„Bist du irre? So fängt jeder verdammte Horrorfilm an!"
Assia betrachtet Linus mitleidig und fängt dann ganz leise an zu kichern, als versuche sie, nicht seine Gefühle zu verletzen. „Er ist okay. Ich kenne ihn schon seit ich klein bin und wüsste, wenn er ein Serienmörder oder Kinderschänder wäre."
Nun stimmen auch Cezara und ich in ihr Lachen ein, was Linus noch mehr zusetzt. Der arme Kerl scheint immer noch nicht ganz überzeugt zu sein und trottet uns mit einem „Das ist ja noch schlimmer" hinterher. Der alte Mann führt uns hinter seine Hütte, wo das Gras so hoch wächst, dass wir bis zu den Knien im Grün stehen. Auf Anweisung haben wir uns natürlich die Hosen in die Schuhe steckt, damit wir nicht als Zeckenschleuder wieder herauskommen.
„Seht ihr die die zwei blauen Boote? Die haben ein Leck, aber alleine bekomme ich sie nicht angehoben und repariert. Könnt ihr mir vielleicht beim Tragen helfen, während ich sie zuspachtle? Normalerweise hilft mir mein Sohn dabei, aber der hat heute eine Sonderschicht übernommen." Ohne groß zu zögern traben wir dahin, wo zwei blaue Schnauzen aus dem Grünzeug ragen und tragen sie auf den Tisch, weiter vorne steht. Das dieser überhaupt ein Kanu tragen kann, ist schon erstaunlich genug, so selbstgezimmert wie er aussieht.
Der Mann, der sich nach der Trageaktion als Alaric Bailey vorstellt, verschwindet kurz darauf in der Hütte und holt eine silberne Schmierpaste und Kekse. Dankbar greifen wir herzlich zu, wobei nur Linus jegliches Anbieten verweigert. Er traut dem inzwischen sehr freundlichen Mann immer noch nicht und erwartet hinter jeder Geste ein Messer. Mehr Kekse für mich.
Während wir jeweils zu zweit die Kanus, die sich als Kajaks entpuppen, in Position halten, schmiert der Besitzer mit geübten Handgriffen die Paste in die Schlitze und nach zehn Minuten stillhalten ist es auch getrocknet. Als wir fertig sind und sich Cezara wiederholt auf die Keksdose schmeißt, bietet uns Mister Bailey Proviant in Form von Gummibärchen und trockenen Brötchen an. Alle Blicke liegen auf Linus, bis er mit einem Schnauben das Okay gibt und wir das Essen in unserem Beutel verstauen.
Gerade als wir uns von dem Mister Bailey verabschieden wollen, sehen wir, wie sich der Himmel zuzieht und nach einem wissenden Blick in die Wolken verkündet der Alte, dass er in spätestens eineinhalb Stunden heftig regnen wird. Das passt uns natürlich gar nicht in die Pläne, weil wir mindestens zwei Stunden für den Rückweg brauchen werden, gerade weil es zurück nur noch bergauf geht. Doch trotz jeder Niedergeschlagenheit unserer beweist Bailey wieder einmal, wie nett er ist.
„Wenn ihr wollt, könnt ihr zwei Boote, diesmal voll funktionstüchtige, von mir haben. Über Wasser seid ihr innerhalb einer dreiviertel Stunde zu Hause." Nachdem Assia ihm auf der Karte gezeigt hat, wo wir hinmüssen, zeigt er uns auf einem Wasserplan wo wir lang fahren müssen. Begeistert von der Idee, sogar Linus lächelt ihm freundlich zu, händigt er uns die Paddel aus und lässt die Kajaks zu Wasser.
Mit freundlichen Worten verabschieden wir uns und steigen in die wackeligen Gefährte. Linus und ich nehmen ganz nach Teamgeist ein Boot, wogegen die Mädchen nichts haben. Im Ferienlager haben wir das schon als Kinder relativ oft gemacht, aber auch Assia scheint durch ihre Aufenthalte hier geübt zu sein. Als wir schon einen guten Kilometer unterwegs sind und uns passabel eingespielt haben, wollen wir es sogar mit einem Rennen versuchen.
„Nun kommt schon, ihr Trantüten! Lasst euch von uns zeigen, wie schnell das geht!" Das lassen Cezara und Assia auf keinen Fall auf sich sitzen und preschen im Takt von Cezaras Rufen an uns vorbei. Linus jedoch gräbt seine Finger in den hinteren Teil des Bootes und zieht mit aller Kraft daran. Als die beiden vor uns die Sabotage bemerken, versuchen sie erst mit Ruckeln und dann mit gezielten Paddelhieben ihren Konkurrenten zu lösen. Als Linus dann aufsteht, um sich noch weiter auf das Boot zu werfen, verliere ich endgültig die Balance und mit einem Platschen landet Linus geradewegs im Wasser.
Ich habe mich zum Glück dermaßen an die Seiten des Bootes geklammert, dass ich nur hin und her wippe, aber wenigstens trocken geblieben bin. Linus hingegen kämpft sich noch im Schreckmoment zurück ins Boot und bibbert dabei vor sich hin. Als er endgültig wieder aus den Fluten ist, kann ich sein Zähneklappern nicht mehr ertragen und tausche meinen warmen Pulli gegen sein nassen Shirt. Unter Cezaras Spott, schaffen wir auch die letzte halbe Stunde recht schnell, wobei auch Assia Gefallen daran findet, Linus ein paar Kommentare zuzuwerfen, aber gleich darauf zu versichern, dass eine warme Dusche ihn schon wieder auftauen würde.
