Kapitel 70

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„Und seien wir mal ehrlich, er hat sich ein wenig angestellt, aber ich habe ihn die letzte Runde gewinnen lassen", raunt August meiner besten Freundin hinter verhaltener Hand zu.

„Aber das stimmt doch gar nicht! Wer hat denn die schwarze Kugel versenkt, weil er farbenblind ist?" Ohne auf die Verteidigung meiner Billardkünste einzugehen, schnappt sich August meinen halb leeren Teller und beendet damit unseren Wortwechsel. Mich beschleicht das Gefühl verloren zu haben, schließlich gibt es Hackbraten.

Diesmal haben Assia und ich uns nicht in der Bibliothek verkrochen und kommen deshalb in den Vorzug von Augusts Gesellschaft. Und Julius ist auch da. Aber den bemerkt man kaum, weil er so wie in der Woche vor den Ferien einsilbig vor sich hin brummt und nur ab und zu einen Kommentar ablässt. Nicht, dass damit mein Herz aufhören würde bei jeder seiner Bewegungen schneller zu schlagen oder meine Knie nicht weich werden, wenn sich der Junge mit den blonden Haaren mal meldet, aber seine wenigen Kontaktaufnahmen erleichtern es mir, seinen Fragen auszuweichen, die glücklicherweise ja ausbleiben.

Von August kann man das aber nicht behaupten. Da wir gestern so in das Spiel vertieft waren, haben wir nicht über unsere Ferien geredet und ich war auch ganz froh darüber, weil der Auslöser dieses Trips ja irgendwie auch mit der Geschichte von seinem besten Freund zu tun und ich möchte nicht mehr lügen und verheimlichen, als ich es eh schon tun muss. Genau deswegen hatte ich mich damals eigentlich geoutet, aber wenn nicht jeder Mensch Geheimnisse hätte, wäre das Leben langweilig, oder?

„Wie waren denn nun eure Ferien? Bei der einen Woche passiert ja nie so viel..." Wie sehr sich August irrt. Wow. Wenig passiert ist tatsächlich nicht, aber ich werde nicht derjenige sein, der ihn anlügt. Assia und ich tauschen einen Seitenblick aus, wobei ich meinen Mund so verziehe, als dass sie meine Bedenken mitbekommt. Tapfer ergreift sie das Wort. „Ja, eh ne. Das stimmt nicht. Paul, Linus, Cezara und ich waren in den Ferien in einem Ferienhaus meiner Eltern und wir haben Urlaub gemacht. Wir waren Kanufahren, haben eine Pyjamaparty gemacht und haben mehr oder weniger gut gekocht. Was hast du denn gemacht?"

Augusts Augen fallen ihm fast aus dem Kopf. „Ist doch egal was ich gemacht haben! Dagegen ist das ja voll langweilig. Erzähl du lieber was ihr gemacht habt." Jetzt hebt auch Julius seinen Kopf und blickt zwischen Assia und mir hin und her. Sobald sein Blick mich streift, senke ich meinen Kopf und betrachte meiner Fingerknöchel eindringend. Ich sollte echt mehr Handcreme benutzen. Ob es welche gibt, die nicht nach Blumen riechen? Im Haushalt meiner Mum sicher nicht. Schaut er immer noch?

Während Assia kurz zusammenfasst, was wir alles so gemacht haben, natürlich ohne Einzelheiten zu verraten, spüre ich immer noch die Hitze unter meiner Haut kribbeln, die besser als jedes Warnsystem ist. Dementsprechend beteilige ich mich weniger als das Essen vor mir am Gespräch, frage August aber danach, was er denn nun gemacht hat. Dass Julius von unseren Erlebnissen erfährt, stört mich erstaunlicher Weise, wobei er damit ja nichts zu tun hat.

