Kapitel 30

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Julius' Stimme schneidet gebieterisch die Luft entzwei. „Dreh dich um."

Durch fehlende Handlungsalternativen tue ich wie geheißen, traue mich aber noch nicht, die Finger von den Augen zu nehmen. Sie bilden einen Kontrast zu der Hitze, die sich nicht nur in meinem Gesicht ausbreitet. Fuck. Bloß keinen Ständer kriegen, bloß keinen Ständer kriegen! Ich flehe meine untere Region lautlos an, sich zusammenzureißen, verfluche gleichzeitig die wenige Kontrolle meines Geistes.

„Nicht schummeln." Julius' Worte kommen ihm knurrend über die Lippen. „Was kommst du auch ohne Handtuch in dein Zimmer, wenn du Besuch hast, Shroeder?!" Murrend gesteht der Blondschopf seinen Fehler. „Ich hab dich ganz vergessen. Ist so ne Gewohnheit."

Klar, ganz vergessen, das hört man doch gerne. Mich der Versuchung bewusst, durchbohre ich das Fenster mit den Augen und stelle erleichtert fest, dass sich das Kribbeln in meiner Mitte weniger schnell steigert. Mit einem Ständer vor Julius zu stehen ist gerade das Letzte, was ich will. Außer ich wäre nicht der Einzige der- Stopp! Böse Gedanken. Aus!

Eigentlich bräuchte ich jetzt ein Gummiband, das ich gegen mein Handgelenk flitschen kann, um mich abzulenken und vor allem abzuturnen, aber ich habe nichts Passendes hier. Während Julius mit Schranktüren klappert und Stoff zum Rascheln bringt, umklammere ich die Schreibtischkante bis meine Knöchel weiß hervortreten. Ein kleiner Trost für mein immer größer werdendes Problem.

Julius braucht ewig. Ob das an ihm liegt oder an meiner gestörten Wahrnehmung kann ich nicht ausmachen, aber so habe ich wenigstens Zeit mich darauf vorzubereiten ihm wieder unter die Augen zu treten. Wieso ist ihm das nicht peinlich? Ist das so ein Hetero-Ding, dass sich Kumpel ihre Kronjuwelen unter die Nase halten? Kleiner Hinweis Shroeder, ich bin schwul verdammt!

Der Moment trifft ein und ich darf mich umdrehen, wobei ich meine Finger einzeln und möglichst unauffällig vom Holztisch löse. Julius hat sich ein einfaches Shirt und locker sitzende Jeans übergestreift. Was hat daran jetzt so lang gedauert?

Wir fangen bei unseren Aufgaben dort an, wo wir letzte Stunde aufgehört haben, bei null. „Wie lautet die Aufgabe nochmal?" Ich durchwühle meinen Verstand nach dem Blatt, dass ich vor zehn Minuten bestimmt zwanzig Mal gelesen habe, aber da ist nichts. Also lese ich die Aufgabe nochmal vor und schüttle das Gefühl ab, sie zum ersten Mal gehört zu haben.

Während ich Wort für Wort verlauten lasse, schiebt sich Julius immer weiter zu mir, um mitzulesen. Dabei schwebt sein Gesicht über meiner Schulter, was meinen Puls deutlich nach oben schießen lässt. Mehr als einmal komme ich ins Stocken, aber der Blondschopf scheint das nicht weiter zu beachten. Ich quäle mich durch die letzten Aufgaben, wie durch die letzte Soldatenreihe in einer Schlacht.

