Kapitel 73

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Assia hat mir extra gesagt, dass ich die Pfoten aus dem Gesicht lassen soll, aber ich mache natürlich das Gegenteil. Die Aufregung ist so groß, dass ich mir immer wieder verirrte Strähnen aus der Stirn wische und dabei vergesse, dass ungefähr eine Tonne Schminke darauf ist. Meine beste Freundin hat ein wahres Wunder vollbracht und mich in ein Skelett verwandelt, das ziemlich cool aussieht. Dazu habe ich mir die Haare nach hinten gegelt und einen schwarzen Mantel übergeworfen, in dem ich mich noch geheimnisvoller fühle. Als August dann als pseudo Pirat auftauchte, war ich fast enttäuscht, weil ich ihn mir eher als verrückten Hutmacher vorstellen könnte.

„Hey, nicht jeder hat eine Maskenbildnerin zuhause. Außerdem hast du am wenigsten zu melden, weil du die Chance nicht ergriffen hast, Captain Jack Sparrow darzustellen, Captain. Und jetzt lass uns reingehen, ich muss dir nämlich unbedingt etwas erzählen!" Wie ein Pirat an Bord eines Schiffes, hüpft er von einer Ecke zur anderen und zieht mich schließlich durch die Tür. Wow.

Überall hängen Stofffetzen und Spinnweben, Blut klebt an den Dekorationen. Die sonst so offenen Räume sind dermaßen überlaufen, dass ich kaum an das Ende des Flurs sehen kann. Zu den vielen Gesprächen kommt die dröhnende Musik dazu, von der ich nur den Bass wahrnehme. Menschen in den seltsamsten Outfits lehnen an den Wänden und trinken oder unterhalten sich. Trotz dessen es so viele sind, erkenne ich nur die wenigsten, freue mich dafür aber umso mehr. Layla steht in meine Richtung gedreht an einer schwarzen Kommode und fällt durch die gedrehten Hörner zwischen ihren hellen Locken deutlich auf. Vor ihr steht Anika, die ganz das Klischee eine dieser amerikanischen Katzenkostüme trägt, was mehr Haut zeigt, als es verbirgt. Ihre Freundin scheint sich daran aber überhaupt nicht zu stören und pikst sie immer mal wieder mit den klauenartigen Nägeln.

August zieht mich weiter und wir drängen uns den Flur entlang, während die röhrende Musik immer lauter wird. Das Gejohle von einzelnen geht in der Masse fast unter und ich stoße gegen so viele Schultern, dass ich mich kaum noch entschuldigen kann. Kaum erreichen wir das Wohnzimmer und damit den Kern der Party, drückt uns schon irgendjemand zwei rote Becher in die Hand, dessen Inhalt eindeutig keine Apfelschorle ist. „Trinken kannst du immer noch, los jetzt! Die nächstbeste ruhige Ecke gehört uns." „Oho, die Schlafzimmer sind aber oben", kommentiere ich seine seltsame Formulierung, aber er übergeht sie wortlos. Mein Handgelenk wird von seinen Fingern massakriert, die mich immer weiterziehen. Dabei verrenke ich mir fast den Kopf, um nach einer gewissen Person Ausschau zu halten, die ich aber nirgends entdecken kann. Dafür grinst mich jemand anderes von der Couch aus an.

Konrad, Elias und Josh sitzen in Formation an der Seite und werden dabei von Mädchen in kurzen Kostümen umringt. Liza erkenne ich, als wir näher bei ihnen sind, aber sie scheint mich nicht entdeckt zu haben. Kleine Flügel hängen an ihrem Rücken und sind der Grund, wieso man das kurze Kleid als Kostüm ausgeben kann. Die Jungen wiederrum sind einfach in ihrer Ausgeh-Bad-boy-Uniformen und lassen sich abschlecken. Keine Sekunde in der ich alle erkannt habe, sind August und ich auch schon wieder an ihnen vorbei.

Die Schiebetür, die vorrausschauend offensteht, spuckt uns in den Garten, wo nur vereinzelt kleine Grüppchen stehen. Kein Wunder bei der Kälte. „Was willst du mir denn unbedingt erzählen?", frage ich August, um ihn zum Anhalten zu bewegen. Tatsächlich bleibt er stehen, nachdem er sich umgesehen hat und ergreift mich an den Schultern. „Hör zu, ich muss dir unbedingt vom neusten Klatsch erzählen! Ich weiß auch nicht, wieso ich erst jetzt davon erfahren habe, aber Julius-" Ruckartig schlage ich seinen Arm weg und unterbreche ihn so. „Hey, ich will es nicht wissen, okay?" Meine Worte klingen wütender, als ich es wollte, aber damit hat August genau das angesprochen, was ich nicht hören will. „Aber..." „Nein! Von Gerüchten halte ich eh nichts und Julius ist es gerade auch nicht wert. Also erzähl das jemand anderem." Um meine sich meldende Wut zu unterdrücken, nehme ich einen großen Schluck aus meinem Becher. Der Junge vor mir denkt aber noch gar nicht daran, aufzugeben.

„Ich weiß, dass ihr gerade auf Kriegsfuß seid, aber das könnt-" Wortlos, aber mit mörderischem Blick lasse ich August hinter mir stehen und steuere wieder auf die Tür zu. So weit kommt es noch, dass ich keine fünf Minuten hier sein kann, ohne Julius hier und Julius da. Hey, er hat eine Katze gerettet. Hey, er wurde in Konrads Team befördert. Hey, er hat seine Freundin geschwängert. Was es auch ist, ich will es nicht wissen. Nun stampfe ich in das Haus hinein und kippe den restlichen Inhalt meines Getränks hinterher. Meine Kehle brennt von dem Alkohol, der sich unter mein Blut mischt, aber das Gefühl lenkt mich fast ein bisschen ab.

Kurze Schritte tippeln mir hinterher und ich muss mich nicht umdrehen, um zu wissen, dass es August ist. „Man lässt einen Piraten nicht einfach so stehen!" „Was daran hast du nicht verstanden? Ich dachte wir sind hier um uns zu amüsieren und nicht, um neues Material für den nächsten Artikel zu ergattern. Also. Lass. Mich. In. Ruhe." Endlich konnte ich es mal sagen. Ob es meine Maskerade ist oder der Alkohol, der mir Mut gibt, weiß ich nicht, aber ich brauche unbedingt mehr davon. Augusts Abdampfen bekomme ich nicht mehr mit, weil ich schon auf den Weg zur Küche bin. Dass ich mich hier drinnen so gut auskenne, tut fast weh. „Voll machen, bitte."

Der ältere Kerl reicht mir den Becher zurück und johlt vor sich hin, als ich diesen auf Ex leere. „Brauchst du was Härteres?" Er zieht fragend eine Auenbraue hoch. Weil ich noch nichts von der Wirkung des letzten Bechers merke, stimme ich zu und er kippt in den leeren Becher eine bunte Mischung von Flüssigkeiten. „Das schießt jeden ab, alter. Viel Glück."

Mit jedem Gang lerne ich den Kerl, der nach eigenen Angaben eine Leiche darstellen soll, besser kennen. Inzwischen nervt mich auch die Musik nicht mehr, sondern mischt sich einfach in das dumpfe Klopfen, das meinen Kopf einnimmt. Grinsend stelle ich mich in das Wohnzimmer und versuche mich wie die anderen dazu zu bewegen. Irgendetwas scheint mit meinem Gleichgewichtssinn aber kaputt zu sein und ich bewege mich in einem anderen Takt, als der Rest. Es kommen immer mehr Menschen dazu, die sich wie ich bewegen und schließlich sinke ich fast zusammen, als ich mich vor Lachen winde.

„Warst du nicht schon oft genug hier? Schon mal etwas von Komasaufen gehört?" Paul, also nicht ich, aber der heißt auch so, glaube ich, will mir meinen Becher nicht mehr voll machen. „Nu noch einen, dann wars diss auch", versichere ich ihm. Meine Zunge fühlt sich dabei bleischwer an und verheddert sich bei den komplizierten Wörtern in meine Mund. „Das ist doch deine Aufgabe, oda nich?", pöble ich ihn an. Natürlich beugt er sich meinem Willen und ich nippe daran. Ziemlich schwer ist der Becher auf einmal. Passt da jetzt mehr rein?

Die Luft wird hier drinnen immer heißer und so entschließe ich, dass es draußen wegen Physik und so bestimmt kälter ist. Wegen Verdrängung oder so? Natürlich könnte ich auch einfach meine Sachen ausziehen, aber ich bin ja nicht betrunken. Ich bleibe stehen und muss laut lachen. Draußen ist es tatsächlich deutlich kälter und in der Dunkelheit verschwinde ich in meinem Mantel fast. Ob der etwa unsichtbar macht?! Ich mache schnell ein Foto von mir und schicke es Assia. Sie wird mich sicher nicht sehen auf dem Bild.

Als ich das Bällebad sehe, stürze ich darauf zu und freu mich, dass sich die Farben so schön drehen. Als ich mich dann auch drehe, lasse ich mich einfach darin fallen. Also hat mich das Schicksal doch noch damit vereint. Wie ich gefallen bin, so fallen auch meine Augenlider und es ist scheinbar Zeit zu schlafen, denke ich, als ich dann nichts mehr denke.

„Du solltest dir das anschauen. Er liegt schon seit einer Stunde hier. Wenigstens hat er dir nicht den ganzen Rasen vollgekotzt. Schaffst du das alleine? Ich muss langsam los, aber wenn du Hilfe brauchst..." „Nein, geht schon. Verschwinde ruhig, wir beide packen das schon."

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