Kiyan hielt sich an seine Worte. Bereits am selben Abend, räumte Mary das Schlafgemach der ehemaligen Königin und leerte mit Calliopes Hilfe die Schränke, welche sie mit all ihren eigenen Gegenständen und Kleidungsstücken gefüllt hatte. Ich hielt mich in dieser Zeit zurück und vermied es, ihnen zu begegnen. Ich müsste so etwas wie Schadenfreude verspüren, schließlich musste Mary nun das Schloss verlassen und würde niemals die Möglichkeit erhalten, den Thron an Kiyans Seite zu besteigen.
Doch stattdessen plagten mich Zweifel. Schließlich riskierte Kiyan das Fortbestehen seiner Familie und das Leben jedes einzelnen Bürgers seines Volkes, nur, damit ich weiterhin im Schloss bleiben konnte. Das fühlte sich nicht richtig an. „Bitte versprich mir, dass du nicht auch gehen wirst." Meine Stimme war leise, als Phileas an mir vorbeitrat und es erleichterte mich, dass er meine Worte dennoch verstand. Ich lehnte im Türrahmen von Kiyans Schlafgemach und wartete regelrecht darauf, dass Mary aus diesem Schloss verschwand, damit an diesem Ort endlich wieder Ruhe einkehren konnte.
Phileas blieb stehen und blickte einen Moment schweigend zu mir hinunter. Dann gab er ein leises Seufzen von sich und strich mir eine lose Haarsträhne aus der Stirn, welche mir ins Gesicht gerutscht war. Diese Geste fühlte sich bei ihm anders an, als bei Kiyan, weshalb ich ihn nicht daran hinderte. „Trotz allem ist er mein Bruder, Camilla. Mit ihm wird es immer sowohl gute als auch schlechte Zeiten geben. Bei mir hat er eine Grenze überschritten, auf die er Jahrzehnte lang Rücksicht genommen hat. Ich werde darauf Acht geben müssen, dass er diese Grenze nicht auch bei dir übertritt."
Ein zaghaftes Lächeln legte sich auf meine Lippen. Ich war dankbar dafür, dass Phileas mir nicht weiterhin auszureden versuchte, an Kiyan festzuhalten. Dass er seinen Bruder in einem gänzlich anderen Licht betrachtete, als ich es tat, lag wohl grundlegend daran, dass ich ihn womöglich deutlich besser kannte, als Phileas zu glauben vermochte. „Er bemüht sich, die richtigen Entscheidungen zu treffen." Phileas schüttelte leicht den Kopf. „Indem er Mary hinauswirft? Ich muss zugeben, sie ist nicht sonderlich nett, doch sie hätte uns vor einem vermeidbaren Krieg bewahrt."
„Seien Sie nicht zu streng mit ihm, eure Hoheit. Sie hätten sich in seiner Situation sicherlich nicht anders verhalten." Bei diesen Worten tippte ich Phileas auf die Brust, was ihn Auflachen und die ernste Stimmung zwischen uns verfliegen ließ. „Du wirst wohl niemals damit aufhören, habe ich recht?" fragte er mich, wobei mich seine grünen Augen förmlich fixierten. „Nicht, solange es mir noch möglich ist, zu sprechen." Diese Antwort ließ ihn lediglich amüsiert den Kopf schütteln. Als er erneut zu sprechen beginnen wollte, erklang ein lautes Poltern direkt neben uns und riss uns somit aus unserer kleinen Gesprächs-Wolke.
„Kannst du nicht aufpassen?!" Ich musste mir ein Schmunzeln verkneifen, um ihren Hass gegen mich nicht noch weiter zu schüren. Doch Mary dabei zu beobachten, wie sie mit der beinahe unendlichen Anzahl an Koffern ihren Weg durch den Gang bahnte, ließ mich an einen Esel denken, der in den hohen Bergen dabei half, schwere Lasten zu tragen. So hatte ich es jedenfalls vor Jahren einmal in einem meiner Bücher gelesen. Mary mit solch einem Tier zu vergleichen, war äußerst amüsant.
Phileas trat einen Schritt näher an mich heran, damit Mary, gefolgt von ihrer treuen Untergebenen Calliope, den Gang weiter entlang wandern und schließlich die breite Treppe in der Eingangshalle hinabgehen konnte. Ein kurzer Blick zu dem jüngsten Prinzen genügte, um mir zu bestätigen, dass er in diesem Moment wohl das gleiche zu denken schien, wie ich. „Ich bin wirklich froh, dass du ab sofort auf unserer Etage wohnen wirst." Ich hob eine Augenbraue, da ich nicht gänzlich verstand, warum er dies als so erfreulich empfand.
„Solltest du aufgrund dieses komischen Tees plötzlich mitten in der Nacht beschließen, durch das Schloss wandern zu wollen, bin ich der erste, der diese Tür mit Ketten verhängt." „Welche Tür?" erklang plötzlich eine andere Stimme, ehe ich auf Phileas Worte hatte antworten können. Es war Jurian, der sich uns mit einem irritierten Ausdruck auf dem Gesicht näherte und wohl zu begreifen versuchte, worüber wir gesprochen hatten. „Phileas hat vor, mich einzusperren." Antwortete ich schnell, bevor dieser mir dazwischenkommen konnte und ich erntete dafür augenblicklich einen bösen Blick von ihm.
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Die Zofe
Teen FictionIn einer Welt einige Jahre vor unserer Zeit, im alten Mittelalter, kämpft ein Mädchen gegen ihr Schicksal. Dazu bestimmt, den Rest Ihres Lebens gemeinsam mit ihrer Mutter auf dem Land zu verbringen und von dem wenigen Geld zu leben, welches sie auf...