Kapitel 67

95 8 0
                                    

„Habt ihr auch alle das Gefühl, ein Waschbär hätte euch als Wanderweg benutzt?" Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen und schaue Assia kurz verwundert an. „Ich habe keine Ahnung, ob es sich so anfühlt, aber falls du wissen möchtest, ob wir uns ziemlich verspannt fühlen, dann ja." Eingedeckt mit den zusammengeknüllten Schlafsäcken, bringen wir die Überreste unserer Nacht ins Haus, wobei ich die Töne eines zwitschernden Vogels vernehme, der eine Melodie anstimmt. So viel Mühe sich die Federkugel auch geben mag, wir waren die ersten.

Erst mit einer Tasse Tee in der Hand und der Frische einer Dusche auf der Haut, wird mir bewusst, dass heute Freitag ist. Heute ist der Tag, an dem wir abreisen und dieses kleine Paradies hinter uns lassen müssen. Aber viel schlimmer als das, was wir zurücklassen, ist das, was vor mir liegt. Alltag. Schule. Training. Julius.

„Ich weiß, dass wir noch nicht mal gefrühstückt haben, aber im Brotkorb müssten noch die letzten Brötchen von gestern liegen. Linus und ich wollen noch eine Runde joggen gehen und dabei können wir uns was vom Bäcker kaufen. Möchte jemand mitkommen?" Die Frage, die Cezara uns stellt, wirkt viel zu obligatorisch, als dass wir es wagen würden, mit zu laufen. Dazu kommt, dass Assia und ich zu Gewalttaten bereit wären, würde uns jetzt jemand rausscheuchen. Eigentlich sollte man ja davon ausgehen, dass ich als Fußballer jede Art der Bewegung mag, aber nicht um diese Tageszeit und vor allem nicht, wenn ich mich innerlich gegen einen Kampf rüste.

Als Linus die Haustür hinter sich schließt, kommen langsam aber sicher die Zweifel wieder, die mich vor unserem Ausflug aufgefressen haben. Eigentlich stehe ich noch an genau dem gleichen Punkt, wie es vor den Ferien der Fall war, also wieso war ich überhaupt so entspannt?! Was soll ich sagen, wenn wir uns sehen? Kann ich ihn überhaupt sehen, ohne los zu flennen, wie ein Kleinkind? Was soll ich dann machen?

Mir wird auf einmal übel und ich senke meinen Blick, sodass Assia nicht bemerkt, was in mir vor geht. Zittrig nehme ich einen Schluck von meiner Tasse, der meinen noch kalten Körper von innen heraus wärmt. Dieses Gefühl hatte ich in diesen paar Tagen oft, nur dass es durch meine Freunde ausgelöst wurde. Wieso sollte ich mich also jetzt wieder verkriechen? Ein kurzer Moment der Vernunft bringt mich dazu, nach Assia zu fragen. Zurück kommt sofort ein: „Was ist?"

„Ich versuche hier nicht durchzudrehen! Heute ist Freitag und das bedeutet, dass bald Montag ist und du weißt, was als Letztes passiert ist, als wir... und ich habe keine Ahnung, was ich machen soll. Ich will nicht wieder da anfangen, wo es beim letzten Mal geendet hat." Assias Miene wird unter meiner Erklärung betrübter, bis sie die letzte Marmelade auf den Tisch stellt und sich mir gegenübersetzt. „Ich weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ihr euch wieder begegnet. Aber lass uns erstmal frühstücken und dann ganz in Ruhe überlegen, wie es weitergehen soll, okay?" Der Ton ihrer Stimme beruhigt mich ungemein und ich nicke.

Das Brötchen in meinen Fingern verschwindet unter einer Scheibe Käse, während ich mit noch vollem Mund wieder auf das Thema zurückkomme. „So, jetzt habe ich was gegessen, zufrieden? Was soll ich jetzt wegen... Naja du weiß schon. Den Tatbestand kennst du und was schlussfolgerst du daraus, Sherlock?" Assia schüttelt amüsiert den Kopf, hört aber auf, an ihrem Schokocroissant zu knabbern. „Ich glaube es ist eindeutig, was du zu tun hast, aber das macht die Sache nicht einfacher. Dieser Schuft hat bisher nur Unheil angerichtet und das muss sich ändern. Einfach aber effektiv: Ignorier ihn!"

Der letzte Bissen meines hineingestürztem Käsebrötchens lässt keinerlei Antwort zu, obwohl ich tausende hätte. Einige Sekunden schmatze ich vor mich hin, ehe ich etwas erwidern kann. „Und das soll die Formel des Wieder-glücklich-werdens sein? Ihn wie ein eingeschnapptes Kleinkind zu ignorieren?" Assia rümpft gekrängt die Nase, beseitigt jedoch alle Zweifel. „Ich gehe nicht davon aus, dass du eine andere Idee hast, oder? Und außerdem hast du keine andere Wahl. Sobald du dich auch nur ansatzweise in seiner Nähe befindest, kracht bei dir alles zusammen und du würdest dir keinen Gefallen dabei tun, das noch mal zuzulassen. Aber einfaches Ignorieren muss natürlich gelernt sein. Lass ihn gar nicht erst in deine Nähe, weiche ihm aus. Entweder erkennt dieser Trottel dann, was er verpasst oder du machst es dir deutlich einfacher, über ihn hinweg zu kommen."

Mein Verstand stimmt ihr feurig zu, aber der Rest hat da noch so seine Zweifel. Ob ich es schaffe, ihn auszusperren? Das ich mich nicht mehr gegen diesen Typ wehren kann, führt mir vor Augen, wie kaputt ich doch sein muss. Nicht ohne Probleme versuche ich Assia aufzuzeigen, wieso sich das nicht so einfach anfühlt, als es klingt, aber sie seufzt danach nur frustriert auf. Ich nerve mich ja auch schon selbst, dabei ist ihre Reaktion nur eine Bestätigung. „Dann binden wir das halt an eine Bedingung. Solange du dich nicht wieder in ihn verlieben würdest, läuft das so. Ich weiß, dass sich das alles viel leichter anhört, als es ist. Aber du hast mir eine Heidenangst eingejagt am letzten Schultag, also glaube nicht, dass ich ihm noch ein par Chancen gebe. Und dir sollte es genauso gehen, auch wenn damit deine Schmetterlinge noch nicht verschwunden sind. Also bitte, hör auf mich."

Der Nachdruck und ihre Sorgen berühren etwas Tiefes in mir und ich gebe mich geschlagen. Sie hat mehr als nur Recht und diese nervige Hoffnung darf mich nicht mehr blenden. Dieser Kurzurlaub hat mich wieder amten lassen und dank der Erklärungen mit Linus einiges an Verarbeitung nachgeholt. Das werde ich mir nicht von dem blassen Kribbeln in meinem Bauch kaputt machen lassen.

Mit einem Honigbrötchen sichere ich meinen Entschluss und stoße mit meinem Tee auf die kommenden Wochen an, die nur noch besser werden können. Zufrieden und mit Unterhaltungen über Belanglosigkeiten schließen wir unser Frühstück ab und räumen schonmal unsere Koffer ein, ehe unsere Freunde zurückkommen.

Dieses Mal brauche ich keine Hilfe von meiner besten Freundin und bekomme mit meinen Tetris-Erfahrungen und einem letzten Rest Muskelkraft die Sachen einsortiert und den Reißverschluss zu. Keine halbe Stunde nach unserem Essen treffen Assia und ich uns wieder in der Küche, um das restliche Geschirr abzuspülen und nochmals durchzufegen. Während ich die Tassen abtrockne und Assia mir die Fransen des Besens immer wieder gegen die Knöchel jagt, kommen Linus und Cezara rein. An ihren roten Gesichtern kann man die Temperatur von draußen ablesen.

Cezara verschwindet sofort im Bad und gönnt sich sicher eine warme Dusche nach der Bewegung, wobei Linus sich einen übriggebliebenen Apfel von der Anrichte stielt. „Habt ihr nicht gerade erst gegessen? Und wieso hast du da ein Blatt im Haar?" Das Gesicht meines Freundes färbt sich noch roter, als ich ihn auf den Dreck an seinem Ellenbogen anspreche, aber das Glitzern in seinen Augen bleibt bestehen. „Joggen, ja? Genauso viele Kalorien habt ihr sicher verbrannt..."

Linus Grinsen macht mir einiges klar und erklärt auch, wieso er Hunger hat, Cezara nochmal ins Bad musste und seine Lippen leicht geschwollen aussehen. Sein Gemüt erlaubt es ihm aber, nicht verlegen zu sein und er nimmt mir das Handtuch aus der Hand, um selbst abzutrocknen. Ihn so glücklich zu sehen erreicht mich und während wir die letzten Dinge zusammenpacken, erfüllt mich mit einem Gefühl von beruhigendem Glück. Egal was in den nächsten Tagen noch passiert, so lange ich meine Freunde bei mir wisse, kann mir niemand die Zufriedenheit klauen.

Be My Cookie (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt