Zwischen Hass und Vernunft

348 28 0
                                    

Nachdem die Prinzen den Raum verlassen hatten, kehrte eine unangenehme Stille ein. Nur ungerne wollte ich mich dem König nähern, der noch immer regungslos und mit geschlossenen Augen inmitten des Bettes lag. Während meine Gedanken sich in eine andere Sphäre begaben, übernahm das angewöhnte Verhalten einer Zofe meine Körperfunktionen. Wie in Trance ging ich neben dem mit Blut verschmierten Dolch auf die Knie und betrachtete ihn einen kurzen Moment. Vorsichtig streckte ich eine Hand nach ihm aus und umfasste schließlich dessen Griff, ehe ich mit der anderen Hand den Saum meines Kleides ergriff und damit über die silberne Klinge des Gegenstandes fuhr.

So lange, bis das Blut darauf verschwunden war und es unsaubere Flecken auf meinem ohnehin bereits zerstörten Kleid hinterlassen hatte. Sobald der gesamte Dolch mithilfe meines Kleides gesäubert worden war, erhob ich mich wieder und legte ihn mit zittrigen Fingern auf dem Nachttisch neben dem Bett ab. Einen Blick zum König, der sich nur wenige Handbreit von mir entfernt befand, wagte ich nicht. Zu groß war meine Angst, dass er sich dadurch doch wieder in Bewegung setzen und über mich herfallen würde.

Um diesem unentwegten Gedanken zu entfliehen, setzten sich meine Beine wie automatisch in Bewegung und trugen mich aus dem Raum hinaus. Zurück in der Eingangshalle umfing mich die bekannte Stille des Schlosses, die aufkam, wenn der König anwesend war. Wie lange würde es dauern, bis sich sein Tod im Schloss herumsprach? Bis herauskam, dass Kiyan seinen eigenen Vater ermordet hatte? Ich schüttelte mich bei dem Gedanken daran und versuchte, meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken.

Jurian und Amalia waren aus der Eingangshalle verschwunden. Ich sah keinen Hinweis darauf, wo sie sich nun befanden, doch dies bereitete mir nun sonderbarerweise keine Sorgen mehr. Unser schlimmster Feind, der König höchstpersönlich, war ausgelöscht worden. Obwohl ich diese Tatsache noch nicht gänzlich in meinen Verstand aufnehmen konnte, spürte ich die Erleichterung, die sich langsam in mir ausbreitete. Wie eine Woge an angenehmer Wärme, die sich über meinen Körper zog.

„Was zur Hölle hast du hier verloren, Miststück?!" kam es plötzlich von einem Ort hinter mir und diese mit Hass durchtränkte Stimme, schallte unangenehm durch die Weiten der Eingangshalle. Augenblicklich verließ mich die aufsteigende Erleichterung wieder und Nervosität legte sich über meine Knochen. Der König war unser größtes Problem gewesen, doch ich hatte gänzlich vergessen, dass er nicht der einzige war, der uns im Schloss nichts Gutes gegenüber empfand. Als ich mich zu Mary umdrehte, kreuzte sich mein ruheloser Blick mit ihren vor Hass auflodernden Augen.

Ein rotes Kleid, fiel in weiten Wellen zu ihren Füßen herab und hegte dadurch noch deutlicher den Anschein, dass sie mir gegenüber eine Drohung aussprach, ohne dafür Worte verwenden zu müssen. Mary kam mit schnellen Schritten auf mich zu und ich wich unwillkürlich vor ihr zurück. Ich fühlte mich wahrlich wie ein jämmerliches Bauernmädchen in ihrer anschaulichen Gegenwart. „Du sollst mir antworten, Camilla!" Ihre Stimme klang rasend, während ihr Blick über mich flog und schlagartig auf meinem nun mit Blut befleckten Kleid hängenblieb.

Trotz ihrer Aufforderung wagte ich es nicht, ihr eine Antwort entgegen zu bringen. Was hätte ich ihr auch sagen sollen? Dass ich selbst nicht genau wusste, warum ich so plötzlich wieder im Schloss war? Dass ich persönlich mit angesehen hatte, wie der Kronprinz seinen Vater ermordete? Dass ich noch immer nicht verstand, was ich an diesem Ort zu suchen hatte, wenn Marys Anwesenheit doch ohnehin erwünscht war? Ein stechender Schmerz auf meiner Wange, riss mich aus meinen Gedanken. Tränen traten mir in die Augen, als ich für einen Sekundenbruchteil in meine Erinnerungen an den Marktplatz zurückversetzt wurde.

„Wenn ich dir etwas befehle, hast du mir zu gehorchen!" Mary senkte ihre Hand wieder, nachdem sie mir damit eine unerwartete Ohrfeige zugefügt hatte. „Kiyan hat mich zurückgebracht." Gab ich schließlich leise von mir, was Mary ein aufgesetztes Lachen entlockte. „Denkst du, dass ich dir diesen Unsinn glauben werde? Kiyan würde sich niemals gegen die Entscheidung seines Vaters richten. Er lechzt nach dem Thron, wie ein hungernder Hai nach Blut." Raunte sie mir entgegen und ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken.

„Wagen Sie es nicht, ihr noch einmal zu nahe zu kommen." Erklang eine dunkle Stimme vom oberen Ende der breiten Treppe und ich schloss für einen Moment die Augen, als ich diesen mittlerweile vertrauten Klang wahrnahm. „Sie hat nicht das Recht, sich hier aufzuhalten, Kiyan. Camilla ist eine Verstoßene, sie hat den Tod verdient." Ihre Worte stachen wie Messerstiche in mein Herz. Nur selten sprach jemand in solch einer Art und Weise über mich und diese eindeutig nicht freundlich gemeinten Worte, zerrten an dem Inneren meiner Seele und schürten den Ofen voller dunkler Gedanken, die sich seit dem Tag auf dem Markplatz zunehmend anhäuften.

„Für dich heißt es noch immer 'eure Hoheit'." Gab Kiyan ihr zu verstehen, noch bevor er das untere Ende der Treppe erreicht hatte und sich uns näherte. Sein Blick war fest auf Mary fixiert und zu meiner Verwunderung wich diese augenblicklich vor ihm zurück, als er sich zu uns gesellte. „Sollte ich erfahren, dass Sie sich ihr erneut auf diese Weise annähern, werden Sie das Schloss augenblicklich verlassen." Seine Stimme schallte bedrohlich durch die große Halle und ich musste zugeben, dass mir dies eine unangenehme Gänsehaut bereitete.

„Ich nehme keine Befehle von dir entgegen. Der König wird.." fing Mary an, doch ein schauriges Lachen kam aus Kiyans Kehle hervor. „Der König ist tot, verehrte Mary. Sie sind mit sofortiger Wirkung meinen Befehlen unterstellt und ich weise Sie gerne darauf hin, dass Sie diesen Folge zu leisten haben." Der Schock stand Mary buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Jedoch hielt dieser Eindruck nicht lange an. Diese unbeherrschte Seite an Kiyan, war mir vollkommen neu. Die Art und Weise wie er mit Trauer umging und die, die er zeigte, wenn Wut und Hass ihn übermannten, waren mir bekannt. Doch diese drohende Haltung, die er gegenüber Mary annahm, ließ mich erschaudern.

Es war kein Hass und auch keine simple Wut, die sich in seiner Haltung widerspiegelte. Nein, er schien sie und ihre bloße Anwesenheit abgrundtief zu verabscheuen. „Kiyan.." Meine Hand umfasste seinen Arm und ich erwartete bereits, dass er sich mir entziehen würde, doch dies tat er nicht. Stattdessen gab er lediglich noch ein einziges Wort von sich. „Verschwinde." Welches einem regelrechten Knurren gleichkam. Erst dachte ich, dass diese Worte an mich gerichtet waren, doch plötzlich drehte sich Mary auf dem Absatz um und stolzierte mit erhobenem Haupt davon, ehe sie in den nächstgelegenen Gang einbog und aus unserem Blickfeld verschwand.

Als Kiyan sich sicher zu sein schien, dass die junge Frau verschwunden war, drehte er sich schließlich zu mir um und seine zuvor angespannten Gesichtszüge verschwanden. Ließen eine sanfte Ruhe darin zurück. „Geht es dir gut?" fragte er mich, wobei er eine Hand hob und zaghaft an meine Wange legte, die Mary zuvor mit purer Absicht getroffen hatte. Der Schmerz darauf hatte sich gelegt, dennoch hinterließ seine Hand eine angenehme Kühle. „Hätte ich daran gedacht, dass sie noch hier ist, hätte ich mich von ihr ferngehalten."

Kiyan schüttelte den Kopf bei meiner Aussage und ließ seine kühle Hand wieder sinken. Sein Blick war dennoch weiterhin auf mich gerichtet. „Das ist nicht richtig, Camilla. Sie hat sich von dir fernzuhalten, nicht umgekehrt." Gab er mir zu verstehen, was ich mit einem unsicheren Lächeln quittierte. „Sie ist eine Prinzessin, sie.." fing ich an, doch Kiyan unterbrach diesen Versuch, mein Verhalten zu erklären. „Nicht in diesem Schloss. Hier nehmen wir uns ihrer Anwesenheit lediglich als rangloser Gast an."

Ein wenig beruhigter durch diese Worte, wurde auch mein vor Angst angestiegener Puls wieder etwas langsamer. Kiyans Frage, ob es mir gut ginge, hatte ich durch diese Unterhaltung unbewusst unbeantwortet lassen können. Lange würde ich mich jedoch nicht vor einer Antwort drücken können, welche die Wahrheit enthalten musste. „Phileas hat Jurian und Amalia bereits zum Speisesaal begleitet. Du musst sicherlich ebenso am Verhungern sein." Ich nahm an, dass man mir dies buchstäblich aus den Augen ablesen konnte, denn er hatte Recht. Mit den wenigen Beeren und einer Suppe, hatte der nagende Hunger im Wald nicht gestillt werden können.

„Wie geht es ihm?" fragte ich Kiyan, nachdem wir uns in Bewegung gesetzt hatten. Er antwortete mir allerdings nicht sofort. „Er kann nachvollziehen, warum ich es getan habe. Dennoch wiegt seine Trauer um ihn schwerer, als meine." Phileas hatte nie die gänzliche Tyrannei seines Vaters miterlebt. Nicht so, wie Kiyan es hatte erleben müssen. „Er verurteilt mich nicht, solltest du dies erwartet haben." Erklärte er mir und warf mir dabei ein aufmunterndes Lächeln zu. „Er ist sogar ein wenig erleichtert darüber, dass nun alles vorbei ist." Unwissend, wie falsch wir mit dieser Annahme lagen, betraten wir nur kurz darauf den Speisesaal, in dem uns ein ausgiebiges Mahl erwartete. 

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt