Kapitel 31

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„Junger Mann, gilt der Preis pro Pfund oder pro Bund?" „Pro Pfund, Sir." Der ergraute Mann schenkt mir ein Lächeln und greift nach einer weiteren Hand Rosenkohl. Bei welchem Gericht man so viel Kohl verwendet, ist mir schleierhaft, kommt mir aber zu gute.

„Und haben Sie denn auch diese kleinen Schokohörnchen? Meine Enkelin freut sich immer, wenn ich sie mitbringe." Während der Ältere strahlend von seiner Enkelin schwärmt, kündigt das Läuten der Ladenglocke einen neuen Kunden an. Ich stehe in einem Gang, von wo aus man die Tür im Blick hat, was der Grund ist, wieso ich aus dem Gleichgewicht falle. Julius steht im Eingangsbereich und sieht sich suchend um. Mein Julius.

„Junger Mann? Also haben sie das Gebäck?" Ich schaue ihn an, aber mein Geist klebt noch an der Tür. „Ja, eh also worum ging es noch gleich? Entschuldigen Sie, Sir." Es ist beschämend, so unprofessionell zu arbeiten, aber daran kann ich gerade nichts ändern. Mein Hals ist viel zu sehr damit beschäftigt, sich der Tür entgegen zu recken. Zu meinem Unbehagen dreht sich nun auch der Silberfuchs in Julius' Richtung und erhascht einen Blick auf ihn. Mit einer Hand reibe ich mir nun doch schuldbewusst den Nacken und fokussiere mich auf meinen Kunden. Der ist nun auch fertig mit Starren und trägt einen unergründlichen Ausdruck in den Augen. Er zwinkert mir so zu, dass nur ich es sehen kann und schiebt ein wenig lauter als nötig hinterher: „Danke für die Hilfe, Mister Wilson. Sie brauchen mir nicht mehr zu helfen, ich sehe sie schon." Wir stehen im Konservengang. Hier gibt es kein Gebäck. Aber der Mann, der ist verschwunden.

„Hey, Paulo. Ich hoffe ich stör nicht?" Den Schmetterlingen in meinem Bauch zu urteilen überhaupt nicht. Wie elektrisch geladen kribbelt meine Haut unter dem Klang seiner Stimme. Und wie er mich nicht stört! „Also nein, eh, ist schon okay. In einer halben Stunde beginnt der größere Ansturm, da habe ich zu tun." Das ist absoluter Quatsch. Der Laden füllt sich schon jetzt immer mehr, aber noch ist niemand an der Kasse.

Am Tresen ziehen wir uns zwei Barhocker vor und Julius packt eine braune Papiertüte auf den Tisch. Hatte er sie schon, als er hier ankam? Notiz an mich selbst - vor dem Schwärmen und in Ohnmacht fallen, erst die Sachlage prüfen. Leichter gesagt als getan. Julius beantwortet meine stumme Frage, indem er sie zu mir schiebt und den Inhalt auflistet. „Ich war vorher noch Proviant besorgen, weil du beim Arbeiten bestimmt nicht immer zum Essen kommst. Ich wusste nicht, was du gern isst, also hab ich einfach alles genommen, was lecker aussah. Wir haben hier ein Schinken-Käse-Croissant, eine Pizzatasche, Pommes und zwei Burger. Hast du Vorlieben?"

Ja, dich. Arrgh. Nein. Julius' Verpflegungspaket macht mich baff und ich könnte ihn mit Umarmungen zerquetschen, weil er an mich gedacht hat. Der Blondschopf hat sich Gedanken um mich gemacht! Ist heute Weihnachten? „Alles klingt lecker. Was möchtest du denn?" Meine Frage ignorierend, nimmt er sich zwei Teller vom Tresen und drapiert einige der Leckereien darauf. Den nun vollbeladenen Teller lässt er mit Schwung zu mir rutschen. Hat er jetzt für mich entschieden? Irgendwie ist das verdammt heiß. Zu verwirrt von meinen eigenen Gefühlen beginne ich mit der Mahlzeit und klaue eine Fritte von Julius. Anfangs schlägt er noch nach meiner Hand, aber wir finden beide daran gefallen uns unser Essen von den Tellern zu klauen.

„Wie lange hat der Laden eigentlich geöffnet?" „Hast du hier irgendein bestimmtes Ziel?" Wir schneiden uns gegenseitig die Wörter ab und müssen aus der Situation heraus lachen. „Ich habe gehofft, dass wir noch einiges für das Englischprojekt zustande bekommen, aber so besucht wie der Laden ist..." Jetzt fallen mir auch die vielen Kunden auf, die sich mit System durch die Gänge arbeiten. Noch immer ist keine Schlange zu sehen, genauso gut kann ich es meinen Kunden zutrauen, dass sie mich nicht beim Essen stören wollen, schließlich kennen sie mich alle seit einigen Jahren. „Mist, du hast recht. Nach dem Essen muss ich echt weitermachen. Tut mir leid, dass wir nichts mehr für die Schule schaffen." Zwischen zwei Bissen und einem gescheiterten Satzanfang antwortet er mir. „Kein Ding und wenn ich dir helfe, fällt die Pause bestimmt kaum auf."

Julius möchte trotzdem hierbleiben. Und er scheut sich nicht, mit anzupacken. Habe ich schonmal erwähnt, wie perfekt dieser Junge ist? Genauso perfekt, als dass ich hier noch Stunden mit ihm sitzen könnte. Aber die Teller leeren sich und an den Kassen erwarten mich Menschen, die noch pünktlich zum Mittag erwartet werden.

Julius packt unsere Teller in den Abwasch und zusammen gehen wir Richtung Kasse. Zügig entwickeln wir ein System, welches meine Mum und ich benutzt haben, als sie mich hier eingearbeitet hat. Ich piepe die einzelnen Waren durch, während Julius mit anfangs noch ungeübten Handgriffen alles in Tüten verteilt. So arbeiten wir die Schlange in einem guten Tempo ab, finden einen Rhythmus, der es dem Blauäugigen leichter macht, hinterher zu kommen, aber auch er braucht nicht lange, um das Tempo anziehen zu können. Eine gute halbe Stunde später ist der Laden nur noch halb so besucht und wir können durchatmen.

„Was machen wir als nächstes? Sonntags kommen ja keine Lieferungen, oder?" Seine Motivation ist beinahe greifbar und ich muss ihn nicht enttäuschen. „Nein, aber es gibt genug Waren, die darauf warten einsortiert zu werden. Weil ich zwischendurch Kunden betreuen muss, wäre es sinnvoll, wenn man dich als Mitarbeiter erkennt. Du hast nicht zufällig Lust auf ein sexy Kostüm in grün?" Es ist mir schon beim Sprechen peinlich, ihm diese hässliche Schürze anzubieten, aber zu meinem Erstaunen leuchten seine Augen auf und er streckt die Hand aus. An der Kasse haben meine Mum und ich immer welche als Ersatz deponiert, falls einer von uns kurz aushelfen muss.

Dem Wuschelkopf steht sie leider genauso wenig wie jedem Menschen, aber er sieht verdammt süß darin aus. Und gehört nun sichtbar zu mir. Ach wie schön der Gedanke wäre, wenn er es auch mit dem Herzen tun würde. Aber es hilft alles nichts, deshalb kann ich ihm auch nicht ewig schmachtend hinterherstarren, sondern muss Paletten aus dem Lager zu Tage fördern.

Als ich aus dem Keller kommen, die Arme wie ein Gabelstapler von mir gestreckt, stelle ich alles in dem passenden Gang ab und mache mich auf die Suche nach Julius. Wo ist er denn jetzt hin? Seiner Stimme nach zu urteilen, telefoniert er. Mir wird schnell klar, dass ich mich geirrt habe, als ich ihn im Obst- und Gemüsegang finde. Er redet mit einer mir gutbekannten Oma, die ihn mit Fragen löchert. Nachdem er mehr schlecht als recht Auskunft gibt, nimmt er ihr mit einem schmeichelnden Spruch den Korb aus der Hand und sucht scheinbar selbst nach dem Artikel. Die Frau geht auf Anweisung schonmal zur Kasse.

Mein Herz schmilzt währenddessen vor sich hin. Gott, ist er süß. Eine Sehnsucht überkommt mich wie ein Verdurstender. Aber diesen wundervollen Menschen darf nur Liza ihren nennen. Dieses bedrückende Gefühl lässt mich auch nicht los, als sich Julius am Ende des Tages mit einer Umarmung verabschiedet und ich ihm eine Kleinigkeit für seine Schwester mitgebe. Ich kann mich nicht dagegen wehren. Ich bin unwiderruflich in diesen Jungen verknallt. Und er ist mit jemand anderes zusammen.

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