Mein Kumpel mit der Beanie auf dem Kopf fasst kurz das zusammen, was jeder von uns kennt. An ein bis zwei Tagen hat er sich mit einem Kumpel getroffen, in diesem Fall Julius, und ansonsten hat er gelernt und war abends im Dämonenclub. Gut, jeder kennt es, bis auf die Besuche im Underground. Als August von dem Club erzählt, muss ich unweigerlich lächeln, weil mir die Erinnerung wie Kaugummi im Haar kleben.

Nach seinen Erzählungen wird es wieder still und inzwischen kann auch ich den Kopf wieder gefahrlos heben. Ich kann mich nicht mal mitessen ablenken, weil mir August ja meinen Teller geklaut hat. Der Übeltäter stöhnt genervt von der schwachen Unterhaltung auf und deutet ein Augenrollen an. Sicher hat er solche Gespräche schon in den Ferien zur Genüge geführt, weil ich mir vorstellen kann, dass Julius auch privat so arschig ist. Das arme Duracell-Kaninchen muss wie eine meiner Zimmerpflanzen durch Lieblosigkeit eingegangen sein.

„Wieso machen wir sowas nicht mal öfter?", frage ich August. „Uns anschweigen?" Kopfschüttelnd strecke ich die Arme nach meinem noch nicht ganz leergefutterten Teller aus, aber August denkt gar nicht daran, ihn wieder rauszurücken. „Nein, du Torte. Ich meine Ausflüge ins Underground. Gegen eine Partie Billard ist nie etwas einzuwenden und genug Zeit zum Lernen hat man ja trotzdem." Das ich damit einen Fehler mache, wird mir erst deutlich später bewusst. Als ich bemerke, dass August damit nicht nur uns beide impliziert.

„Ja, man! Lass uns doch alle hingehen! Donnerstag? Da schreiben wir keine Klausur. Assia, hast du schon mal Billard gespielt?" Mir rutscht das Herz in die Knie. Wer hat von allen gesprochen? Es reicht ja schon, dass ich Julius in der Schule unweigerlich sehe, aber muss ich mir auch noch meine wenigen gedankenfreien Abende nehmen lassen? Assia zeigt mit einem Wackeln ihrer Hand, dass sie zumindest schonmal einen Queue in den Händen hatte, mehr aber auch nicht. „Können wir auch Linus fragen, ob er mitkommen möchte?", fragt sie beherzt. Dabei schießen mir genau zwei Sachen durch den Kopf. Zum einen, dass ich es niedlich finde, wie sich meine beiden besten Freunde super verstehen und Assia Linus liebgewonnen haben muss. Zum anderen, dass sie damit vielleicht erhofft den Schaden wie eine Säure so weit zu verdünnen, bis es nicht mehr ganz so ätzend ist. Ob das auch mit Menschengruppen funktioniert?

„Je mehr, desto besser." „Ich passe. Ich muss meine kleine Schwester von einer Freundin abholen." Lieber Gott im Himmel, danke, dass du einmal meine Bitten entgegennimmst! Julius' Absage lässt auch mich lächeln, sodass Assia und ich uns schließlich angrinsen. Dann könnte der Nachmittag doch noch ziemlich cool werden. Dabei ist es mir egal, ob das von Julius nur eine Ausrede war oder ob er wirklich seiner Schwester einen Gefallen tut. Ein leichter Stich geht durch meinen Brustkorb, als ich an die kleine Maus denke. Gesehen habe ich sie zwar nicht, aber die Erzählungen haben gereicht, um zu beweisen, wie sehr Julius sie liebt. Bei ihr wird er doch nicht so unausstehlich sein, oder?

Dass ich meine Gedanken nicht an den Jungen mit den Schokoaugen verschwenden möchte, ist ein ziemlich guter Entschluss wie ich finde, sodass ich alles in die Schublade in meinem Kopf zurücklege und sie mit einem Vorhängeschloss verriegle. Hoffentlich hat er bei unserem nächsten Treffen keinen Bolzenschneider dabei.

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