„Hast du schon Ideen?" Julius' Atem streift mein Ohr, wobei sein Tonfall keine Änderung aufweist. Meinen verdammten Hormonen ist es zu verdanken, dass sich eine hauchzarte Gänsehaut über Nacken und Arme zieht. Bitte, lass ihn das nicht bemerken! Ich weiß, dass Julius das nicht mit Absicht macht, er hat keinen Grund dazu, aber gerade das quält mich. Es wäre vernünftig mit dem Stuhl zur Seite zu rollen und Abstand zwischen uns zu bringen, aber so wie es mich quält, wärmt es mich. Alles an mir ist zum Zerreißen gespannt und auch wenn das total unangebracht ist, es fühlt sich gut an. Das Hämmern meiner Vernunft gegen meinen Kopf scheint meinem Körper total egal zu sein, weshalb ich einfach zu Stein erstarre. Julius hat dich was gefragt, du Idiot!

Langsam schüttle ich den Kopf, jede Bewegung muss ich mir erkämpfen. „Ich würde die Grundstrukturen unseres Bildungssystems erhalten. Also irgendwo hingehen und lernen." Tatsächlich ist das auch das Einzige, was uns von unserem System erhalten bleibt. Das war der Startschuss, den ich gebraucht habe. Schnell brainstorme ich Ideen zu den Themen Bewertungssystem, Lehrmethode und Autoritätsverhalten. Julius notiert sich alles und kommentiert ab und zu etwas. Ansonsten verhält er sich ekelhaft ruhig und neutral.

Er kniet neben mir und berührt beim Schreiben immer Mal wieder meinen Ellenbogen, was dem recht kurzen Tisch zu zuschreiben ist. Die Temperatur steigt in dem sowieso schon warmen Zimmer spürbar, was nicht allein am Wetter liegt. Was soll auch passieren, wenn Adonis höchst persönlich neben mir hockt und mit kleinsten Berührungen Blut Richtung Süden schickt?! Normalerweise bin ich nicht so empfänglich dafür, aber nach dem Anblick von vorhin hatte das Ding da unten noch keine Zeit sich wieder einzukriegen.

Mühsam lösche ich das innerliche Feuer mit reichlich zutrinken und atmungsreichen Gängen durch das Haus, die ich als „Klobesuche" ausgebe. Natürlich wäre das mit ein bisschen Hilfe meiner Hände schneller gelöst, aber ich kenne mich zu gut, um zu riskieren, dass Julius mich hört.

Als ich von meinem letzten und wahrscheinlich erfolgreichsten Spaziergang durch die Stockwerke wiederkomme, wartet der Blondschopf schon auf mich. Von da an kommen wir deutlich schneller zu vorzeigbaren Ergebnissen, sind aber immer noch nicht da, wo wir sein müssten. Wie auch, bei Ablenkungen dieses Ausmaßes.

„Ich schätze wir müssen uns doch nochmal treffen. Dieses Mal bei dir?" „Klar, gern." Und da werde ich eindeutig nicht kochen wie ein untervögelter Bulle, setzte ich mir vor. Jetzt müssen wir nur noch einen Tag ausmachen, was sich als deutlich schwieriger erweist. „In der Woche gar nicht? Stimmt, wir haben ja fast immer gleich Training. Und am Wochenende?" Kopfschüttelnd versuche ich es nochmal. „Samstag Training, Sonntag Aushelfen im Laden. Und was ist mit Montag?"

Wir legen uns auf nächsten Montag fest und mit diesem Entschluss verabschiede ich mich. Es wird schon dunkel und meine Mum soll keinesfalls auf die Idee kommen, allein zu kochen. So sitze ich wenig später in der Tube auf dem Weg nach Hause. Der Blondschopf hat mich gefragt, ob er mich nicht fahren soll, aber ich habe dankend abgelehnt. Die zusätzliche Zeit, die mir die Fahrt schenkt, brauche ich dringend.

So sitze ich auf dem flaumigen Stoff des Platzes, durch die Scheiben leuchtet die Sonne ihren Abschiedsgruß und mit ihr verschwindet jede Möglichkeit zum Verarbeiten dieses Tages. Das einzig Klare, was ich zu fassen bekomme, strahlt in Neonschrift vor meinem inneren Auge: Jetzt hast du deine Antwort auf Assias Frage.

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