Wie prophezeit verschwindet Linus bei unserer Rückkehr sofort im Bad und bleibt dort auch für eine geschlagene Stunde. Wir sind alle total platt und für jeden von uns sollten sich die Arme schwerer anfühlen. Kaum holt aber Assia ihre Box aus dem Rucksack, wie gesagt, sie hat ja an jedes Gimmick gedacht, verbessert sich die Stimmung deutlich und nach einer halben Stunde auf dem Sofa, sind zumindest wir drei wieder vollkommen hergestellt. Wie der alte Mann gesagt hat, regnet es inzwischen wie in Strömen und tränkt die Bäume in neues Leben.
Als ich an der Reihe bin mit Musikauswählen und eine bunte Mischung aus deutscher und englischer Musik ertönt, beginnen wir mit dem Abendessen, da ist inzwischen schon um sechs ist und der Topf eine Weile köcheln muss. Während Linus aus dem Bad gar nicht mehr rauskommt, schmeißen wir die ersten Zutaten in den Topf und schnippeln und hacken an allem was essbar ist herum. Die Bohnen und Erdnüsse landen wir empfohlen im Kochtopf und nach dem ersten Mal abschmecken muss ich zugeben, dass ich diese Idee in mein Rezept mit aufnehmen werde, sobald ich wieder zu Hause bin.
„Paul? Wärst du bitte so lieb und würdest die Kokosmilch aus dem Vorratsschrank holen? Er ist in der Kammer, falls das okay ist. Dann kann ich schon den Ingwer holen." Mit einem Nicken verlassen Assia und ich das Wohnzimmer und als Linus aus dem Bad kommt, stürmt auch Cezara davon, die schon seit zwanzig Minuten die Beine kreuzt.
In der Kammer muss ich wirklich ganz schön kramen, um die gewünschte Milch zu finden, aber dabei fördere ich allerlei Schätze zutage. Neben einer Reihe Dosen mit Pfirsichen finde ich einen Pappkarton, in dem mehrere Bilder rausschauen. Das sind bestimmt Fotos von hier. Niemals würde ich sie mir einfach anschauen, schließlich sind das Assias private Bilder, aber darauf ansprechen werde ich sie auf jeden Fall. Mini-Assia zu sehen ist sicher lustig.
Als ich wiederkomme, finde ich Linus allein am Kochtopf stehen und sehe, dass er das restliche Gemüse geschnippelt hat. Während ich jedoch den letzten Schliff machen möchte, fällt auf, dass die rote Chili weg ist, die die abschließende Note geben soll. Eine gewisse Vorahnung durchfährt mich kalt. „Linus? Wo ist die kleine Chilischote, die auf dem Brett lag?" Linus' Blick verrät schon vor seiner Antwort, was es damit auf sich hat. „Ich habe sie schon darein gemacht. Sollte ich das nicht?" Panisch frage ich ihn, ob er die ganze hineingetan hat, aber er winkt ab. „Nein, natürlich nicht. Ich habe sie aufgeschnitten und nur das innere hineingetan." Zu früh gefreut.
Mit einem Holzlöffel schmecke ich das Curry ab und haste sofort zum Kühlschrank, um mir den Milchkarton zu nehmen. Linus hält mir schon besorgt ein Glas hin, was ich mit Inhalt sofort runterstürze. Mein Gesicht und vor allem Lippen und Augen brennen dermaßen, dass ich es nicht merken würde, wenn jemand mein Gesicht in Flammen tunken würde. Der Übeltäter beobachtet mich nur mit einem frechen Grinsen und zwinkert mir zu. „Zu scharf?"
Die Klingel jagt uns von den Stühlen und Linus holt schonmal sein Geld aus dem bereitliegenden Portemonnaie. Der Pizzabote freut sich über das Trinkgeld und überreicht uns die vier Kartons. Mit vor Erwartung knurrenden Bäuchen entreißen wir uns die zustehenden Pizzen und ohne groß den Tisch vorzubereiten, legen wir das Essen neben die Karten, mit denen wir uns die Zeit vertrieben haben.
Erst als alle satt und zufrieden sind, nehmen wir wieder Gespräche auf und ich erkläre den anderen wie Rommee funktioniert. Das Kartenspiel kennt nur Linus, weil wir es früher immer mit meiner Mum oder seinen Eltern gespielt haben. Da wir bei Familienfeiern sowieso Stammgäste beieinander waren, wurden uns allerlei Spiele von Großeltern oder Onkel erklärt.
Wir spielen so lange, bis niemand mehr den Vorsprung zu meinem besten Freund aufholen kann, der sich nach den vergangenen Missgeschicken noch mehr freut und verabschieden uns in die Betten. Heute hört man keine Gespräche mehr, kein Gemurmel oder letzte tapsigen Schritte, weil jemand etwas vergessen hat oder nochmal ins Bad muss. Von dem Essen und der ungeplanten Kajaktour sind wir so müde, dass ich vor dem Einschlafen nur noch das schwache „Gute Nacht" von meiner besten Freundin höre. Sofort verschlingt mich der sagenumwobene Sandmann und schenkt mir wüste Träume.
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Be My Cookie (boyxboy)
RomancePaul ist Captain einer Fußballmannschaft und versucht die zwölfte Klasse zu überleben. Trotz neuer Freunde, die ihn gegen alte Feinde unterstützen, macht ihm das gegnerische Team das Leben schwer. Obwohl sein Schwulsein nie ein Geheimnis war, bringt...