Ordnung

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„Ich soll deinem Bruder helfen?" fragte ich sicherheitshalber nach, für den Fall, dass ich seine Worte nicht korrekt verstanden hatte. Er nickte bestätigend. Genau dies schien er wohl gesagt zu haben. Einen winzigen Augenblick lang fühlte ich mich wieder in die Lage zurückversetzt, als ich noch vor wenigen Tagen meiner eigenen Mutter helfen wollte.. musste.. und es nicht geschafft hatte. „Dies wäre mein zweites Angebot an dich, Camilla." Sein Blick wurde ein wenig nachdenklich. „Ich nehme an, dass du nicht ohne Grund in diesem Wald warst... du bist womöglich geflohen. Ich muss nicht einmal wissen wovor, dennoch ich biete dir einen Neuanfang."

Ein Neuanfang klang genau nach dem, was ich gesucht hatte. Aber würde ich das wollen? Nun doch hier bei ihnen zu bleiben, obwohl ich mich anfangs gegen sie und dieses Angebot entschieden hatte? Phileas beurteilte mein Schweigen wohl richtig, denn ein leichtes Lächeln trat auf seine Lippen. „Du musst diese Entscheidung nicht sofort treffen. Ich habe auch schon damals die Zeit für deine Entscheidung dir selbst überlassen. Mehr kann ich dir nicht bieten Camilla, alles Andere liegt bei dir." Daraufhin legte er eine Hand an meinen Rücken und führte mich wieder in einen der Gänge, in denen ich mich problemlos würde verlaufen können.

Eine ganze Weile führte er mich in weiteren Gängen umher, bei denen ich bereits nach wenigen Abzweigungen erneut die Orientierung verlor. „Bis du deine Entscheidung getroffen hast, kannst du in einem der Zimmer unserer Bediensteten unterkommen. Layana wird dir alles erklären, was du wissen musst." Da ich mit meinen Gedanken langsam wieder in eine andere Welt zu verschwinden begann, nahm ich nur halb wahr, was er mir sagte und reagierte darauf lediglich mit einem Nicken. Ich stellte mir die Frage, auf welche Weise ich seinem Bruder würde helfen können. So wie ich ihn bisher kannte, war er kein besonders netter oder offenherziger Mensch. Wie sollte ich dies, als vollkommen fremde Person, an ihm ändern? War dies überhaupt das, was Phileas damit gemeint hatte?

Wir kamen an einer hölzernen Tür an, die fast genauso aussah, wie alle anderen in diesem Gang. Ich wusste nicht, was sich dahinter befand, doch ohne ein Klopfen auch nur anzudeuten, öffnete Phileas einfach die Tür und ließ mir dann den Vortritt. Es war ein großer Raum, an dessen beiden Seiten sich aus grober Sicht mindestens 6 Betten befinden mussten. An der Wand, er Tür direkt gegenüber, ermöglichten Fenster einen Blick nach draußen, wo die aufsteigende Sonne bereits ein freundliches Licht in den Raum fallen ließ. Mehr Zeit blieb mir jedoch nicht, um mir den Raum etwas genauer anzusehen. Denn wir waren nicht alleine.

Drei andere junge Frauen in meinem Alter, darunter auch Layana, saßen in diesem Raum und unterbrachen ihr Gespräch, als wir die Tür öffneten. Die plötzlich auf mich gerichteten Blicke, machten mir deutlich, dass sie in diesem Moment keinen Besuch erwartet hatten. Als einzige der drei warf Layana mir jedoch ein leichtes Lächeln zu. Das beruhigte mich ein wenig. Die irritierten Gesichter der anderen beiden veränderten sich, als Phileas hinter mir den Raum betrat. Die Frauen erhoben sich fast automatisch von ihren Plätzen. Nur Layana schien dieser Besuch nicht vollkommen zu überraschen.

„Eure Ho.." fing eine der Frauen an, welche Phileas wohl zuerst entdeckt haben musste. Mitten in ihrem Satz verstummte sie jedoch. In diesem Augenblick merkte ich nicht, dass Phileas sie mit einer einfachen Handbewegung zum Schweigen gebracht hatte. Da er direkt das Wort an sie richtete, vergaß ich bereits wieder, was sie eben noch zu sagen versucht hatte. „Bitte entschuldigt diese Störung. Layana? Camilla wird vermutlich für ein paar Tage bei uns bleiben. Sorge dafür, dass sie einen Einblick in eure Arbeit erhält." Daraufhin nickten alle drei Frauen, als hätte er nicht nur Layana damit beauftragt.

Ich hob meinen Blick ein wenig um zu Phileas zu sehen, der mir daraufhin ein aufmunterndes Lächeln entgegenbrachte. „Komm zu mir, wenn es Probleme geben sollte. Ich werde sehen, wie ich helfen kann." „Vielen Dank." Erwiderte ich darauf ebenfalls mit einem Lächeln und bemerkte dabei, wie meine anfängliche Nervosität langsam zu verschwinden begann. Noch kurz nickte er mir zu, ehe er sich von uns abwandte und die Tür hinter sich schloss, nachdem er den Raum verlassen hatte.

Die nächsten Sekunden war es still im Raum, während ich meinen Blick von der nun geschlossenen Tür wieder auf die jungen Frauen vor mir wandern ließ. Layana war die einzige, die ein kurzes Lachen von sich gab, ehe sie die Blicke der beiden anderen bemerkte. „Könntet ihr bitte aufhören sie anzustarren?" Die beiden zuckten bei ihren Worten leicht zusammen, mussten dann jedoch auch in dieses Lachen mit einstimmen. Ich kannte ihren Namen nicht, ihr Lachen ließ sie aber automatisch etwas sympathischer wirken. Auch Layana schien hier entspannter zu sein, als außerhalb dieses Raumes in Gegenwart der beiden Brüder.

Die Genannte ließ sich wieder auf den Platz auf ihrem Bett fallen und deutete anschließend auf die Stelle neben sich, was ich als Andeutung sah, mich ebenfalls zu setzen. Die anderen beiden Frau ließen sich ihr gegenüber auf dem Bett nieder und warteten, bis auch ich mich zu ihnen gesellt hatte. Jedoch passte ich mit meiner halb verdreckten Kleidung, nicht ganz in dieses reine Gesamtbild. „Mein Name ist Amalia. Bitte entschuldige unser Verhalten. Wir erhalten nur selten solch hohen Besuch." Stellte sich die Frau vor, welche eine ähnliche braune Haarfarbe zu haben schien, wie Layana. Alle drei hatten ihre Haare in der gänzlich gleichen Art und Weise hochgesteckt wie sie, weshalb mir diese Details zu Beginn nicht aufgefallen waren.

„Hoher Besuch klingt vermutlich ein wenig übertrieben." Gab die Rothaarige unter ihnen mit einem amüsierten Schmunzeln von sich. „Ich bin Thekla. Normalerweise bekommen wir gar keinen Besuch aber wir freuen uns sehr darüber, dass du hier bist. Es gibt immer etwas zu tun und wir können Hilfe jederzeit gut gebrauchen." Bei diesen Worten runzelte ich leicht die Stirn. Das klang ein wenig paradox, wenn man unsere jetzige Situation betrachtete. „Wenn ihr hier sitzt, kann ich euch dies kaum glauben."

„Ein paar Minuten Pause stehen uns auch zu." Meinte Layana daraufhin mit einem kurzen Lachen und fügte noch hinzu „Jetzt müssen wir uns aber erstmal um dein Aussehen kümmern. Wenn du weiterhin mit dieser Kleidung hier herumläufst, wird dich der K.... der Herr höchstpersönlich hinauswerfen." Ich nahm ihr kurzes Stolpern bei der Nennung der Anrede kaum war. Ich war zu sehr interessiert an dem, was die Arbeit hier betraf. Wenn ich wirklich hierbleiben wollen würde, musste ich schließlich auch wissen, was genau zu tun war.

„Amalia, könnest du bitte Nadel und Faden holen? Wir haben bestimmt nichts in ihrer Größe hier." Damit hatte sie womöglich recht. Durch unser sparsames Verhalten im Dorf, hatten uns in vielen Momenten die Mahlzeiten gefehlt. Im Vergleich zu den anderen drei, würde jedes dieser Kleider an mir herunter hängen, wie ein simpler Kartoffelsack. Amalia sprang sofort auf und öffnete eine der Kisten, die sich vor jedem dieser Betten befand. „Wenn ich mich nicht irre, sollte hier noch etwas davon liegen." Auch Thekla erhob sich nun und trat den Weg Richtung Tür an. „Ich denke eine kleinere Größe könnten wir noch haben. Vermutlich müssen wir es dennoch ein wenig umnähen."

Kurz nachdem sie die den Raum verlassen hatte, erhob sich auch Layana, die sich mit einem herzlichen Lächeln zu mir wandte „Komm, ich zeige dir, wo du dich waschen kannst und anschließend richten wir deine Haare. Diese hirnverbrühten Brüder werden dich nachher nicht mehr wiedererkennen können." Bei dieser recht speziellen Wahl ihrer Worte, konnte ich mir ein Lachen nun auch nicht mehr verkneifen. Ich hatte sie anfangs nicht so humorvoll eingeschätzt. Aus einem mir unbekannten Grund benahmen sie sich alle in der Gegenwart der Brüder äußerst vorsichtig und tadelhaft. So etwas war ich aus meinem Dorf nicht gewohnt. Nicht auf diese Art und Weise.

Ich würde sicherlich noch herausfinden, warum dies so war und warum Layana mich anfangs darum gebeten hatte, zu verschwinden, sobald ich die Möglichkeit dazu bekam. Bisher war nichts geschehen, was ich als einen Grund für solch eine Flucht nachvollziehen konnte. In diesem Moment blieben meine Gedanken von diesen merkwürdigen Theorien verschont. Sie führte mich in den Raum direkt nebenan, welcher der selben Größe entsprach wie der Schlafsaal, jedoch ein wenig sporadischer eingerichtet war. Es lagen Berge an Kleidung darin, dessen Ordnungssystem ich auf den ersten Blick nicht einmal annähernd verstand.

Dafür blieb mir auch keine Zeit, da mich Layana daraufhin alleine ließ, damit ich mich von Kopf bis Fuß waschen konnte. Es fühlte sich wunderbar an, endlich diesen Dreck aus der vergangenen Nacht im Wald loswerden zu können. Ich fühlte mich danach beinahe wie ein neuer Mensch. Sobald ich allerdings mit einem einfachen Handtuch umwickelt wieder den Schlafsaal betrat, warteten die drei jungen Frauen bereits auf mich, um ihre talentierten Künste an mir anzuwenden. Zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht bewusst, dass ich mich damit in eine Welt begab, aus der ich niemals wieder würde entkommen können.

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt