Kapitel 34

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Seit den gestrigen Vorfällen scheint mir Julius nicht mehr von der Seite zu weichen, was ich mehr als erfreulich finde. Der arme Kerl scheint sich mehr erschreckt zu haben als ich, es muss der Situation verschuldet gewesen sein, dass er einen kühlen Kopf behielt. Ich zu meinem Teil bin überglücklich und lasse es mir nicht nehmen, ihm näher zu kommen. Assia und ich waren zusammen in die Mensa gegangen, nachdem sie mich überzeugt hat, dass es heute ganz sicher nicht nur Fisch geben wird. Dass heute Freitag ist und es freitags bekanntlich immer Fisch gibt, ließ ich ungeachtet, denn mit Assia zu essen wollte ich mir nicht nehmen lassen. Ich habe ihr auch nur gesagt, dass ich nicht mitkommen möchte, um sie ein wenig aufzuziehen, denn ich wäre ihr so oder so gefolgt.

Da Julius mich keine zwei Minuten nach dem Pausenton abfing und sich unterhakte, schien sie deutlich zu begrüßen. Assia hat bisher wenig mit Julius zu tun gehabt, durfte nur meinem Geschwärme lauschen, aber sie kannte ihn gut genug um sofort entzückt zu schauen.

„Hey, Jungs! Und Assia. Hi! Tut mir leid, dass ich erst jetzt komme, aber ich bin verzweifelt!" Ein wie immer aufgeregter Lockenkopf kickt seine Sachen unter den Tisch und zieht sich einen Stuhl heran, um sich an unseren Tisch zu setzen. Wir sind bereits zur Hälfte mit unseren Fischstäbchen fertig und haben uns schon gewundert, wo August blieb. Mit hechelndem Atem zieht er sich das blaue Tablet seines Freundes heran und mopst ihm kurzer Hand die Gabel, um sie, noch vollbeladen in seinen Mund zu schieben. Als wäre das selbstverständlich zuckt Julius nicht mal mit der Wimper, wohingegen Assia ihr eigenes Tablet fester umklammert. Mit einem Grinsen schiebe ich dem Schokoauge meinen Teller entgegen und reichte ihm den unbenutzten Löffel, der bisher nur zur Zierde auf dem Tablet lag. Julius zwinkert mir dankend zu und macht sich über meinen Kartoffelbrei her. Mein Herzschlag beschleunigt sich bei der Geste um ein Vielfaches. Hoffentlich habe ich mir jetzt nicht auf die Lippe gebissen.

Als August seinen Teller blitz und blank gefuttert hat, seine Backen kommen denen eines Hörnchens sehr nahe, klärte er uns erstmals über seine angesprochene Verzweiflung auf. „Nächste Stunde bin ich bei der nächsten Schülervertretung und dort müssen wir die Ideen zu unseren Projekten präsentieren. Ich kümmre mich, wie ihr sicher schon mitbekommen habt, um die Schulparty nächsten Jahres und es ist so gut wie alles durchgeplant. Wir haben eine Lokation, wir haben einen Caterer, alles da! Nur die Entscheidung über das Motto wollte ich niemandem anvertrauen, weil die meisten in meiner Gruppe wenig über aktuelle Trends und Themen wissen. Zwischen den ganzen Artikeln, die ich gerade für die Schülerzeitung schreibe, ist diese Aufgabe irgendwie unter gegangen." Beschämt lässt August seine Stirn auf die Tischplatte fallen und seufzt theatralisch auf. „Ihr habt nicht zufällig Ideen?"

Der verzwickten Lage unseres Freundes bewusst, verkneifen wir uns Kommentare; ich kichere nur in ich hinein. Der arme Bursche. Man kann förmlich die Gedankenblitze der anderen hören, die durch die Synapsen meiner Freunde schießen, bis Julius die erste Idee hat. „Was ist mit einer Party nach dem Motto Stars und Hollywood? Ist einfach zu dekorieren und jeder ist bestimmt von irgendjemandem Fan." Nickend stimme ich meinem Schwarm zu und habe mich in dem Trikot von Julius vor Augen. Ich bin ein Fan von dir, du irgendjemand. Oh Gott ist die Vorstellung kitschig. August stöhnt nur, sein Gesicht auf dem Tisch ist verdeckt von den strubbeligen Haaren, die trotz Beanie in alle Richtungen hängen. „Laaaaangweilig. Das ist so typisch und nicht sonderlich kreativ. Außerdem hatten wir das vor fünf Jahren schon mal. Trotzdem danke, alter." Nach einer kurzen Diskussion, dass August doch derjenige ist, der langweilig sei und er in der kurzen Zeit keine Wunder erwarten durfte, rattern die Rädchen in unseren Köpfen weiter.

Ich durchsuche meine Erinnerungen nach jeglichen High-School-Filmen, aber viel Sinnvolles kommt dabei nicht raus, vor allem, weil mir Zack Efron dabei ins Ohr singt. Aus mangelnder Kreativität versuche ich es mit Kostümen, die mich vielleicht auf eine Idee bringen. Als sich der Blondschopf in einem schwarzen Anzug und einer Maske mit Silberapplikationen in meinen Kopf drängt und ich pompöse Ballkleider im Kreis wehen sehe, formt sich ein Vorschlag. „Kennt ihr diese historischen Romane vom Barock? Sowas wie venezuelischer Maskenball zum Beispiel." „Woher kennst du denn sowas?" Julius schaltet sich ein, der trotz meiner lebhaften Vorstellung leider immer noch im T-Shirt vor mir sitzt. „Meine Mum und ich haben da letztens dieses Musical geschaut..." Ohne eine weitere Erklärung zuzulassen, fährt mir August nach einem Blick auf die Uhr über den Mund. „Ich muss zugeben, dass die Idee wirklich gut ist, aber woher sollen die Schüler auf einmal Barockkleider mit Reifrock und allem drum und dran herbekommen? Außerdem sind die Planungen dadurch deutlich schwerer. Walzer und Fächertanz sind auf keiner Party so gern gesehen."

Ach Mist, wo er recht hat, hat er recht. Die Uhr tickt und nach weiteren Ideen, die alle mit viel Motivation, aber wenig Umsetzung ihren Weg in den Gedankenmülleimer finden, verstummen wir langsam und brüten leise vor uns hin. Dass ich nicht so recht was beisteuern kann, tut mir sehr leid, gerade weil es für August so wichtig ist, aber Julius sieht mich zwischenzeitlich immer wieder lächelnd an und klaut sich Fischstäbchen von meinem Teller. Am liebsten würde ich ihn um die nächste Ecke schleifen, uns ein Sofa suchen und mich an ihn kuscheln, aber das fänden wohl weder er, noch andere Beteiligte lustig. Assia scheint von meiner Hilflosigkeit ergriffen zu sein und tätschelt unter dem Tisch immer mal wieder meinen Arm, als wolle sie bestätigen, dass ich alles richtig mache.

Es sind noch zehn Minuten bis Pausenende. Neun Minuten. Acht Minuten. „Assia, komm, sag du doch mal was. Du hast doch sicher auch Ideen! Madame, Ihr seid meine letzte Hoffnung, meine Ehre liegt in Euren Händen, oh Teuerste." August setzt sich kerzengerade hin und trommelt gegen den Tisch. Meine Freundin ist von der direkten Anrede erschreckt, ihre Wangen färben sich rot und nun ist es an mir, sie zu bestätigen. Ich lehne mich näher zu ihr und sie beruhigt sich deutlich. Es ist Wahnsinn, wie sich unsere Freundschaft entwickelt hat und das Assia sich soweit öffnet.

„One night in Las Vegas. An dem Ort, wo Menschen ihre Seele an den Teufel verkaufen, wo Menschen in Hinterzimmern verschwinden und nie mehr wiedergesehen werden, wo Träume wahr und Konten leer werden." Verdattert fällt Julius die Kinnlade herunter. Würde ich Assia nicht so gut kennen, würde es mir ähnlich ergehen. Ein tiefes, schallendes Lachen ertönt aus meiner Kehle und ich kann mich kaum noch halten. Ich liebe meine Freundin; was würde ich nur ohne sie machen. Ich wische mir eine imaginäre Träne aus dem Auge, wissentlich, dass mich Julius jetzt noch verdutzter anstarrt. August hingegen stehen Sterne in den Augen und wüsste ich es nicht besser, würde ich meinen, er hat gerade erfahren, dass er Milliarden im Lotto gewonnen hat.

Der Wuschelkopf beugt sich über den Tisch, drückt Assia überschwänglich einen Kuss auf die Stirn und alles an ihm beginnt vor Freude zu knistern. Assia zieht sich wie auf Knopfdruck zurück und hält sich klammernd an meinem Arm fest. „Das ist perfekt! Champagner für die Volljährigen, alkoholfreie Cocktails für die unteren Klassen. Glitzer, Samt, Diamanten. Farben sind rot, schwarz und grün. Kleidung ist einfach zu gestalten und es werden unglaubliche Blickfänger! Das ist perfekt!" Bis zur letzten Minute brainstormen wir alle möglichen Kleinigkeiten, von Musik über die Einladungskarten bis über verschiedenster Deko-Elemente, bis alle vollends zufrieden sind. August rauscht an uns vorbei, brettert dabei fast sein gestohlenes Tablet vom Tisch, um pünktlich in der Aula zu erscheinen. Julius verabschiedet sich als nächstes, zwinkert Assia zu, die noch immer ganz verwirrt ist und drück sich über den Tisch an mich. Er scheint von Augusts Euphorie ergriffen zu sein, weniger nachzudenken. Vielleicht geht es auch nur mir so und Julius ist einfach nett.

Assia und ich machen uns als letzte auf den Weg, beladen mit Geschirr und guter Laune. Als wir außer Hörweite sind, blickt Assia alle paar Sekunden über die Schulter. Was soll das denn? Ist sie ein Agent, der seinem Kunden etwas zustecken muss? Oh man, jetzt verstehe ich wieso August so gut drauf war, das Thema ist genial! Die Grünhaarige beugt sich beim Laufen an mein Ohr und murmelt: „Das lief super. Ob wir vielleicht bis Ende der Woche mit froher Kunde rechnen dürfen?" Sie spielt auf eine Szene aus Sherlock an, in der Watson auf seine enge Bindung zu Sherlock angesprochen wird. Stolz lächle ich von einem Ohr zum anderen und lege einen Arm um Assias Schulter, ehe uns unsere Kurse trennen.

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