Kapitel 54

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Trotz der Prophezeiung meiner besten Freundin, ernte ich von Julius keine schmachtenden Blicke. Nicht mal meine knallenge schwarze Jeans zieht seine Augen an; dabei habe sogar ich mich heute Morgen vor dem Spiegel zum Anbeißen befunden. Die Hose in Kombination zu einem weißen Shirt, den dazu passenden weißen Sneaker und dem lockersitzenden, offenen Jeanshemd, schreit förmlich nach Leckerbissen. Ohne das Aufbauen von Assia hätte ich das so wohl nicht festgestellt, aber noch genieße ich mein hohes Selbstvertrauen.

„Glaubst du eigentlich, dass Beethoven sich mit Absicht die Ohren zerstört hat, weil er seine Musik nicht mehr hören konnte und ihm dann aufgefallen ist, dass er ja Geld verdienen muss, also hat er weiter gemacht, aber weil er nichts mehr hören konnte, hat er einfach hübsche Muster auf die Linien gemalt und das dann vertonen lassen?" Verstört und gleichzeitig fasziniert starre ich August an. Wir sitzen schon seit einer Dreiviertelstunde vor Beethovens Lebenslauf, aber wie zum Teufel kommt er jetzt darauf? „Klar, wieso nicht. Oder sein Neffe hat ihm in der Nacht einen Dolch in die Ohren gesteckt, weil der Druck zu groß war, in der Hoffnung er wäre jetzt befreit und dann wachte der aber auf und war so ‚Hold my beer' und macht trotzdem weiter." Dass meine Worte genauso viel Sinn ergeben und dabei völlig sinnlos sind, erkennen wir beide und müssen lachen.

Scotty scheint sich daran nicht zu stören, der gerade an den Saiten einer Gitarre zupft. Solange wir Spaß haben und nicht rummaulen, sagt er nie etwas. Mit August zusammenzuarbeiten war wohl die beste Idee, für diesen Vormittag und dabei war diese nicht Mal von mir. August hat sich einfach neben mich gesetzt, als wir uns einen Partner suchen sollten, obwohl ich davon ausgegangen bin, er würde mit Julius zusammenarbeiten. Dieser hat Augusts Entscheidung nur mit einem inzwischen typisch düsteren Blick kommentiert und sich eine Partnerin in der hinteren Reihe gesucht.

August macht die ganze Stunde mehr als erträglich. Die Aufgaben machen wir wenig ausführlich aber schnell, sodass wir die Hälfte der Zeit rumgeblödelt haben und nicht aufhören konnten zu lachen. Sogar als die Songtext-Hefte ausgeteilt werden, um die letzten zehn Minuten mit Singen zu verbringen, machen August und ich Witze darüber. Damit ist die Partnerarbeit vorbei und Julius setzt sich wieder zwischen uns.

Wie jedes Mal, wenn wir uns über den Weg laufen, suche ich nach Emotionen in seinem Gesicht, warte auf das vertraute Blitzen in seinen Augen, aber wie in den letzten Wochen bleibt es aus. Es ist so zur Gewohnheit geworden in seinen Zügen zu lesen, dass mich seine Starre enttäuscht. Mal wieder. Dank Assia und meinem Auftreten kratzt es aber nicht im Geringsten an meiner Selbstsicherheit, sondern spornt mich nur an, nicht aufzugeben. Linus' Worte wiederholen sich wie ein Mantra in meinem Kopf. Ich weiß, dass er besser ist als das und so leicht gebe ich ihn nicht auf.

„Welches Lied wollt ihr singen? Vielleicht Mal die Herren?" Scotty hat aufgehört an seiner Gitarre zu klimpern und nutzt die entstandene Stille aus. Ich überfliege die Liste an Liedern, erkenne aber nur einzelne, der Rest klingt wie uralte Volkslieder. Was eine Auswahl. „Wie wäre es mit Over the rainbow?"

Ruckartig drehe ich meinen Kopf zu meinem Banknachbarn, der auch von Julius angestarrt wird. August zuckt unter unserem Blick aber nur mit den Schultern und muss selbst Grinsen, als ihm seine Wahl als Anspielung klar wird. Ich hätte vielleicht nicht so offensichtlich reagieren sollen, aber sobald solche oder ähnliche Wörter erwähnt werden, werde ich hellhörig. Julius scheint es diesmal nicht anders zu gehen.

Wie gewünscht singen wir den Song, wobei August und ich uns mit schiefen Tönen übertreffen, wobei der Dritte im Bunde es nicht einmal versucht. Ich kann ihn verstehen. Scotty kommt uns dann auch entgegen und macht fünf Minuten eher Schluss – dass das an unseren stimmungsvollen Gesangseinlagen liegt und er einer Art Fluchtinstinkt nachgibt, kann ich mir gut vorstellen.

Be My Cookie (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt