Kapitel 43

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Mit der Erkenntnis, einem gewissen Jungen heute nicht in die Augen schauen zu können, ohne vor Scham im Boden zu versinken, wappne ich mich für den nächsten Tag. Hätte ich Schwierigkeiten mit der Schule, wäre ich jetzt schon maßlos überfordert, aber Abgabefristen, unlösbare Hausaufgaben und bald anstehende Klausuren, haben mich noch nie aufgehalten. Ich kann nur hoffen, dass sich das dieses Jahr nicht durch Zufall geändert hat.

Mein Stundenplan verrät mir, dass ich heute am Nachmittag mit Julius und Assia Englisch habe und ich muss mich unbedingt dafür mental vorbereiten. Eine kalte Dusche und einer meiner Lieblingspullis, für den es eigentlich noch ein bisschen zu warm ist, werden schon ihr Nötigstes tun. Wieso den Placeboeffekt ablehnen, wenn er einem auch helfen kann?

Als es soweit ist und ich mit einem tiefen Atemzug beim Hineingehen in den Raum Mister Wi begrüße, wird deutlich, dass mir meine guten Gedanken wenig helfen. Glückspulli hin oder her, es ist nur eine Stunde. Die überlebe ich doch wohl! Und als mich dann noch meine beste Freundin anstrahlt, als wäre Weihnachten, zwinge ich mich dazu, alles ein bisschen lockerer zu sehen. „Wieso strahlst du so, Curly?" Assias Grinsen wird noch breiter, als sie ihren neuen Spitznamen hört und zuckt einfach mit den Schultern. „Bin heute Morgen aufgewacht und war wach! War perfekt in der Zeit und konnte mir sogar noch ne Folge Doctor Who anschauen." Lachend lasse ich mir die erste Folge von der Serie zusammenfassen, von der Assia schon lange schwärmt. Verstohlen spähe ich rüber zu August und Julius, die sich angeregt unterhalten. Scheinbar ist heute wieder alles an seinem Platz. Allein ein leichter Rotschimmer, den ich hoffentlich nur spüre und keiner sieht, ist ein Unterschied zu sonst. Als der Unterricht dann tatsächlich anfängt, bin ich fest dazu entschlossen, den Tag so wie Assia anzunehmen und das Beste draus zu machen. Kann ja nicht alles schlecht sein, mh?

„Guten Morgen. Shroeder, wie nett, dass du uns heute mit deiner Anwesenheit beehrst. Oder warst du letzte Stunde in einem anderen Kurs und ich muss eifersüchtig sein?" Den Namen, der Mister Wi benutzt versetzt mir einen Stich, da er mir schon einige Male als Spitzname gedient hat. Ich erwarte, dass Julius irgendetwas Schlagfertiges sagt, auf das ich in tausend Jahren nicht gekommen wäre, aber seine Antwort fällt erstaunlich abweisend aus. „Nein, ich war krank, wie sie meiner Entschuldigung entnommen haben sollten." Gekränkt verschränkt Wi die Arme vor der Brust, er scheint fast enttäuscht. „Hey, heute mal nicht so lustig drauf?"

Julius lässt seine Frage unbeantwortet und dreht sich nur ein Stück den anderen Schülern entgegen. Wüsste ich es nicht besser, würde ich meinen, dass sein Blick zu mir zuckt. Als seine Augen dann wirklich an mir hängen bleiben, sind alle Zweifel vergessen. Was soll das den jetzt? Ist er etwa immer noch wegen der Sache mit der Prügelei wütend? Schmerzhaft kommt die Erkenntnis zurück, wieso wir das nicht klären konnten.

„Hat er dich gerade angeschaut?" Assia stupst mich verwundert mit ihrem Ellenbogen an und flüstert so leise, dass nur ich sie verstehen kann. Wenigstens habe ich mir die Situation dann nicht nur eingebildet. Ich versuche ihr tonlos verstehen zu geben, dass ich ihr das später erkläre. Sie weiß ja noch gar nicht, was vorgefallen ist. Assia lässt sich beleidigt abspeisen, obwohl sie eindeutig darauf brennt, alles von mir berichtet zu bekommen. Heute werde ich ihr davon erzählen! „Tut mir leid. Hast du heute Zeit? Dann kann ich dir alles in Ruhe erzählen."

Eine Antwort bekomme ich nicht mehr, weil Mister Wi uns mit Blicken taxiert. „Dürfen wir an Ihrem Kaffeeklatsch teilhaben oder verschieben Sie ihn auf später?" „Entschuldigung, Sir. Es wird uns eine Ehre sein, Ihnen nun folgen zu dürfen." Geschmeichelt führt Wi den Unterricht ohne Kommentar weiter und Assia grinst mich beeindruckt an. Man muss nur sein Ego streicheln, dann wird er zahm wie ein Lamm. Per Zeichensprache machen Assia und ich trotzdem noch aus, dass wir zu mir fahren.

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