Das Geräusch unseres Aufpralls, er über mir, vernehme ich noch vor dem explosionsartigen Schmerz, der mir die Luft aus der Lunge drückt. Ich bin eingeklemmt zwischen Konrad und dem Boden, der härter nicht hätte sein können. Anstatt so wie ich regungslos am Boden zu verharren, drescht er seine eigene Faust revanchierend in mein Gesicht. Unter einem Zischlaut, trifft seine Hand schräg gegen meine rechte Seite, er streift Nase und Auge. Die andere Hand schlägt er in meine Rippen. Ob es wirklich nur diese Körperteile sind, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, weil der aufkommende Schmerz durch meine ganze Gesichtshälfte pulsiert. Einzig das Adrenalin, dass durch meine Adern strömt hält mich von einem Schmerzensschrei ab.
Mit sicheren Bewegungen erhebt sich der Braunhaarige von mir, als wäre es ihm zu wieder, länger als nötig in meiner Nähe zu sein. „Paul, mein guter Freund. Wie siehst du denn aus? So können wir dich doch nicht nach Hause gehen lassen. Was meint ihr Jungs?" Durch meine geschlossenen Augen kann ich nicht sehen, wo er sich jetzt befindet, aber seine Stimme verrät mir, dass er sich weggedreht haben muss. Ich nutze den kurzen Moment der fehlenden Aufmerksamkeit und atme tonlos ein. Scheiße, tut das weh.
Meine Rückseite klebt an dem Boden, kein Muskel lässt sich bewegen. Unter dem Gegröle der Menge, die ihren Anführer anpreist, mache ich mir meine Situation bewusst. Ich kann nicht fliehen, ich würde keine drei Schritte stolpern können, ehe mich einer von den Schaulustigen einholen würde. Also bleibt mir die Möglichkeit der Verteidigung. Das Bild von Konrads Gesicht, das Nachgeben seines Schädels unter meinen Fingern, treibt mich an. Komme ich hier nicht gewinnend raus, komme ich hier gar nicht raus.
Schritte kommen auf mich zu, sie sind zu unregelmäßig, als dass sie nicht von Konrad stammen. Ihm liegt der Schlag noch in den Beinen. Durch mein linkes Auge, dass sich noch problemlos öffnen lässt, erkenne ich, dass er mit den Rücken zu mir gewandt ist. Noch hat er nicht gestoppt, seine Beine haben sich noch nicht ausbalanciert. Meine Chance ergreifend, katapultiere ich einen meiner Füße ohne groß zu zielen, in seine Richtung. Ich bleibe an etwas hängen, dass sich unter meinem Tritt wölbt. Zur Bestätigung ertönt keine Sekunde später ein Krachen. Konrad kommt mit knirschenden Kniescheiben auf den harten Asphalt auf.
Siegessicher stürze ich vom Boden weg, Konrad würde zu lange brauchen, um sich wiederaufzurichten und nach dem Geräusch sind seine Freunde sicher damit beschäftigt ihm zu helfen. Taumelnd wird mir klar, dass ich niemals schnell genug sein werde, auch sehen kann ich durch das anschwellende Auge nicht mehr. Die schmerzenden Rippen und der zerschmetterte Rücken sind nicht gerade hilfreich bei einem Fluchtversuch. Die Freude über meinen kurzzeitigen Sieg vergeht mir kläglich. Egal ob ich diese Auseinandersetzung gewonnen hätte oder nicht, verloren habe ich so oder so.
Meine letzte Kraft zusammennehmend versuche ich mein Glück, werde aber sogleich von Pranken aufgehalten. Blind um mich boxend – von Aufgeben war nie die Rede – ramme ich Gliedmaßen gegen jedes sich bietende Hindernis. Die Person hat mich von hinten umklammert, seine Arme bewegen sich keinen Zentimeter. Unbeeindruckt von meinem wenig anrichtenden Attacken schiebt er mich nach oben, sodass meine Füße den Boden verlassen. Nun trete ich auch mit meinen Beinen nach ihm, aber es hilft nichts. Ich verdrehe meinen Hals, kann nur noch versuchen mit meinen Zähnen an ihn heranzukommen, da steigt sein Duft in meine Nase. „Bist du jetzt fertig?" Sein Ton ist beiläufig. Die Stimme schneidet die Luft entzwei, stoppt jegliche meiner Bemühung. Julius war vorhin noch nicht bei den anderen, muss erst dazugekommen sein. Gegen ihn werde ich nichts ausrichten können. Und er hat mich. Bewegt sich keinen Zentimeter. Ich bin Konrad ausgeliefert.
