Kapitel 82

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Die angeblich kurze Schrecksekunde vergeht in Zeitlupe, während sich Julius auf dem Boden rollt und Mister Efron zu ihm joggt. Als er ihm aufhilft, atme ich erstmals wieder durch und registriere, dass alle um mich herum weiter machen. Linus passt mir wieder den Ball zu und weckt mich damit aus der Starre. Ich sehe gerade noch wie die beiden davongehen, was mich ungemein beruhigt. Ihm scheint es besser zu gehen, als es aussah.

Zack pfeift uns nach fünfzehn Minuten zu sich und beendet damit den Stierkampf. Da Mister Efron immer noch nicht wieder da ist, scharen sich auch die anderen um ihn, wobei wir zu dem Team deutlichen Abstand halten. Zacks verbissener Ausdruck und die Hand an der Nasenwurzel macht es nicht gerade besser. „Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll. Keine Ahnung, ob ihr in der letzten Stunde von Dämonen besessen wart, aber ich lege euch nahe, dass das einmalig bleibt. Ich halte euch jetzt keine Predigt über den Geist dieses Sportes und Zusammenhalt, dazu bin ich viel zu enttäuscht. Aber lasst euch gesagt sein, dass ich das nicht nochmal dulde."

Die niedergeschlagene Stimme meines Trainers veranlasst uns auf den Boden zu schauen, um ihm nicht in die Augen blicken zu müssen. Wie Konrads Team reagiert sehe ich nicht, aber ich schätze, dass sie nicht sonderlich bekümmert von seiner kleinen Ansprache sind, die noch nicht vorbei ist. „Mister Shroeder hat sich verletzt und wird deshalb nicht bei dem Spiel mitmachen können. Nach dem, was ich eben gesehen habe, bleibt mir nichts anderes übrig, als einen von meinem Team zu seiner Unterstützung hier zu behalten. Ich hoffe, das ist euch Lehre genug. Paul? Du als Captain kannst beweisen, was Teamgeist bedeutet."

Mit großen Augen hebe ich den Kopf. Was?! Was kann ich denn bitte dafür, dass diese Idioten ihr Testosteron nicht im Griff haben? Frustriert schnaubend sehe ich in Zacks wütende Augen und nicke. Ihm zu widersprechen wäre das Dümmste, was ich jetzt machen könnte und recht hat er ja leider. Verantwortungsbewusstsein und Captain, bla bla bla.

Meine Freunde erheben keinen Einwand, klopfen mir aber traurig auf die Schulter, als Zack sie mit der Forderung sich für das Spiel umzuziehen, entlässt. „Tut uns leid, alter. So macht es nur halb so viel Spaß", sagt Linus, während er Zack beim Verlassen des Platzes hinterherschaut. August pflichtet ihm bei. „Ich verspreche dir alles haarklein zu berichten. Cheese!" Mit einem Blitzlicht beendet er seinen Satz und wedelt keine Sekunde später mit einem kleinen Foto in der Luft. Wo er die Kamera auf einmal her hat, weiß ich nicht. „Hier, wir haben dich von jetzt an dabei! Nicht war Jungs?" Damit wischt er mir den schmollenden Gesichtsausdruck von den Lippen und ich muss über ihn schmunzeln. August versteht es echt, ein guter Freund zu sein. Die anderen stimmen mit ein und gehen wie angekündigt Richtung Häuser davon.

Etwas planlos bleibe ich stehen und überlege, worin genau meine Aufgabe besteht, aber der Kumpel von Zack kommt schon auf mich zu und winkt. Furko, glaube ich. „Hey, du bist doch der Captain, oder?" Seine Stimme klingt im Gegensatz zu seinem groben Äußeren wie die einer schnurrenden Katze. „Ja, du sollst mich zu Julius bringen, oder?"

Nickend dreht er sich um und deutet mir an, ihm zu folgen. Während wir die Steintreppen zu den Häusern hochgehen versorgt er mich mit einem kurzen Lagebericht. „Dieser grummelige Trainer hat gesagt, dass dein Kumpel schon eine Sportverletzung hinter sich hat und deshalb ein einfaches Umknicken gefährlich sein kann. Er ist nach ein paar Minuten wieder abgedampft, so ein unhöflicher Kerl, und dann habe ich..." Lächelnd helfe ich ihm nach, seine offene Art macht ihn sofort sympathisch, wobei ich mir verstärkt Sorgen um den Blondschopf mache. „Julius" „Genau. Also ich habe Julius mit Kühlpacks versorgt und er hat eine Schiene oder sowas angelegt, aber sollte mindestens bis morgen sein Bein schonen. Sollte also nicht ganz so schwer sein, seinen Babysitter zu spielen."

Kaum endet er mit seiner Erklärung, treten wir durch den Eingang und der Schwarzhaarige deutet auf eine schmale Tür neben dem Speiseraum. Kurz bedanke ich mich für die Infos, wobei Furko mit „Ja, ja, ich liebe es den Laufburschen zu spielen" verschwindet.

Ich schlüpfe durch die schmale Tür und sofort kriecht der beißende Geruch von einer Überdosis Desinfektionsmittel in meine Nase. Julius sitzt auf einer Pritsche und wedelt mit der Hand vor seinem Gesicht herum. Auf den ersten Blick fällt mir auf, dass seine Gesichtsfarbe deutlich fahler aussieht, aber der Rest von ihm wirkt größtenteils unversehrt. Trotzdem verspüre ich den Wunsch ihn tröstend in die Arme zu nehmen, begnüge mich aber damit, dümmlich im Raum rumzustehen. „Können wir vielleicht in dein Zimmer gehen? Hier halte ich es keine fünf Minuten länger aus." Dankbar für die Aufgabe nicke ich stumm und setze mich neben ihn, um ihn beim Aufstehen zu stützen. Ein wenig verkrampft finden wir eine Position, einen Arm um seinen Rücken, einen unter seiner Schulter, in der er das Bein nicht belasten muss. Die Berührung beruhigt mich spürbar und als hätten wir nie etwas anders gemacht, machen wir uns im Gleichschritt an die Treppe.

In meinem Zimmer angekommen lasse ich ihn aufgrund der wenigen Ausweichmöglichkeiten auf mein Bett ab und setze mich ihm gegenüber auf Roys. Während der Blonde kurz durchatmet, wird mir erst bewusst, wie schön die Zimmer eigentlich sind. Die pfirsichfarbenen Vorhänge färben das einfallende Licht in ein warmes orange und die altmodischen Betten wecken Erinnerungen an Klassenfahrten und Übernachtungen mit Freunden.

Meinen Kopf zu Julius wendend, sehe ich, dass er mich mit einem Lächeln seit einiger Zeit beobachten muss. Ungefragt taucht das Flattern in meiner Magengegend wieder auf, was in den letzten Tagen zu meinem stillen Begleiter wurde. Seine Blässe ist verschwunden und er wirkt deutlich ruhiger, als es in dem kleinen, stickigen Raum eben noch der Fall war. Unsere Blicke treffen sich kurz und ich schaue ruckartig wieder weg, wofür ich mich am liebsten selbst schlagen würde. Gerade möchte ich den Mund öffnen, als mich Julius unterbricht.

„Paul, es tut mir-", ich lasse ihn gar nicht erst zu Wort kommen und frage endlich das, was ich von Anfang an hätte abklären sollen. „Tut es sehr weh? Kann ich dir irgendwie helfen?" Mein Gegenüber winkt aber nur ab, als wäre es eine Nebensache, doch so leicht lasse ich mich nicht abschütteln. „Nein, nein, alles gut, aber dass du hier bist-" „Und ich kann dir wirklich nicht irgendetwas bringen oder tun?"

„Nein, echt nicht, aber-" „Bist du dir si-" Augenrollend wirft er die Hände in die Luft und ich stoppe mitten im Satz. „Paul! Ich meine es ernst! Verdammt, es tut mir so leid, dass du zu meinem Kindermädchen verdonnert wurdest. Dein Trainer wollte aber nicht auf mich hören und dabei war ich nur zu dumm geradeaus zu laufen." Empört schüttle ich den Kopf und deute mit einer wegwerfenden Handgeste an, wie fasch er doch liegt. Er kann wohl am wenigsten dafür. „Das war nicht deine Schuld, ist schon okay."

Julius scheint die Sache mehr zu beschäftigen als mich, weshalb er nicht so leicht davon ablässt. „Nein, ist es nicht, wir haben uns alle darauf gefreut, besonders du hast sicher daraufhin gefiebert." Entschuldigend sieht er mich an und deutet neben sich. Ich folge seiner Bitte und mache Anstalten mich zu ihm zu setzen. „Wieso ich?" Mir fallen tausend Gründe ein, wieso ich dieses Spiel spielen wollte, aber welche sieht Julius? „Naja, gerade du hast von denen jeden Scheiß abbekommen, dass wäre deine Möglichkeit gewesen, dich zu revanchieren. Und seit dem Abend, als ihr..." Der Ausdruck von Überraschung lässt sich nicht mehr überspielen, aber Julius scheint viel zu angestrengt nach Worten zu suchen, als dass er meine Verwunderung wahrnimmt. Vorsichtig versuche ich ihm entgegenzukommen, obwohl ich mir fast sicher bin, dass er diesen Abend mit ins Grab nimmt. „Du meinst den Kampf?" Mit zusammengebissenen Zähnen hoffe ich nichts Falsches gesagt zu haben, weil dieses Thema bei uns noch nie friedlich geendet hat, aber Julius bleibt ruhig neben mir sitzen und verfolgt jede Silbe stumm, bis er selbst bereit ist zu sprechen. „Ja. Bei diesem Spiel hättet ihr endlich klären können, wer wo steht. Ich bin sicher, dass du weißt, was ich meine." Ja, das weiß ich. Aber das war nicht das Wichtigste an diesem Abend. „Du hast uns damals unterbrochen."

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