Vor dem Sturm

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„Bist du dir sicher, dass alles in Ordnung ist?" Diese Stimme kam von Jurian, den ich nur halb aus meinem Augenwinkel sehen konnte. Nachdem meine Mutter zurückgekehrt war, hatte sie mir von dieser Familie erzählt. Wir wollten ehrlich zueinander sein, dass hatten wir nach dem Tod meines Vaters beschlossen. Auch wenn ich dies bereits umgangen hatte. Obwohl ich den Hintergrund dieser Stille im Dorf bereits kannte, war es dennoch etwas anderes, diese Details von meiner Mutter zu hören. Sie hatte mich davor gewarnt, nach draußen zu gehen. Auch Juri hatte mir dazu geraten, im Haus zu bleiben um eine mögliche Ansteckung zu vermeiden. Denn bisher wussten wir nicht, um welche Art des schwarzen Todes es sich hierbei handelte. Trotz dieser Empfehlungen, hatte ich mich mitten in der Nacht herausgeschlichen und saß nun auf der Schaukel, die mir mein Leben lang bereits unglaublich viel bedeutete.

Es war kalt. Sehr kalt sogar. In dieser Nacht vermisste ich meinen Vater noch mehr als sonst, was vermutlich an der jetzigen Situation lag. Deshalb saß ich nun hier. Blickte vor mir auf die Felder, die unser Dorf umgaben und in ein fast schon gespenstiges Grau gefärbt wurden. Meine Mutter hatte von meinem nächtlichen Ausflug bisher nichts mitbekommen, doch Jurian.. unsere Gedanken liefen in die selbe Richtung. Womöglich wusste er deshalb, dass ich in dieser Nacht hierher kommen würde und war nur wenige Minuten nach mir hier angekommen. Nun saßen wir gemeinsam hier. Ich auf der Schaukel und er auf dem Boden neben mir. Auch sein Blick war auf die Felder gerichtet. Ein Wortwechsel zwischen uns wäre nicht einmal notwendig gewesen. Die Anwesenheit des jeweils anderen reichte bereits vollkommen aus.

„Nein." Antwortete ich ihm nach einem kurzen Zögern, wobei ich versuchte absichtlich etwas leiser zu sprechen. Es musste schließlich nicht das gesamte Dorf mitbekommen, dass wir uns zu dieser Zeit noch alleine draußen aufhielten. Obwohl wir mittlerweile alt genug dafür waren. „Ich muss durchgehend daran denken, wie es damals gewesen war. Es hat genauso angefangen, erinnerst du dich?" Es folgte ein Nicken seinerseits, welches ich jedoch nur verschwommen wahrnahm. „Alles scheint sich zu wiederholen und das macht mir unglaubliche Angst." Das war das erste Mal, dass ich dies laut aussprach.

„Diesmal wird es anders ausgehen, Cami. Diese Familie muss mit ihrem Schicksal leben aber wir haben die Möglichkeit, es besser zu machen." Es sollte aufmunternd klingen, doch ich erkannte an seiner Stimme, dass er seinen  Worten nicht einmal selbst genug glauben schenken konnte. Es war ein Spiel mit dem Teufel. Er hatte uns bereits einmal heimgesucht und verlangte nun Rache an den Menschen, die ihm damals entglitten waren. Nach und nach würde jeder von uns daran zu Grunde gehen. Unser Dorf war nicht in der Lage, einen richtigen Arzt in diese Gegend holen zu können. Wenn an diesem Ort etwas geschah, mussten wir alleine damit zurechtkommen.

„Wir können uns nicht den Rest unseres Lebens im Haus einsperren und hoffen, dass uns nichts geschieht. Wir würden womöglich verrückt werden." Juri gab ein fast schon amüsiertes Lachen von sich. „Verrückt sind wir doch ohnehin schon." Diese Aussage brachte auch auf meinen Lippen ein leichtes Schmunzeln zustande. „Du weißt genau, wovon ich spreche." Natürlich wusste er das. Er wollte wohl lediglich dafür sorgen, dass ich einen Grund zum Lächeln hatte. „Warum bist du nicht mit diesen Männern mitgegangen, Cami?" fragte er mich plötzlich in der darauf wieder entstandene Stille und ich schwieg einen Moment, da mich der abrupte Themenwechsel ein wenig irritierte.

„Das habe ich doch bereits erklärt.. ich kann euch hier nicht alleine lassen, besonders nicht Mutter. Sie wird meine Hilfe brauchen, wenn der Winter hereinbricht. Alleine wird sie das womöglich nicht schaffen." Ich drehte meinen Kopf in Jurians Richtung, wobei ich jedoch bemerkte, dass sein Blick bereits seit einer ganzen Weile auf mir liegen musste. „Das ist nicht die Wahrheit und das weißt du.." Es war eine Aussage, die mich zum Schweigen brachte. Selbst wenn dies nicht die Wahrheit war, welchen Grund gab es dann dafür, dass ich nicht mit ihnen hatte gehen wollen? Darüber war ich mir nicht im Klaren.

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt