Kapitel 45

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Trotz meiner Blessuren entscheide ich mich dazu, am Mittwoch zum Training zu gehen. Ich bin immer noch der Captain des Teams und sehe meinen Spielern gern dabei zu, wie sie über den Hallenboden schweben. Am liebsten würde ich die Anweisungen des Arztes über den Haufen werfen und selbst mitspielen, aber das würde nicht gut ausgehen. Dabei fehlt es mir so, alles in ein Spiel zu stecken, gerade jetzt, wo sich mein Kopf über ein wenig Ablenkung freuen würde... Die Gedanken über Julius verfolgen mich. Das ist nichts neues, bis vor einer Woche war es sogar angenehm und von einem Kribbeln gespickt. Aber seit er sich so verhält, wie er sich verhält, schwanke ich zwischen Verkriechen und ihn zur Rede stellen. Und dass er heute der Einzige ist, der in der Halle ist, bevor ich reinkomme, macht es nicht einfacher.

Seine Haare sind leicht verstrubbelt, als wäre er schon ein paar Mal mit dem Fingern durch sie gefahren, weil sie ihm beim Aufwärmen gestört haben. Die funkelnden Augen zeugen ebenfalls von der kurzen Erwärmung, denn nur die Bewegung mit dem Ball lässt seine Augen so leuchten. Seine Trainingssachen bestehen wie gewohnt aus einer kurzen schwarzen Hose und einem übergroßen Shirt. Meine viel zu langen Beine würden wie Stöcker aussehen in solchen Shorts, aber noch schlimmer wäre wahrscheinlich-

Anstatt meinen Gedanken zuzuhören, entscheiden meine verfluchten Beine zu ihm zu gehen. Na danke auch. Auf einmal wirkt die Halle viel größer als normalerweise und ich komme mir selten verloren vor. Wir haben kaum die Gelegenheit allein zu sprechen, gerade weil immer Assia und August um uns herum sind und seit er entschlossen hat, mich zu ignorieren, ist das noch schwieriger geworden. Eine bessere Chance kriege ich nicht mehr...

Mit entschlossenen Schritten gehe ich auf Julius zu, aber sobald er mich sieht, fängt er an mit seinem Ball zu dribbeln. So schnell wird er mich nicht los. „Eh, Hallo." Wow, dass ich nervös bin, bemerkt er spätestens jetzt. Unter meinen Worten stoppt er und dreht sich zu mir. Den Ball lässt er achtlos wegrollen. Das Funkeln, das bis eben noch in seinen Augen war, ist längst verschwunden. Zurück bleibt ein tristes Braun, dass eher einem Grau ähnelt, als hätte es mein geliebtes Schokobraun nicht gegeben. Fragend zieht er eine Augenbraue hoch, wirkt aber eher so, als hätte er kein Interesse an dem, was ich sagen könnte.

Stumm fahren meine Augen seinen Gesichtszügen nach. Er sieht aus wie aus Stein gemeißelt, aber ein zuckender Muskel im Unterkiefer enttarnt ihn als Menschen. Wäre er früher steinern gewesen, hätte ich ihn als eine dieser marmornen Griechenstatuen gesehen, aber jetzt wirkt er eher wie aus grobem Stein gehauen, sodass man ihn nur noch erahnen kann. „Was willst du?"

Autsch. Bin ich der Einzige, der an der Sache zu knabbern hat? Wie kann er nur... All meinen Mut zusammennehmend, lege ich mir ein paar Worte zurecht. In seiner Anwesenheit fällt es mir nicht leicht, überhaupt etwas herauszubringen. „Wir müssen reden." Julius' einzige Reaktion besteht aus dem Schürzen seiner Lippen. Alles andere an seiner Haltung bleibt so abweisend. Ich klammere mich an die Hoffnung, dass er seine Mauer fallen lässt und endlich auf mich zukommt.

„Es gibt nichts zu besprechen." Damit dreht er sich weg und stapft Richtung Tür. Verletzt lasse ich ihn gehen, mache keine Versuche ihn aufzuhalten. Soll er doch abhauen! Wenn er das nicht lösen möchte, dann soll er doch. Wir sind nicht mehr in der Grundschule, wo man sich droht, nicht auf die nächste Geburtstagsparty einzuladen. Zurückkommen wird er jedenfalls nicht, weil sein Team eh draußen Training hat. Mit einem frustrierten Stöhnen kicke ich den Ball ein Stück weiter. „Ah, verdammt." Meine ganze Seite schreit unter der Bewegung und wehrt sich mit jedem Muskel. Das war eine dumme Idee.

„Hey, alles okay, Paul?" Roy kommt durch die offene Tür gejoggt. Beschwichtigend zeige ich ihm einen Daumen hoch und komme ihm entgegen. „Ja man, alles gut. Bin letzte Woche... Eine Treppe runtergefallen. Bin heute auf der Ersatzbank." Assias Ausrede scheint mir passend und meine Freunde anzulügen fällt mir so oder so schwer. Mitfühlend stellt mir Roy ein paar Fragen, ehe auch die anderen eintrudeln. Sobald alle halbwegs im Bilde sind und voller Motivation durch die Halle jagen, setze ich mich an die Seite. Dort wartet schon Zack auf mich, um sich die Papiere geben zu lassen.

Mein Trainer hat heute seinen langen Trainingsanzug an, mit dem wir ihn schon letzte Saison aufgezogen haben. Er besteht aus zusammenpassender quietschblauer Hose und Shirt, mit dem jeder andere aussehen würde wie ein Schlumpf. Schlimm genug, dass Zack aussieht, als könne er Bäume ausreißen, ihm muss auch noch alles stehen. „Wehe das passiert dir demnächst nochmal- Wir würden gern unseren Captain behalten, auch ohne Rollstuhl. Vor allem nicht, wenn wir vorhaben ein Wochenendausflug zu machen. Bist du bis dahin wieder fit?" Mit einem eifrigen Nicken antworte ich ihm. Das habe ich ganz vergessen, aber zum Glück sind die Verletzungen bald wieder verheilt. Halbwegs zufrieden lässt er mich hier stehen und bespricht mit dem Team, was er heute mit ihnen vor hat.

Die Zeit zieht sich, was hauptsächlich daran liegt, dass ich hier bald irre werde. Während ich auf dieser langweiligen Bank festgenäht bin, dürfen die anderen sich verausgaben. Wehmütig beobachte ich, wie sie Geschwindigkeitsübungen und Laufmuster abarbeiten. Ich fühl mich wie ein Verhungernder, der bei einem Festmahl zuschauen darf. Ob es eine Erlösung ist, dass Jasper in einer Pause zu mir kommt und meint, ich könne ruhig gehen und es gebe für mich keinen Grund ihnen Stundenlang zuschauen zu müssen, oder noch schlauchender für meine Laune ist, weiß ich nicht. Die Vorstellung unter einer Decke gekuschelt zuhause rumzuliegen ist zwar nicht schlecht, aber nur ein kleiner Trost für meine Hibbeligkeit.

Mit einer Laune, die im Keller vor sich hingammelt, wie ein Haufen schimmliger Mandarinen, mache ich mich auf den Heimweg. Ich versuche mich von dem Gedanken abzuhalten, dass mich auch meine Freunde loswerden wollen, aber das gilt scheinbar nur für Julius. Um nicht noch miesepetriger zu werden, lasse ich Gedanken an ihm nicht zu. Das macht die Bahnfahrt mit ihrer Stille zwar schwer, aber bis jetzt schlage ich mich wacker.

Meine Mum ist keine große Hilfe dabei, wieder besser drauf zu sein. Normalerweise motiviert mich ihr Gewusel immer, aber heute möchte ich einfach in mein Bett fallen. „Wie war dein Tag, Engel?" Ihrer aufgekratzten Stimme zuliebe schenke ich ihr ein Lächeln, dass eher schlecht als recht funktioniert. Nach keiner Sekunde gebe ich diese platte Lüge auf und gebe ein gequältes „Mhääh" von mir. Mitleidig lässt sie mich kurz stehen und holt zwei Teller Pasta aus der Küche. Diese platziert sie auf dem Couchtisch, holt eine Wolldecke und macht den Fernseher an. „Das kann man ja gar nicht mitansehen. Na los, den Rest kann ich auch morgen machen. Welcher Film soll es heute sein?" Sie ist die Einzige, die es an Tagen wie diesen schafft, mir ein echtes Lächeln zu entlocken.

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