Blutrote Gewänder

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„Bist du dir absolut sicher, dass du Jurian noch nicht gesehen hast?" fragte Kiyan erneut an Amalia gerichtet. „Warum ist es von Bedeutung, wo er sich aufhält? Er sollte doch ohnehin nicht mitkommen." So hatte Kiyan es am vorigen Tage beschlossen. „Weil ich auch Phileas nicht finden konnte." Ich erinnerte mich an die Geräusche im Gang vor wenigen Stunden. Sie mussten alles Notwendige erledigt haben. „Du denkst doch nicht, dass sie.." Kiyan löste seine Hand aus meiner und fuhr sich einmal durch seine dunkelbraunen Haare. „Ich habe angenommen, Phileas wäre mit Jurian in den Ställen oder anderweitig beschäftigt. Doch wenn du ihn noch nicht gesehen hast und auch hier alles leer ist.."

Er brach ab und schüttelte fassungslos den Kopf. „Verdammt!" Es genügte ein kurzer Augenblick meiner Unachtsamkeit, in der Kiyan eine in der Nähe stehende Vase zu greifen bekam und diese zu Boden schmetterte. Mir entwich ein erschrockener Aufschrei, als sich die Scherben dieser Vase weitläufig in der Eingangshalle verteilten. Ich musste gestehen, dass ich mir im Augenblick größere Sorgen um Kiyan machte, als um meinen besten Freund. Der junge Mann vor mir, schien diesen Wutausbruch nicht einmal wahrgenommen zu haben und wanderte nun haareraufend über die Scherben hinweg.

Ich warf einen Blick zu Amalia, die ebenso erschrocken über diesen Vorfall war wie ich und wollte mich gerade zu Boden knien, um ein paar dieser Scherben aufzusammeln, als sie dies abwinkte und mir ein aufmunterndes Lächeln zuwarf. „Das ist schon in Ordnung, Camilla. Diese Scherben werde ich auch alleine entsorgen können." Unsicher ob ich mich damit zufriedengeben sollte, blickte ich einen Moment zwischen ihr und Kiyan hin und her, entschied mich dann allerdings dafür, mich dem König zuzuwenden. „Warum haben sie das getan? Ich verstehe das nicht."

Vorsichtig legte ich meine Hand an Kiyans Rücken, um ihn daran zu erinnern wo er war. Er sollte sich nicht in seinen Gedanken verlieren. Ich hatte bereits erlebt, wie dies ausarten konnte und dies wollte ist bestmöglich vermeiden. Er schrak jedoch vor meiner Berührung zurück und vermied, mich anzusehen. „Sie sind bestimmt noch nicht weit gekommen." Versuchte ich ihm, neue Hoffnung zu verschaffen. Darauf schüttelte er lediglich den Kopf. „Wenn selbst Amalia nichts von ihrer Abreise mitbekommen hat, müssen sie bereits vor Stunden losgezogen sein."

In meinem Magen drehte sich alles. Kiyan hatte recht. Es war unmöglich, sie wieder einzuholen, dafür waren sie mittlerweile viel zu weit vom Schloss entfernt. Nicht nur, dass sie sich dem Befehl des Königs widersetzt hatten, auch die Tatsache, dass sowohl mein bester Freund, als auch Kiyans Bruder nun auf direktem Weg in den Westen waren, um sich Marys Streitmächten gegenüber zu stellen, verursachte mir augenblicklich Kopfschmerzen. „Mit etwas Glück gelingt es mir noch, sie einzuholen. Sie können nicht.." Sein verzweifelter Gedanke kam zum Erliegen, als ich mich direkt vor ihn stellte und sein Gesicht mit beiden Händen umfasste, damit er gezwungen war, mich anzusehen.

„Es ist zu weit, Kiyan. Du würdest sie nicht früh genug erreichen." Zerbrach ich schweren Herzens seinen winzigen Schimmer der Hoffnung. „Er ist mein kleiner Bruder, Camilla. Ich kann doch nicht zulassen, dass er.. dass.." Er schien daran zu denken, was geschehen würde, wenn sich sein schlimmster Albtraum bewahrheitete. Auch mir lag diese Vorstellung wie ein Stein im Herzen. „Du wirst sie nicht aufhalten können. Sie sind fort." An dem Blick in seinen grauen Augen sah ich, dass er nun zu verstehen schien, dass es keine geringste Möglichkeit für ihn gab, solch ein Unglück abzuwenden. Unser Schicksal lag nun in den Händen von Phileas und Jurian.

Diese Erkenntnis ließ Tränen in Kiyans Augen aufsteigen. Eine Form von Verzweiflung lag in seinem Blick, die ich bisher nur selten zu Gesicht bekommen hatte. Es erinnerte mich an den Augenblick, als ich ihn noch vor Monaten vollkommen aufgelöst in seinem ehemaligen Schlafgemach aufgefunden hatte. Plötzlich schien das Innere von Kiyans Gefühlen an die Oberfläche zu gelangen und er brach in Tränen aus. Ein eindeutiger Beweis dafür, dass er mit all seiner Macht hatte verhindern wollen, dass Phileas an seiner Stelle in diesen Krieg zog.

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt