Ich wusste nicht, was meine Mutter mit dieser Münze gemacht hatte, denn am nächsten Tag konnte ich sie nirgends entdecken. Vermutlich hatte ich mir ausgemalt, dass ich diese Begegnung nur im Traum erlebt hatte und begann deshalb, nach dieser Münze zu suchen. Als Beweis dafür, dass diese mysteriösen Reiter wirklich durch die Stadt geritten waren. Doch so gründlich ich auch suchte, ich konnte sie nirgends entdecken. Meine Mutter war bereits außerhalb des Hauses zugange und versuchte den schlimmsten Schaden zu beseitigen, den der Regen verursacht hatte. Die ganze Nacht über hatte es in Strömen geregnet, dementsprechend stand das halbe Dorf im Wasser.
Am heutigen Tag hatte meine Mutter daher beschlossen, nicht zum Markt zu fahren. Es wäre zu gefährlich, bei diesem matschigen Boden die Strecke auf sich zu nehmen. Das Risiko, dass Leno sich dabei verletzte, war grundlegend zu hoch und wir waren auf ihn angewiesen. Nachdem ich meine Suche also mit einer Enttäuschung beenden musste, verließ ich ebenfalls das Haus und begann damit, die Tiere zu füttern. Der Weg zu den Stallungen war zwar matschig und an manchen Stellen auch ziemlich rutschig, doch diese Arbeit musste eben erledigt werden. Gerade jetzt, wenn nichts anderes möglich war. An die Arbeit auf dem Feld brauchten wir in diesem Zustand gar nicht erst zu denken.
„Camilla, wärst du so freundlich und würdest mir dieses Brett dort drüben reichen?" fragte mich meine Mutter, als ich den Stall verließ und ich watete direkt zu ihr herüber. Die einzigen halbtrockenen Stellen befanden sich auf den kleinen Steinwegen direkt vor den Häusern. Alles andere schwamm regelrecht unter unseren Füßen davon. Innerhalb dieser Berge zu leben, hatte in manchen Situationen eben auch seine Nachteile. Wenn ich so genau darüber nachdachte, hatte es mehr Nachteile als Vorteile, hier zu leben. Dennoch liebte ich diesen Ort. Er war schließlich mein Zuhause.
Ich griff nach dem Brett, welches an der Hauswand angelehnt war und reichte es meiner Mutter. „Wo ist die Münze?" fragte ich sie noch im selben Augenblick, da sie dieser Frage nun nicht ausweichen konnte. Ich bekam jedoch nur ein Seufzen als Antwort zu hören. Was allerdings nicht das war, was ich mir erhofft hatte. Sie befestigte das Brett mit ein paar wenigen Nägeln an der Wand, wo das vorige Holz durch den Regen, zu stark beschädigt worden war und nun hatte erneuert werden müssen. „Was hast du mit ihr gemacht?" fragte ich sie erneut, nur mit einer veränderten Satzstellung.
Sie antwortete mir allerdings noch immer nicht, bis sich das Brett fest an der Hauswand befand. Erst dann wandte sie sich mir zu. „Der Winter steht vor der Tür, Liebes. Wir haben kaum noch gute Kleidung, die uns in dieser Zeit warmhalten kann. Du bist aus all deinen alten Sachen bereits herausgewachsen." Ich wusste nicht recht, was ich darauf hätte antworten sollen. Natürlich hatte sie recht. In den letzten Jahren war ich ziemlich schnell gewachsen und die Kleidung meiner Kindheit war mir schon seit einer ganzen Weile zu klein. Aus diesem Grund hatte ich begonnen, die Kleidung meiner Mutter zu tragen, doch für uns beide würde diese auf Dauer nicht ausreichen.
„Ich weiß, dass dies nicht unser Geld ist, doch wir haben keine andere Wahl. Wir sind auf jedes kleine Bisschen angewiesen. Ebenso wie auf unsere Felder, Leno und all die anderen Tiere. Diese Männer haben uns diese Münze überlassen, also sollten wir sie im Austausch für etwas Neues verwenden und dankbar für ihre Großzügigkeit sein." Seit dem vorigen Tag, stellte ich fest, dass wir immer seltener die selbe Meinung teilten. Woher das kam, konnte ich mir nicht erklären. „Sobald der Boden wieder trocken ist, könntest du wieder mit auf den Markt fahren. Dann hättest du ebenso die Möglichkeit, mitzuentscheiden, was wir uns von dieser großzügigen Spende anschaffen."
Damit gab ich mich vorerst zufrieden. Dass meine Mutter alleine etwas im Austausch gegen diese Münze herbeigeholt hätte, wäre nicht ganz nach meinem Sinn verlaufen. „Vermutlich braucht Jurian ein wenig Hilfe. Bei dem vielen Regen hat es sie mit großer Wahrscheinlichkeit ebenso erwischt wie uns und die Kinder sind noch so klein." Mit einem leisen Seufzen wandte ich mich von ihr ab, um über den Weg entlang in die Richtung von Jurian's Familie zu laufen. „Ich werde einmal nachsehen." Einfach war der Weg nicht. Womöglich hatte es seit Jahren nicht mehr so stark geregnet wie am gestrigen Tag. Nicht einmal der Sturm damals, hatte solch eine Masse an Wasser auf uns hinabregnen lassen.
„Juri?" rief ich, als ich mich nach ein paar Minuten diesem Haus näherte. Anders als meine Mutter es jedoch vermutet hatte, war der Schaden des Regens hier nicht ganz so schlimm. Das Haus lag auf einer kleinen Anhöhe. Aus diesem Grund musste das meiste Wasser wohl den Weg hinab genommen haben, als sich auf den Wegen und Feldern anzusammeln. „Guten Morgen, gnädige Dame. Was verleiht mir die Ehre?" Juri hatte nur einen kurzen Moment später das Haus verlassen und kam mir nun mit einem leichten Schmunzeln entgegen. „Welch ein freudiger und sonniger Tag doch heute ist." Dass er damit vollkommen falsch lag, war ihm wohl selbst bewusst. Die Sonne wurde noch immer von einer Wolkendecke verhüllt und erfreulich war dieser Tag nun auch nicht wirklich. Er verleitete eher dazu, sich mit einem guten Buch im Inneren seines Hauses zu verkriechen und durch dessen Zeilen für einen kurzen Augenblick der Realität zu entfliehen.
Für unsere Klassenzugehörigkeit war es für gewöhnlich nicht normal, dass wir lesen konnten. Es gab einige Menschen in unserem Dorf, denen dieses Wissen niemals zuteil geworden war. Doch mein Vater hatte mir schon von Klein auf ein Buch in die Hand gedrückt und mir das Lesen gelehrt. Woher er dies selbst konnte, wusste ich nicht. Leider hatte ich auch keine Möglichkeit mehr bekommen, ihn dies zu fragen. „Erfreulich.. natürlich." Brummte ich und verzog dabei kurz das Gesicht. „Mutter war der Meinung, ich solle einmal nach euch sehen. Ihr scheint es jedoch gut überstanden zu haben." Juri nickte daraufhin bestätigend. „Wir hatten wirklich Glück. Die Häuser in der Nähe der Dorfmitte, scheint es wohl am schlimmsten getroffen zu haben. Dort hat sich das gesamte überschüssige Wasser gesammelt."
Nach guten Neuigkeiten klang dies natürlich nicht. Dieses Dorf hatte schon so viele schlimme Dinge überstanden, doch mindestens einmal im Jahr geschah irgendein Unglück, welches uns alle wieder aus unserer Bahn des natürlichen Alltags warf. So wie es auch nun mit diesem Regen der Fall war und dies auch noch so kurz vor Beginn des Winters. Gerade als ich daran dachte, wie nah die dunklen Wintertage bereits lagen, spürte ich einen kalten Lufthauch und ich begann zu frösteln. Beim Herausgehen hatte ich nicht daran gedacht, mir meine Jacke mitzunehmen und bei diesen schon recht kühlen Temperaturen, war es mit diesem dünnen Kleid eindeutig nicht warm genug.
„Es wird wohl etwas kühler.. möchtest du mit hineinkommen? Mutter könnte dir einen Tee zubereiten." Liebend gerne hätte ich dieses Angebot angenommen, doch ich erinnerte mich wieder an die Worte meiner Mutter, weshalb ich mich dagegen entschied, dieses Angebot anzunehmen. „Das klingt wirklich verlockend, doch ich muss Mutter noch helfen das Haus wieder herzurichten. Der Regen hat einiges am Dach unseres Lagers zerstört." Gab ich fast schon ein wenig geknickt von mir, doch Juri nickte mir aufmunternd zu. „Wenn ihr eine helfende Hand benötigen solltet, bin ich hier. Es wird sich mit Sicherheit alles zum Guten wenden, Cami. Das Schlimmste ist bereits überstanden."
Mit diesen aufbauenden Worten schaffte er es sogar, mir ein Lächeln zu entlocken. So hilfsbereit er doch immer war, konnte ich ihn dennoch nicht ständig zur Hilfe herbeirufen. Er hatte eine eigene Familie, bei der seine helfenden Hände mehr gebraucht wurden als bei uns. Auch hier hatte ich nicht das Recht, mir etwas zu nehmen, was mir eigentlich nicht zustand. In diesem Dorf hatte jede Familie mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen. Nur wenige halfen sich hier gegenseitig, selbst an Tagen wie diesen. „Ich danke dir, Juri. Du bist ein wahrer Segen für uns und deine Familie." Um diese seltsame Situation nicht noch weiter in die Länge zu ziehen, wandte ich mich von ihm ab und trat meinen Rückweg an. Zurück zu dem Haus, wo immerhin meine dünne Strickjacke auf mich wartete.
Da unsere Kammer, in dem wir all unsere Ernte lagerten, nicht ganz so sehr vom Regen beschädigt wurde, wie ich Juri mitgeteilt hatte, verbrachte ich den Rest des Tages im Inneren des Hauses. Meine Mutter hatte weitestgehend alle schlimmen Stellen repariert und war nun damit beschäftigt, ein Abendessen für uns zu zaubern. Das erste Mal seit einigen Tagen, dass sie diese Aufgabe übernahm. Wenn sie den ganzen Tag auf dem Markt zugange war, oblag mir die Pflicht, das Essen zuzubereiten. Nun übernahm dies jedoch meine Mutter und mir blieb ein wenig Zeit, um meine Nase wieder in eines der Bücher zu stecken, welches mein Vater mir vor vielen Jahren mitgebracht hatte.
Ich wusste nicht woher er sie hatte, doch sie verbanden mich mit ihm, weshalb ich meiner Mutter nicht gestattete, sie jemals zu verkaufen. Selbst wenn ich für die meisten bereits zu alt geworden war und ich etwas Neues brauchte, um meinen Wissensdurst auch für längere Zeit stillen zu können. Doch ich freute mich bereits darauf, das nächste Mal mit auf den Markt zu fahren. So lange das Wasser hier jedoch noch so hoch stand und der Boden nicht einigermaßen getrocknet war, mussten wir hier bleiben und mit den Dingen auskommen, die uns in unserem Zuhause zur Verfügung standen.
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Die Zofe
Teen FictionIn einer Welt einige Jahre vor unserer Zeit, im alten Mittelalter, kämpft ein Mädchen gegen ihr Schicksal. Dazu bestimmt, den Rest Ihres Lebens gemeinsam mit ihrer Mutter auf dem Land zu verbringen und von dem wenigen Geld zu leben, welches sie auf...