Ich riss mich aus seinem Griff, riskierte dabei erneut einen stechenden Schmerz an meinem Hals, schaffte es dadurch jedoch bis zur Tür des Schlafsaals und öffnete diese, noch ehe Kiyan mich ein weiteres Mal daran hindern konnte. „Camilla, warte!" Ich betrat den Saal, blieb jedoch nach wenigen Schritten wieder stehen. Auch in diesem Raum war es dunkel. Die Fenster ließen lediglich ein sanftes Mondlicht in den Raum hinein. Doch das war es nicht, was mich zum Anhalten gebracht hatte. Es war Layana. Sie lag reglos in ihrem Bett, die Decke die über ihr lag, gab lediglich den Blick auf ihren Kopf frei. Regelrecht so, als würde sie schlafen.
Ich beachtete Kiyan nicht weiter, auch als er mir in den Schlafsaal hineinfolgte und dicht hinter mir stehen blieb. Meine Gedanken wollten mich davon überzeugen, dass sie schlief. Dass ihr nichts geschehen war und sie ihre Augen aufschlagen würde, sobald ich näherkommen würde. Doch nach Kiyan's Reaktion war dies sehr unwahrscheinlich. Ich wollte es nicht glauben. Wollte diesen Gedanken nicht zulassen. „Ist sie.." gab ich leise von mir, brachte es jedoch nicht fertig, den Satz zu beenden. Layana war die erste freundliche Person gewesen, die ich innerhalb dieser Mauern kennengelernt hatte. Ich konnte sie nicht auch noch verlieren.
„Es tut mir wirklich leid, Camilla. Die Wachen haben normalerweise keinen Zutritt zu diesen Räumen. Sie waren nicht schnell genug hier." Tränen stiegen mir in die Augen, als sich die Erkenntnis in mir ausbreitete. Layana schien friedlich zu schlafen, doch sie war tot. Sie war der Grund für diesen schmerzverzerrten Schrei gewesen, Thekla hatte ihr dies angetan. Daher war sie im Schlafsaal gewesen, ehe sie mir begegnet war. Wäre ich nur ein paar Minuten früher dort angekommen, hätte ich es womöglich verhindern können.
Die ersten Tränen verließen meine Augenwinkel und liefen meine Wangen hinunter. Ich versuchte nicht einmal, dies zu verhindern. Es war nicht von Bedeutung, dass Kiyan mich in diesem Zustand sehen würde. Ich hatte eine weitere Person verloren, die mir wichtig gewesen war. Eine gute Freundin, die mir seit meiner Ankunft stets zur Seite gestanden hatte. Das Pech verfolgte mich, das war die einzig mögliche Erklärung. Erst das erneute Auftauchen der Pest im Dorf, der Tod meiner Mutter, der Überfall mit Leno im Wald während meiner Reise, die Gefangennahme von Jurian, nun der Übergriff von Thekla und der Tod von Layana. Zwischen dem Beginn dieser Ereignisse und dem heutigen Tag lagen nur wenige Monate.
Ich ließ mich neben dem Bett von Layana nieder, während mein Bick weiterhin auf ihr lag. Sie würde ihre Familie nie wiedersehen. Hatte sie überhaupt eine? Von den meisten Bediensteten, die in diesem Schloss arbeiteten, kannte ich die Lebenssituation nicht. Womöglich wartete ihre Familie bereits darauf, dass sie in nächster Zeit für einen kurzen Besuch zu ihnen nach Hause zurückkehren würde. Von der Tragödie hatten sie sicherlich noch nichts erfahren. Es dauerte eine Weile, solche Nachrichten zu übermitteln. Es würde ein grauenvoller Tag für ihre Familie werden, sobald sie von den Geschehnissen erfahren würden.
Schluchzen überkam mich, während meine Gedanken nur daran hingen, wen Layana nach diesem Unglück hinterlassen würde. Vielleicht irrte ich mich auch und dieses Schloss war das einzige Zuhause was sie hatte. Auch dies war möglich und dennoch auf die gleiche Weise unglaublich traurig. Ich würde nicht die einzige sein, die sie vermissen würde. Obwohl man nicht immer gänzlich wusste, wie es in ihr aussah, war sie dennoch ein wunderbarer Mensch gewesen. Sie hatte solch einen Tod nicht verdient. Eine Berührung an meiner Schulter riss mich aus meinen Gedanken und lenkte meine Aufmerksamkeit auf die Hand, die nun dort lag.
Lediglich eine sanfte Berührung, ich wehrte mich nicht dagegen. „Sie wird auch weiterhin an deiner Seite sein, auch wenn du sie nicht sehen kannst." Bei seinen Worten brachte ich sogar ein leichtes Lächeln zustande, obwohl die Tränen noch immer meine Wangen hinabliefen. Es war schwer vorstellbar aber zeitgleich ein tröstlicher Gedanke. Ich hätte Kiyan dafür verabscheuen können, dass er mich in diesem Moment nicht alleine ließ und doch war ich froh darüber, dass er mir Beistand leistete. Unerwartet aber dennoch eine anteilhabende Geste.
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Die Zofe
Teen FictionIn einer Welt einige Jahre vor unserer Zeit, im alten Mittelalter, kämpft ein Mädchen gegen ihr Schicksal. Dazu bestimmt, den Rest Ihres Lebens gemeinsam mit ihrer Mutter auf dem Land zu verbringen und von dem wenigen Geld zu leben, welches sie auf...