Partitur des Todes

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„Sie hat unsere verehrte Königin vergiftet, um solch ein rapides Ende herbeizuführen." Ein Raunen ging durch die Menschen um uns herum und ich konnte nur ungläubig den Kopf schütteln. Alles was Vater hier aussprach, war von Lügen und Unwahrheiten gezeichnet. Jurian trug keine Schuld an diesem Anschlag und Camilla war erst recht nicht dafür verantwortlich  daran, dass Mutter erkrankt war und schließlich daran erlag. „Nach einem Vergleich dieser Vorfälle, musste ich zudem feststellen, dass sich diese beiden jungen Menschen nicht fremd waren."

Camillas bemühte sich, zu Jurian hinüberzusehen, wurde allerdings von den Wachen konsequent daran gehindert. „Es fällt mir daher nicht leicht, Ihnen mitzuteilen, dass sie in Zusammenarbeit geplant hatten, unsere Familie zu stürzen. Jede Tat hatten sie vorab durchdacht und schließlich umgesetzt, um meine Familie und mich zu Boden zu reißen." Camilla liefen die Tränen nun stumm über die Wangen. Sie musste bereits selbst verstanden haben, dass Vater sie für etwas beschuldigte, was sie niemals getan hatte. Ebenso wie Jurian. Es zerriss mir regelrecht das Herz, zu sehen, wie sie unter seinen Worten litt.

„Nach genauerer Ansicht dieser Vergehen, bin ich zu dem Entschluss gekommen, diese beiden jungen Menschen, nicht unbeschadet davonkommen zu lassen. Sie haben sich einiges zu Schulde kommen lassen. Darunter die Verwicklung in einen Anschlag auf die königliche Familie, sowie die Inanspruchnahme königlichen Eigentums, seitens des jungen Mannes und der Mord an eurer Königin, seitens der jungen Frau. Diese Vergehen kommen dem Hochverrat gleich und werden somit mit dem Tode bestraft." Kiyans Griff um meinen Arm verstärkte sich augenblicklich. Versuchte mich daran zu hindern, mich Vaters Entschluss entgegen zu stellen.

Doch als ich sah, wie Camilla sich nach diesen Worten nicht mehr auf den Beinen halten konnte und von Tränen überströmt dort zusammenbrach, konnte ich nicht anders, als mich von Kiyan loszureißen und mich meinem Vater zu nähern. Jurian hingegen blieb vollkommen ruhig. In der ganzen Zeit hatte er sich kein Stück bewegt und auch kein einziges Wort von sich gegeben. Lediglich nach dem Beschluss ihrer Strafe, traten auch ihm plötzlich Tränen in die Augen. „Vater! Das kannst du nicht tun!" Meine Stimme schallte glasklar über den Marktplatz und ich hörte, wie das Murmeln um uns herum wieder zunahm. Viele dieser Menschen, hatten meinen Bruder und mich noch nie in ihrem Leben zu Gesicht bekommen. Es war daher verständlich, dass sie meine Anwesenheit mit Verwunderung und einem Hauch von Skepsis aufnahmen.

Der König wandte sich, noch immer dieses Grinsen auf seinem Gesicht tragend, in meine Richtung und wirkte dabei nicht einmal verwundert darüber, mich hier zu sehen. „Die Ahndung solcher Vergehen steht dir nicht zu, mein Sohn. Es obliegt meiner Wenigkeit, ein Urteil darüber zu fällen." Ich schüttelte den Kopf und näherte mich ihm so nahe, dass ich wahrnehmen konnte, wie selbst Camilla auf meine Anwesenheit reagierte. Obwohl sie am Boden zerstört war und ihr Körper von Schluchzen ergriffen wurde, hatte sie ihren Kopf ein wenig angehoben und verfolgte unser Gespräch aus dem Augenwinkel.

Ich senkte meine Stimme ein wenig, um nicht jeden wissen zu lassen, worüber mein Vater und ich nun sprachen. „Dir ist durchaus bewusst, dass diese Dinge nicht einmal annähernd etwas mit ihnen zu tun haben, Vater. Sie sind unschuldig. Sie haben niemals versucht, unserer Familie etwas anzutun." Erklärte ich ihm und versuchte dabei, entgegen des Handelns meines Vaters, nicht unter seinem Blick nachzugeben. Ich hatte mich in all den vergangen Jahren meist nach seinen Wünschen gerichtet. Dass ich mich nun gegen ihn wandte, kannte er womöglich nur von meinem Bruder. „Es spielt keine Rolle, ob sie nun dafür verantwortlich sind oder nicht. Sie zeigen keinen Respekt und es wäre eine wahrliche Schande, solch ein Spektakel nicht darstellen zu können."

Für einen Moment war ich sprachlos, verstand nicht, warum er so stark darauf beharrte, diese Menschen zu verletzen. Geschweige denn, ihnen das Leben zu nehmen. „Sie sind unschuldig!" beharrte ich, wobei mir bewusst wurde, wie mickrig meine Worte, gegenüber den Seinen wirken mussten. Ich konnte ihm so viele Worte an den Kopf halten, wie ich wollte und ihm sicherlich auch Beweise für ihre Unschuld vorlegen. Er würde seine Meinung dennoch nicht ändern. Diese Besessenheit zur Ausübung seiner Macht, hatte ich nur zu oft bei ihm erlebt.

„Nicht in meinen Augen, mein Sohn. Sie stiften zu viel Chaos innerhalb unserer Mauern." Ich konnte nicht verhindern, dass auch mir nun langsam Tränen in die Augen stiegen. Ich hatte mich ihm entgegengestellt, mit der Hoffnung, dass er seine Meinung ändern würde. Ihnen zumindest eine Begnadigung gewährte. „Sie haben den Tod nicht verdient.." Darauf reagierte mein Vater schon nicht mehr, denn er wandte sich ohne ein weiteres Wort von mir ab und ließ mich mit einer Welle der Hoffnungslosigkeit stehen.

„Nach einer kurzen Beratung mit meinem Sohn, habe ich mich dazu entschlossen, kein eindeutiges Todesurteil auszusprechen. Die erwünschte Begnadigung werde ich in Erwägung ziehen." Konnte ich meinen Vater zu den Menschen um uns herum sagen hören, während ich wieder zurück auf dem Weg zu Kiyan war. Dieser betrachtete mich mit einem Kopfschütteln, ehe ich bei ihm ankam. „Bist du lebensmüde, Phileas? Was hast du dir dabei gedacht?!" fauchte er mir regelrecht entgegen und ich zuckte lediglich mit den Schultern. Erst dann wurde mir bewusst, welche Worte unser Vater in diesem Augenblick ausgesprochen hatte. „Er hat sein Urteil zurückgezogen?"

Meine Stimmung hellte sich ein wenig auf, doch Kiyan sorgte sofort dafür, dass mich die Euphorie nicht voreilig übermannte. „Das Todesurteil, ja. Du kennst ihn, Phileas. Damit wird er sich nicht zufriedengeben." Und er hatte vollkommen recht. Vater mochte zwar das Urteil zurückgezogen haben, Camilla und Jurian vor den Augen all dieser Menschen hinzurichten, doch er würde sie nicht ohne Weiteres laufen lassen. Vater gab den anderen Wachmännern, welche nicht damit beauftragt waren, die beiden an Ort und Stelle zu halten, ein kurzes Zeichen, woraufhin sich diese in Bewegung setzten.

Auch die zwei Wachen, welche Camilla umstellt hatten, setzten sich nun in Bewegung und blieben erst stehen, als sie eine Stelle erreichten, an der ein Haken im Boden angebracht worden war. Eine Möglichkeit, um die Handschellen, welche Camillas Handgelenke umschlossen, mithilfe einer eisernen Kette dort zu befestigen. „Es tut mir leid, Phileas. Ich wünschte, ich könnte es verhindern." Kam es mit einem Murmeln von Kiyan und ich verstand nicht ganz, worauf er hinauswollte. Er hatte solche Urteilsverkündungen deutlich öfter miterlebt, als ich. Womöglich wusste er genau, was Camilla und Jurian nun erwarten würde.

Ich fragte ihn auch nicht danach, sondern beobachtete stumm, wie die Wachen Camilla an diesem Haken im Boden festketteten. Somit hatte sie gerade so die Möglichkeit, in einer aufrechten Position daneben zu knien. Als die Wachen sie endlich losließen, richtete sie ihren Blick sofort auf Jurian, welcher nun ebenfalls in Bewegung gesetzt wurde. Deutlich langsamer als Camilla. Er schien nicht einmal vollkommen geistig anwesend zu sein. Doch anstatt wie Camilla, zog man ihm sein einfaches Leinenhemd über den Kopf und kettete ihn an einen breiten Stamm, nur wenige Meter von Camilla entfernt. Dieser Stamm wurde normalerweise dafür genutzt, um bei Festen und besonderen Anlässen, außerordentlich geschmückt und dekoriert zu werden. An diesem Tag würde er für etwas gänzlich anderes verwendet werden.

„Es wird sicherlich nicht leicht für Sie und Ihre Kinder werden, dies nun mit ansehen zu müssen. Doch ich versichere Ihnen, Sie werden daraus lernen." Sprach Vater weiter, ehe er den Wachen ein erneutes Zeichen gab. „Sieh nicht hin, Phileas." Kam es daraufhin von Seiten meines Bruders und ich verstand erst nicht, warum. Weshalb ich auch nicht, wie geraten, den Blick abwandte. Ein schmerzverzerrter Schrei zerriss die Stille auf dem Marktplatz. Ein Schrei welcher von Jurian kam und daher rührte, dass ihm einer der Wachmänner mit einer Geißel, einen Teil seines Rückens aufgerissen hatte.

„JURIAN!" Camilla's Stimme war kratzig, als sie diese erhob und die einzige Möglichkeit nutzte, die ihr noch blieb. In ihrer Stimme spiegelte sich der Schmerz wider, den Jurian in diesem Augenblick in jeder Faser seines Körpers verspüren musste. Viel Zeit blieb ihr jedoch nicht, um sich auf ihn zu konzentrieren. Denn kurz darauf, trat einer der anderen Wachmänner, welcher sich in ihrer Nähe befand, sie zu Boden. Wodurch sie für einen Augenblick aus meinem Sichtfeld verschwand.

„Ich sagte doch, dass du nicht hinsehen sollst!" kam es regelrecht aufgebracht von Kiyan, dessen Stimme nun nicht mehr ganz so gefasst wirkte, wie zuvor. Mit diesen Worten riss er mich aus meiner Schockstarre und ich blickte ihn einen Moment verwundert an. Auch in seinen Augen lag ein gläserner Schimmer. Es brauchte keinen großen Kraftaufwand von ihm, um mich von dem Geschehen vor uns abzuwenden, sodass mir keine andere Möglichkeit blieb, als mich den geschockt wirkenden Menschen hinter uns zuzuwenden, die das Geschehen ebenso versteinert verfolgten, wie ich es getan hatte. Ihre entsetzten Gesichter sprachen Bände. Das beinahe regelmäßige Aufschreien von Jurian und das stumpfe Wimmern von Camilla, hallten wieder und wieder durch meinen Kopf.

Kiyan war nun der einzige, der von uns beiden dieses Schauspiel noch weiter verfolgte. Ich würde es nicht ertragen können, sie nicht nur leiden zu hören, sondern auch zu sehen, was Vater ihnen antat. Mein Bruder wusste dies und im Nachhinein würde ich ihm dankbar sein, dass er mich vom Zusehen abhielt. 

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt