere Gericht kann man nur als minderwertig beschreiben. Statt Gemüseallerlei sieht es eher so aus, als hätte jemand aus Marokko den Komposthaufen aus seinem Keller in einen Topf geworfen. Wie glücklich wir uns doch schätzen können August zu haben. Dieser wiederrum atmet seine Portion so schnell ein, dass er sich keine fünf Minuten später die zweite holt. Als er weg ist und ich mit Assia und Julius allein bin, schnappt die Truhe mit dem verborgenen Lächeln auf und meine gute Laune schwappt in Wellen über mich hinweg. Ich fühle mich, als wäre ich Mario und hätte diesen Stern intus, der einen in Regenbogenfarben unzerstörbar macht. Die Musik, die auf diesem Trip läuft, wird mich noch den ganzen Tag verfolgen.

Als Assia eine Nudel... einschlürft, verteilt sie Spritzer von Soße auf ihrem Kinn und den Tabletts, was mich sofort dazu motiviert, ihr einige zu klauen. Man sollte sich beim Essen nun mal nicht ablenken lassen. „Hey, dein Teller ist doch noch halbvoll!" „Tja, wenn du nicht mit den Nudeln umgehen kannst, dann verdienst du sie auch nicht!" „Aber ich bin nichts ohne diese Nudeln!" Während wir uns weiter zoffen und Zitate wiedergeben, nutzt Julius die Gelegenheit und fischt mit seiner Gabel einen Schwung Nudeln von Assias Teller. „Paul hat recht", sagt er mampfend, „Wenn du nichts ohne diese Nudeln bist, dann solltest du sie auch nicht essen." Erschüttert tauschen Assia und ich Blicke aus, wobei ich nicht weiß, was mich mehr erschreckt, dass Julius Spiderman gesehen hat oder er tatsächlich mitmacht.

Während August den vollen Teller auf den Tisch stellt, haben wir uns sämtlichen Tellerinhalt geklaut und dabei mehr als einmal gekleckert. August, der die Situation sofort erkannt hat, schiebt sich soweit über seinen Schatz, dass niemand ihm sein Essen klauen kann. Da es nun aussichtslos scheint, essen wir die zusammengewürfelten Nudeln auf unseren Tellern brav auf und laufen gemeinsam zum nächsten Unterricht. Dass mich Julius noch nicht angesprochen hat, zerrt an meinen Nerven, aber der Tag ist noch lang.

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