Mit einem Ruck, ich bete, dass ich ihn nicht verletze, ramme ich meinen Kopf gegen seinen und er lässt los. Ich schaffe es wegzueilen, bin mir meiner Flucht noch gar nicht bewusst, da bin ich schon hinter einer Ecke verschwunden. Einzig Julius' Ruf, „Was hast du dir dabei gedacht?", erinnert mich daran, noch nicht in Sicherheit zu sein. Alles tut mir weh. Der Schmerz holt mich ein, als ich, hoffentlich weit genug von ihnen entfernt, durchatme. Mein Körper tut weh, keine Frage, aber was ist mit meinem Inneren? Julius hat recht, verdammt! Wieso habe ich bloß angefangen? Mein Gehirn findet keine logische Erklärung dafür, nichts, was das Geschehene erläutern kann. Wo soll ich jetzt hin?
Probeweise betaste ich mein Gesicht mit meinen Fingerspitzen. Es ist deutlich geschwollen. Beim Heben meines Arms klagt auch die Wirbelsäule lautstark. Ich wimmere kurz auf und lasse die Arme wieder fallen. Bis zu mir nach Hause ist es definitiv zu weit. Oh Gott, was soll ich nur meiner Mum sagen?!
Verzweifelt krame ich mein Handy aus der Sporttasche, auf meinen Tastsinn angewiesen, mit möglichst kleinen Bewegungen. Als ich es ergreife, öffne ich gezwungenermaßen ein Auge und durchsuche hastig meine Kontakte. Während das Klingeln an meinem Ohr ertönt, gehe ich noch weiter vom Schulgebäude weg, meine Stimme darf denen nicht meinen Standort verraten. Nach den ersten Tönen, die sich in der Stille ziehen wie Kaugummi, erklingt endlich eine Stimme. „Paul? Wieso rufst du um diese Zeit noch an?" Ich öffne den Mund, um zu antworten, was sich schnell als Fehler entpuppt. Meine Lippe sind aufgesprungen, aber anders geht es nicht. „Assia? Gott sei Dank." Ich erkenne meine eigene Stimme nicht wieder, sie klingt gebrochen, unnatürlich hoch, aber nicht lauter als ein Hauch. Das Salz von Tränen brennt auf meinen blutigen Lippen. „Ist alles okay? Paul?"
Ich versuche es noch einmal, diesmal etwas lauter. „Hör zu, ich bin auf einer der Nebenstraßen von der Schule. Die erste links." Ich lasse mich gegen eine Wand fallen, die zu einem Mehrfamilienhaus gehört. „Bitte hol mich hier ab, ich bin... Ich kann gerade nicht nach Hause." Ein Wimmern begleitet meine Worte, Assia scheint es ohne weitere Anweisungen zu verstehen. Sie hat keine andere Möglichkeit, denn mein Handy fällt mir aus den zitternden Händen. Ich lasse mich auf den Boden sinken, hoffe darauf, dass Assia mich schnell hier findet. Ob es der Schock über meine Situation ist oder das kräftige Pulsieren durch meinen Körper, welches verantwortlich ist für die schwarzen Ränder um mein Blickfeld, weiß ich nicht. Ich schließe die Augen, versuche die fremde Schwärze mit meiner eignen zu verjagen. Wenig später ist die Dunkelheit komplett verschwunden, mein Kopf fällt auf meine Brust und ich schwebe.
DU LIEST GERADE
Be My Cookie (boyxboy)
RomancePaul ist Captain einer Fußballmannschaft und versucht die zwölfte Klasse zu überleben. Trotz neuer Freunde, die ihn gegen alte Feinde unterstützen, macht ihm das gegnerische Team das Leben schwer. Obwohl sein Schwulsein nie ein Geheimnis war, bringt...