Besinnliche Kräuter

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Bereits am frühen Morgen wanderte ich mit langsamen, bedachten Schritten die breite Treppe in der Eingangshalle hinunter. Die Sonne war noch nicht einmal vollständig aufgegangen und erhellte lediglich die Ostseite des Schlosses ein wenig mit ihren goldgelben Strahlen. Kiyans schwarzer Mantel lag förmlich wie eine zweite Haut auf meinen Schultern, während ich die Stufen hinunterschritt und schließlich durch die große Eingangshalle wanderte. Sein Schlafgemach war leer gewesen, als ich die Augen aufschlug. Nicht einmal Jurian hatte seine Position an der Tür gehalten. Das Schloss wirkte regelrecht wie ausgestorben.

„Camilla?" Ich zuckte bei dem plötzlichen Klang dieser Stimme leicht zusammen, drehte mich dann allerdings zu dem Jungen um, der mir entgegenkam. „Keylam, du bist noch hier?" fragte ich ihn verwundert und ließ meinen Blick über ihn schweifen. Er schien guter Laune zu sein, denn ein breites Grinsen lag auf seinen Lippen, als er bei mir ankam. „Wir haben gehört was geschehen ist. Es hat sich bereits im gesamten Schloss herumgesprochen. Bist du deshalb zurückgekehrt?"

Er fragte mich dies mit solch einer erfreuten Neugier in der Stimme, dass ich ihn unmöglich hätte anlügen können. „Kiyan hat uns zurückgebracht. Wie geht es deinem Vater?" Weshalb ich diese Frage stellte, war mir unerklärlich. Der Nebel in meinen Gedanken war nur ansatzweise verschwunden und legte meine Gedankengänge noch immer frei nach seinem Belieben, ohne dass ich dies in irgendeiner Form beeinflussen konnte. Ein verwunderter Ausdruck trat auf Keylams Gesicht, doch dieser verschwand wieder so schnell, wie er aufgetaucht war.

„Viel besser, seit der König tot ist. Er hat sogar ein wenig gelacht, als er diese Nachricht erfahren hat." Es war ein erleichterndes Gefühl, zu sehen, wie gut es Keylam und seinem Vater damit ging. Kiyan hatte also nicht nur ihn und seinen Bruder, geschweige denn mich, Jurian und Amalia vor den künftigen Taten des Königs bewahrt. Auch die anderen Bediensteten des Schlosses, schienen diese Nachricht mit Wohlgefallen empfangen zu haben. „Geht es dir nicht gut?" fragte Keylam schließlich. „Du siehst müde aus."

Ich konnte mir ein leises Lachen nicht verkneifen und nickte dabei. „Du hast recht, ich bin müde." Dennoch hatte ich wahrhaftig wie auf Wolken geschlafen, auch das Aufstehen war mir nicht schwer gefallen. Wenn ich mich darauf konzentrierte, wohin ich lief, würde mein noch immer recht benebelter Zustand auch sicherlich niemandem auffallen. „Hast du Kiyan gesehen? Ich muss mit ihm sprechen." Keylam deutete in die Richtung, in welcher der Speisesaal lag. Ich verband keine sonderlich guten Erinnerungen mit diesem Raum. „Sie sprechen dort über irgendwas und haben mich rausgeworfen, als ich gefragt habe, ob ich zuhören darf."

Erneut gab ich ein Lachen von mir. Wäre ich in Keylams Alter, würden wir mit Sicherheit gute Freunde werden. „Wenn du ein wenig älter bist, sorge ich dafür, dass du ebenfalls anwesend sein darfst." Versicherte ich ihm und wuschelte ihm kurz durch seine Haare, welche ohnehin nie an ihrem vorgesehenen Platz zu liegen schienen. „Camilla!" brummte er unzufrieden auf und versuchte augenblicklich, seine Haare wieder in Ordnung zu bringen. „Du benimmst dich wirklich komisch.."

Darauf antwortete ich nicht, denn ich setzte mich bereits wieder in Bewegung, mit dem Speisesaal als direktes Ziel. Ohne zu Klopfen öffnete ich die Flügeltür und betrat durch diese den Saal. Augenblicklich verstummten die Gespräche der Anwesenden dahinter und schweigende Blicke fielen auf mich. Die Tür fiel hinter mir zurück ins Schloss, während ich mit gelassenen Schritten auf die lange Tafel zu lief, die sich in der Mitte des Saales erstreckte. „Du solltest nicht hier sein, Cami." Jurian war der erste, der seine Sprache wiederfand.

Ich ließ mich auf einem Stuhl direkt gegenüber von Phileas nieder und blickte erst dann in Jurians Richtung. Sein Blick wirkte besorgt, so wie es in der vergangenen Nacht bereits der Fall gewesen war. „Davon einmal abgesehen, solltest du dir womöglich etwas anderes anziehen." Kam es leise von Amalia, die hinter meinem Stuhl aufgetaucht war und sich für diese wenigen Worten kurz zu mir hinunter beugte. Sie hatte wohl recht. Unter Kiyans schwarzem Mantel trug ich noch immer das dünne Nachtkleid, welches ich nicht für notwendig gehalten hatte, zu wechseln.

Meine Hand griff wie automatisch nach dem Krug mit Saft, der auf dem Tisch positioniert war und ich füllte mir dessen Inhalt in ein Glas. Ich hatte keinen sonderlich großen Hunger, dieser merkwürdige Tee nahm mir jeglichen Appetit, doch die Thematik des unterbrochenen Gesprächs, interessierte mich dennoch. „Hast du ebenso wie Keylam die Mondsucht oder woher hast du diese..?" Ich unterbrach meinen Satz und deutete stattdessen auf meine eigene Nase um Phileas zu verdeutlichen, was ich meinte. Die Nase des Angesprochenen hatte über Nacht eine unschöne lila-rote Farbe angenommen.

Natürlich ahnte ich, woher dies kam. Zumal es ein direkter Beweis für Jurian sein konnte, dass ich mir diesen Vorfall nicht nur eingebildet oder erträumt hatte. Es war die Realität. Phileas' Blick verfinsterte sich ein wenig, als ich seine Nase ansprach. „Keine Mondsucht, nein." Antwortete er mir knapp und lehnte sich schließlich in seinem Stuhl zurück. Sein Blick ruhte beinahe analysierend auf mir. Erst als Kiyan ein leises Räuspern von sich gab, wandte sich sein Bruder von mir ab.

Ich trank einen Schluck von dem Saft und blickte schließlich in die Runde. „Ich werde euch nicht aufhalten, mit eurem Gespräch fortzufahren. Wenn ich nicht hier sein darf, muss Jurian ebenfalls gehen." Erklärte ich meinen Grund, weshalb es mir durchaus gestattet sein würde, zu bleiben. Jurian hatte schließlich ebenso wenig das Recht darauf, an der Planung der Krönung mitzuwirken, wie ich. Um meiner Aussage noch mehr Ausdruck zu verleihen, verschränkte ich anschließend demonstrativ meine Arme vor der Brust.

„Bist du dir sicher, dass du dich nicht lieber noch ein wenig ausruhen möchtest?" war nun Kiyan  zu hören, der am weitesten von mir entfernt saß. In seinem Blick war zu erkennen, dass er den Ausdruck von Sorge nicht zeigen wollte. Doch diese fesselnden grauen Augen konnten nicht lügen. „Wenn du darauf bestehst, dass ich dies tue, wirst du mich schon persönlich nach oben bringen müssen." Gab ich sichtlich amüsiert von mir und konnte mir sogar ein leichtes Grinsen nicht verkneifen.

„Camilla, was hast.." begann Kiyan seinen Satz, doch sein Bruder kam ihm zuvor. „Ich werde ein paar Minuten mit ihr an die frische Luft gehen. Ihr könnt derweil weiter eure Ideen zusammenführen." Phileas erhob sich von seinem Stuhl und schritt um den Tisch herum, bis er bei mir ankam. Ich machte jedoch keine Anstalten, von meinem Platz aufzustehen. Viel mehr lag meine Aufmerksamkeit noch immer auf Kiyan, dessen Augen mich fixierten, als wäre ich der Mittelpunkt des Universums.

Ich lachte leise auf, als mir bewusst wurde, welch ein absurder Gedanke dies war. Dieser Tee konnte unter Umständen wahrlich erheiternd sein. „Ich werde nicht mitgehen.." formulierte ich, so neutral wie es mir möglich war. Schließlich wollte ich mir nicht anmerken lassen, dass ich in diesem Augenblick nicht vollkommen zurechnungsfähig war. Doch anstatt mich daraufhin in Ruhe zu lassen, ergriff Phileas unsanft meinen Arm und zog mich hoch auf meine Beine.

„Phileas." Der mahnende Unterton in Kiyans Stimme war kaum zu überhören. Dank der Wirkung des Tees, nahm ich nur minimal wahr, welchen Druck Phileas Griff um meinen Arm ausübte. „Ich bin noch nicht fertig!" protestierte ich und wollte mich zeitgleich aus seinem Griff lösen, kam jedoch nicht gegen ihn an. Das musste ein deutlicher Nachteil dieser Kräuter sein. Mein Körper gehorchte mir nicht mehr. „Du kannst später im Zimmer weiteressen." Knurrte Phileas mir regelrecht entgegen, was mich innerlich zusammenschrumpfen ließ.

Wir entfernten uns von der langen Tafel, welche mit unzähligen Leckereien bestückt war und die ich nun bedauerlicherweise zurücklassen musste. Doch bevor wir die Flügeltür durchschritten und den Saal hinter uns ließen, begann das Gespräch hinter uns erneut und ich nahm noch ein paar wenige Fetzen davon wahr, ehe sich die Tür hinter uns schloss und die Stimmen dahinter verstummen ließ. Es waren lediglich Jurians und Amandas Stimmen zu hören gewesen, die sich mit folgenden Sätzen an Kiyan gewandt haben mussten.

„Hast du bereits mit dieser Mary gesprochen?" „Dir bleibt nicht mehr viel Zeit, bis du deine Entscheidung bekannt geben musst."

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt