Kapitel 69

95 7 0
                                    

Als August und ich den Eingang zur Hölle betreten, wird mir bewusst, wie ruhig der bisherige Tag war.

Der so gefürchtete erste Schultag, den ich mir eher als Löwenaufgabe vorgestellt habe, wurde zu einer kleinen Katze. Der Tag tapste so vor sich hin, barg keinerlei Überraschungen und war einfach irgendwie niedlich, sodass selbst ich daran nichts zu meckern habe. Die Geschichte mit Julius war weniger vertrackt und wüsste ich es nicht besser, würde ich glaube, dass er mir die Sache mit dem Ignorieren nachmacht. Dementsprechend sind wir uns gegenseitig aus dem Weg gegangen und Assia und ich haben die Mittagspause in der Bibliothek verbracht.

Den wenig interessanten Tag habe ich aber fast wieder vergessen, als wir die mit schwarzem Stoff überspannten Wände sehen, die den Tag zur Nacht machen. Der Lockenkopf und ich haben uns nach der ersten Stunde für den Nachmittag verabredet, weil er mir einen Ort zeigen wollte, den er in den Ferien entdeckt hat. Seine Erzählungen kommen aber nicht Mal ansatzweise an diese Räumlichkeiten heran, die vermuten lassen, dass viele Menschen hier ihre Seele verkauft haben.

Die dunklen Wände lassen die feuerroten Ledercouches noch stärker hervortreten, als sie es so schon tun. Überall befinden sich Goldapplikationen, die eine gewisse Eleganz schaffen, so als würde der Teufel diesen Laden nur im Anzug betreten. Das meiste Licht kommt von den neonblauen Bowlingbahnen, dessen Pins unter dem Geheul von Kanonenfeuer umfallen. Der hintere Teil wiederrum wird nur von Glühbirnen beleuchtet, die wie einsame Sterne von der Decke hängen. Hier stehen mit Flammen bemalte Automaten, die nach Betrug schreien und sicher den ein oder anderen ahnungslosen Mann in den Bankrott geschickt haben. Die Verbindung der beiden Bereiche schafft ein langer Tresen, an dem einige Tische aufgereiht sind und an den Billardtischen grenzen.

„Mitgebrachtes Essen oder Trinken ist hier nicht gestattet. Handelt es sich dabei um mitgebrachte Speisen?", donnert es von der Bar. Meine Augen richten sich sofort auf die Tüte Gummibärchen und die kleine Fanta, die August in der Hand hat und die wir vorher bei Tesco gekauft haben. Wir stehen so präsent mitten im Raum, dass es nichts bringen würde, sie einfach hinter dem Rücken zu verstecken und so verabschiede ich mich innerlich schon von den mitgebrachten Leckereien.

August scheint nicht im Traum daran zu denken und antwortet schamlos mit „Nein". Verdutzt blicke ich den Jungen an, dessen Grübchen durch sein freches Grinsen noch mehr herausstechen. Ich kann kaum mitzählen, wie oft mich dieser Kollege in Schwierigkeiten gebracht hat. Aber wie es nun mal in Augusts Natur liegt, kommt er unbestraft davon. Das Lachend des Barkeepers bestätigt das nur und er winkt uns an den Tresen.

„Hi, ich bin Paymon und willkommen im Underground, Fremder." Erst jetzt erkenne ich im Schein einer Glühbirne, dass es sich bei dem Barkeeper um keinen Schlägertyp handelt, wie ich befürchtet habe. Sein Erscheinen ist dadurch aber nicht weniger eindrucksvoll. Ein so atemberaubendes Wesen kann kein Mensch sein, das ist zu neunundneunzig Komma neun Prozent ein Dämon in der Gestalt eines Mittezwanzigjährigen. Anders kann man dieses perfekt symmetrische Gesicht mit den schneidenden Wangenknochen und vollen Lippen nicht erklären. Die aschblonden Haare fallen ganz ohne Gel in einer perfekten Frisur um sein blasses Gesicht. Die Augenbrauen mit dem weichen Schwung umspielen seine blassgrauen Augen, die ich in dieser Farbe nur selten gesehen habe. Nein, das ist ganz sicher kein Mensch.

„Dasselbe wie die letzten Male?", fragt der Hohedämon namens Paymon und spült mit einer Hand ein Glas ab. Ich rechne damit, dass er August gleich einen Tequila rüberreicht, aber er stellt entgegen meiner Erwartungen nur ein Glas Eistee vor ihm ab. „Was ist mit dir? Hat dir meine bezaubernde Aura den Atem verschlagen?" Okay, er weiß also von seinem erschlagenden Aussehen. Jeder andere Mensch hätte bei dieser Aussage wahrscheinlich eingebildet geklungen, aber Paymons Augen glitzern so verschmitzt, als dass es sich nur um einen Scherz handeln kann. Oder?

„Eh ja, bitte das gleiche." Mit einer hochgezogenen Augenbraue widmet sich der Barkeeper seiner Passion, sodass ich mich wieder August zuwende. „Jedenfalls habe ich das Underground entdeckt, als ich mit meinen Eltern oben im Center war und meine Mom auf Klo musste und irgendein Vollidiot hat uns in den Keller geschickt, aber im Endeffekt war das nicht schlimm, weil die hier ja auf Toiletten haben. Seitdem war ich danach fast jeden Tag in den Ferien-" Seine Erzählungen verstummen, als ein lauter werdendes Gespräch von nebenan seine Worte unverständlich macht. „Ja Schatz, ich bin auf dem Weg. Ja, wir haben heute länger gemacht, aber dafür komme ich morgen sicher früher nach Hause... Ja, ich bin schon im Underground, da kann es sicher nicht mehr lange dauern... Ja, ich lieb dich auch, Schatz." Ein glatzköpfiger Mann mit Aktentasche und einem Anzug über dem korpulenten Körper tippt auf seinem Telefon herum und steckt es dann wieder in die Hosentasche.

An die Zweideutigkeit des Namens habe ich vorher gar nicht gedacht, wodurch es noch schwieriger ist, nicht in Lachen auszubrechen. Schmunzelnd hat auch Paymon aufgehört irgendwelche Flüssigkeiten in ein Glas zu geben und lauscht dem verklingenden Gespräch. Dass sich der Dämon freut, wenn ein Geschäftsmann seine Frau wegen ein paar Casinoautomaten anlügt, sollte wohl kein Wunder sein.

Der dämonische Barkeeper betrachtet kurz das volle Glas in seiner Hand und schiebt es dann mir entgegen, wobei ich mir sicher bin, dass es sich nicht um Eistee handelt. Mein fragendes Gesicht entlockt ihm dann aber eine Erklärung. „Bei so einer Anspannung hilft kein Eistee, also trink und werde locker. Hier soll man sich schließlich amüsieren." Ich will gerade protestieren, dass ich noch nicht ganz achtzehn bin, aber sein strenger Blick ringt mir einen Schluck ab. Tatsächlich ist es nur eine bunte Mixtur aus Sirup und irgendetwas Koffeinhaltigem, was ich in dieser Mischung aber nicht erschmecken kann. „Danke, Paymon."

Beladen mit einer Anzahl an schweren Kugeln und einem Stück Kreide, entlässt uns der Barkeeper und wir suchen uns einer der typisch waldgrünen Tische. Die verschieden langen Queues, die wie gefährliche Holzspeere an den Wänden hängen, unterlaufen Augusts prüfenden Blick, ehe er mir einen in die Hand drückt und dann selbst einen auswählt. Ob August wirklich eine Ahnung hat, wie man die Bälle in dem Dreieck aufstellt, ist an der Anordnung nicht abzulesen. „Du weißt nicht, wie sehr es mir gefehlt hat mit jemandem zu reden, der nicht nur brummelt." Mein Kumpel nimmt dabei das Dreieck von den Kugeln und lässt mich das Spiel eröffnen. Da ich weiß, wen August damit meint, stoße ich den Speer mit ein wenig zu viel Kraft gegen die weiße Kugel und mehrere werden in den Löchern versenkt. „Du hast die Halben", kommentiert August meine Partie.

„Bist du bei dem Spiel am Mittwoch eigentlich dabei?", frage ich, um das Thema zu wechseln. Da nun August dran ist, nimmt er meine Frage erst nur beiläufig wahr, stützt danach aber die Fäuste in die Seiten. „Das fragst du noch? Du enttäuschst mich, du solltest doch wissen, dass ich kein Spiel mehr misse. Die Frage ist, ob du wieder einsatzbereit bist."

Ich muss mich halb über den Tisch lehnen, um an die Kugel zu kommen, die nahe an eine der Löcher ist, aber dabei murmle ich zurück, dass ich auf jeden Fall dabei sein werde. „Gibt es danach wieder eine Party?" Jetzt muss ich lachen. „Nein, wir feiern nicht nach jedem Spiel und gerade in der Klausurphase sind wir ein wenig verantwortungsbewusster. Aber glaub mir, dass war nicht das letzte Mal."

Wir quatschen nebenbei noch ein wenig weiter, aber vor allem widmen wir uns dem Spiel, das August zwar ziemlich leichtfällt, aber ich die Kniffe und Strategien erst wieder aus dem Winterschlaf holen muss. Am Ende gewinnt er natürlich, aber eine Revanche lasse ich mir nicht nehmen und so beginne ich zu verstehen, wieso man an diesen Ort seine Seele verspielen könnte.

Be My Cookie (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt