Ein entsetzt wirkendes Geräusch war aus der Richtung meiner Mutter zu vernehmen, doch ich versuchte es zu ignorieren. Ich wusste, dass sie eine andere Antwort von mir erwartet hatte. „Ich bedaure, dieses Angebot ablehnen zu müssen, doch ich kann meine Mutter in dieser Zeit nicht alleine lassen." Startete ich den Versuch, meine Entscheidung recht verständlich zu erklären. „Deine Entscheidung unterliegt Gründen, die wir sehr gut nachvollziehen können. Wir danken dir für deine Ehrlichkeit." Ich konnte ein unscheinbares Flackern in Phileas' Augen wahrnehmen. Enttäuschung? Erleichterung? Ich konnte es nicht eindeutig bestimmen.
Dann wandte er sich ab. Sein Blick löste sich von dem Meinen und die Kapuze verbarg sein Gesicht wieder in dessen Schatten, während er einen kurzen Blick zu seinem Bruder warf. „Wir werden uns bestimmt bald wiedersehen, Camilla." Diese Worte gab er von sich, während er weder in meine Richtung, noch in die meiner Mutter sah. Es lag ein nur kaum merklicher Unterton in seiner Stimme, der seinen Worten einen Hauch von Bedrohlichkeit verlieh. Doch dies nahm ich lediglich unterbewusst wahr und widmete dieser Wahrnehmung keine weitere Aufmerksamkeit.
So verließen uns diese Männer wieder. Sie gaben kein weiteres Wort von sich, sondern wendeten lediglich ihre Pferde, um in die Richtung zurückzureiten, aus der sie zuvor gekommen waren. Meine Vermutung, diese Männer nicht zum letzten Mal in meinem Leben gesehen zu haben, würde sich in naher Zukunft bestätigen. Doch zu diesem jetzigen Augenblick, war ich mehr als nur erleichtert darüber, dass keine Diskussion bezüglich meiner Entscheidung notwendig gewesen war und ich mein Leben genauso weiterleben konnte wie zuvor.
„Bist du von Sinnen, Camilla? Warum hast du das getan? Sie hätten dir ein Leben bieten können, welches du dir nicht einmal in deinen Träumen hättest vorstellen können!" fuhr meine Mutter mich an und als mein Blick den Ihren traf, wurde mir bewusst, wie sehr meine Entscheidung sie belastete. Sie hatte sich dieses andere Leben für mich gewünscht und ich hatte es ausgeschlagen. „Das ist mir bewusst Mutter. Ich denke allerdings nicht, dass ich bei diesen Männern glücklich geworden wäre."
„Jedes andere Mädchen in deiner Situation hätte alles dafür getan, um allein die Chance für solch ein Angebot zu bekommen. Und du trittst sie mit Füßen, als würden sie dich auf direktem Weg in die Hölle bringen. Schämen solltest du dich!" Diese Worte kamen fast nur noch undeutlich bei mir an. Solch eine Wortwahl hatte ich schon einmal von ihr vernommen. Vor vielen Jahren, als ich nach der letzten großen Katastrophe beschlossen hatte, den anderen Bewohnern unseren Dorfes zu helfen und auch ihre Hilfe anzunehmen, damit wir selbst zurechtkommen konnten. 'Schämen solltest du dich' war zu diesem Zeitpunkt einer der liebsten Sätze meiner Mutter gewesen.
Sie wandte sich nach Beendigung ihrer Worte von mir ab und widmete sich wieder dem Verkauf unserer Ware. Ich blieb lediglich an der selben Stelle stehen und verfolgte mit meinem Blick den Weg, auf dem die beiden Männer wieder verschwunden waren. Nur leise konnte ich noch das Geräusch der Hufe vernehmen, doch womöglich bildete ich mir dies auch nur ein. Mutter war enttäuscht und ich konnte auch verstehen, warum. Doch es war mein Bauchgefühl, welches mich zu dieser Entscheidung bewegt hatte und ich war damit zufrieden. Ich hätte nicht in einer Welt leben können, für die ich mein gesamtes voriges Leben hätte aufgeben müssen.
Ich versuchte mich wieder auf das hier und jetzt zu konzentrieren und mich nicht von meinen Gedanken in eine weitere Trance lenken zu lassen. Erst als ich mir sicher war, dass meine Mutter keine weitere Moralpredigt mir gegenüber zu äußern hatte, ließ ich mich wieder auf dem Platz nieder, den ich zuvor verlassen hatte, als die beiden Männer aufgetaucht waren. Innerhalb nur einer Sekunde hatte ich mein regelrecht vorbestimmtes Leben umgewandelt und bereute diese Entscheidung nicht einmal im Geringsten. Ich wusste was ich tat und hielt es für die beste Wahl, meiner Mutter in der schwierigsten Zeit des Jahres zur Seite zu stehen.
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Die Zofe
Teen FictionIn einer Welt einige Jahre vor unserer Zeit, im alten Mittelalter, kämpft ein Mädchen gegen ihr Schicksal. Dazu bestimmt, den Rest Ihres Lebens gemeinsam mit ihrer Mutter auf dem Land zu verbringen und von dem wenigen Geld zu leben, welches sie auf...