In der Ferne

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Diese Holzhütte, welcher wir uns nun mit jedem weiteren Schritt unaufhörlich näherten, war nicht sehr groß und schien bereits seit längerer Zeit nicht mehr bewohnt worden zu sein. Einige Dachbalken sahen sehr morsch aus und hielten nur noch an vereinzelten Stellen das Dach zusammen. Das Holz, aus welchem die Hütte bestand, hatte sich in all den Jahren, die es bereits an diesem Ort stehen musste, dunkel verfärbt. Moos und Gestrüpp wand sich bereits am Haus entlang zum Himmel empor. Hätten wir diesen Ort in der Nacht erreicht, wäre uns diese Hütte womöglich nicht aufgefallen.

„Es sind nur noch ein paar Meter, Juri." Sprach ich erfreut aus und erreichte die Hütte nur wenige Augenblicke später. „Kannst du irgendwo ein Licht erkennen?" fragte ich an ihn gewandt und spähte vorsichtig durch die milchigen Fenster dieser Hütte. Dass diese deutlich heruntergekommen aussah, musste nicht gleichermaßen bedeuten, dass hier niemand wohnte. „Es scheint niemand da zu sein." Hörte ich ihn antworten und konnte bestätigen, dass ich in der Dunkelheit ebenfalls keine Anzeichen eines Bewohner entdecken konnte.

Ich setzte mich wieder in Bewegung und blieb schließlich an der Tür dieser kleinen Hütte stehen. Sie war nicht abgeschlossen, wie ich feststellte, als ich den Türknauf mit meiner Hand herumdrehte. Die Tür gab ein leises Knarren von sich, als ich diese ein weiteres Stück öffnete und anschließend zu Jurian sah. „Bitte treten Sie ein, mein Herr." Formulierte ich mit einem Grinsen auf den Lippen und deutete Jurian mit einer Handbewegung an, vor mir einzutreten. „Sehr freundlich, wehrte Dame." Ein kurzes Auflachen verließ seine Lippen und es ließ mein Herz einen Sekundenbruchteil schneller schlagen. Ich hatte dieses Lachen so sehr vermisst.

Ich folgte Jurian in das Innere der Hütte und ließ die Tür anschließend mit weiterem Knarren leise ins Schloss fallen. Trotz des mangelnden Zustandes dieser Hütte, hielt sie den Regen unentwegt ab und es sah nicht danach aus, als würde sich dies in den nächsten Tagen ändern. Was bedeutete, dass wir vorerst einen trockenen Ort gefunden hatten, um uns ein wenig auszuruhen und die letzten Tage Revue passieren zu lassen. Alles war so schnell geschehen, dass ich mich kaum an jeden einzelnen Moment erinnern konnte. Ich musste erst einmal in Ruhe darüber nachdenken und verstehen, was genau im Schloss geschehen war.

Über den Zustand der Hütte, durfte ich mich allerdings nicht beschweren. Wir konnten froh sein, einen Ort gefunden zu haben, der uns trotz Wind und Regen, einen Unterschlupf bieten konnte. Das Niveau des Schlosses würde es niemals erreichen, doch dies störte mich nicht sonderlich. Diese Hütte erinnerte mich sehr an Zuhause. An mein altes Zuhause, als ich noch gemeinsam mit Jurian im Dorf gelebt hatte. Ich vermisste mein altes Leben sehr, das wurde mir nun noch einmal deutlich vor Augen geführt.

„Wenn du mich bitte entschuldigst.." hörte ich murmelnd von Jurian, der sich schließlich auf dem sporadisch gebauten Bett, am Ende des Raumes niederließ. Nach einem schmerzvollen Aufstöhnen, während er sich mit dem Bauch voran darauf legte, kehrte wieder Stille in der Hütte ein. Ich könnte ebenfalls noch ein wenig Schlaf gebrauchen. Das immer lauter werdende Knurren meines Magens, brachte mich allerdings dazu, mich genauer im Inneren der Hütte umzusehen. Sie war nicht sonderlich groß, dennoch befand sich darin eine kleine, recht einfach gehaltene Küche, ein kleiner Tisch mit 4 klapprig wirkenden Stühlen und am Ende des Raumes eben dieses Bett, welches Jurian nun in Anspruch genommen hatte.

Seit unserem Aufenthalt im Kerker, hatten wir nichts mehr gegessen. Seitdem war nun bereits eine ganze Weile vergangen und ich war mir sicher, dass Jurian den selben Hunger verspüren würde, sobald er wieder aus seinem Schlaf erwachte. Als ich die wenige Ausstattung der kleinen Küche betrachtete, vermisste ich ein wenig die große Schlossküche, in der es zu beinahe jeder Tageszeit nach leckerem Essen geduftet hatte. Ob es nun eine ordentliche Mahlzeit oder lediglich feines Gebäck war, ich war immer sehr gerne dort gewesen.

Nun musste ich mich mit den wenigen Dingen begnügen, welche diese Hütte für uns bereithielt. Wenn man denn überhaupt noch etwas davon essen konnte, so lange wie all dies bereits hier herumliegen musste. Ich erinnerte mich daran, dass wir vor noch gut einem Jahr, mit genau der selben geringen Menge, hatten zurechtkommen müssen. Mir war niemals bewusst gewesen, wie schnell ich mich an das Leben im Schloss gewöhnt hatte, obwohl ich niemals den gesamten Luxus dessen, hatte ausleben können. Weder als Zofe, noch als einfache Hilfskraft.

Ich fühlte mich in die Zeit zurückversetzt, bevor ich das Angebot der Prinzen erhalten hatte. Als zwischen Jurian und mir noch alles in Ordnung war, meine Mutter sich mit Liebe um das Gemüse gekümmert hatte und ich mit Leno über die Felder fliegen und das Gefühl der puren Freiheit erleben durfte. All dies lag nun eine halbe Ewigkeit zurück und ich wusste, dass es nie wieder so sein würde, wie es damals gewesen war. Wäre all dies nur ein Traum gewesen, würde es mich nicht sonderlich wundern, wenn meine Mutter nun durch diese Tür hereintreten würde. Bei diesem Gedanken traten mir Tränen in die Augen, doch ich wischte sie augenblicklich mit dem Handrücken fort.

Da ich nichts finden konnte, womit sich unser unentwegter Hunger schnellstmöglich beseitigen lassen konnte, wandte ich mich seufzend wieder von der Küche ab. Nur ungerne wollte ich erneut hinaus in den Regen gehen, um nach möglichen Nahrungsquellen zu suchen. Zumal es Stunden dauern konnte, in dieser Gegend etwas Essbares aufzufinden, ohne sich dabei zur gleichen Zeit noch zu verlaufen. Denn was brachte mir das Essen, wenn ich die Hütte nicht mehr finden konnte? In diesem Wald kannte ich mich nicht aus, weshalb die Wahrscheinlichkeit, mich zu verlaufen, recht hoch stand.

Jurian würde sicherlich die nächste Zeit durchschlafen und ich blickte für einen Moment zu ihm, um zu beobachten, wie sich sein Rücken aufgrund seiner Atmung langsam hob und senkte. Der dünne Stofffetzen meines Kleides lag noch immer darüber und hatte sich mit der Zeit an einigen Stellen tiefrot gefärbt, als das Blut darin aufgesogen wurde. Ich musste mir etwas überlegen, wie ich ihm damit helfen konnte. Er würde mit diesen Wunden noch wochenlange Schmerzen erleiden müssen.

Also fasste ich mir ein Herz, griff nach einem kleinen Korb in der Nähe des Tisches und bewegte mich auf die Tür der Hütte zu. Mir blieb keine andere Wahl, als erneut hinaus in den Regen zu gehen. Nicht nur, um etwas Essbares zu finden. Vielleicht konnte ich hier irgendwo ein paar Kräuter finden, die Jurian bei seinen Schmerzen helfen konnten. Es würde eine willkommene Abwechslung für mich sein, wieder an etwas anderes zu denken und den schlafenden Jurian würde es ohnehin nicht stören, wenn ich für eine Weile verschwand.

Ich trat aus der Hütte hinaus und schloss die Tür, welche erneut ein leises Knarren von sich gab. Anschließend blickte ich mich ein wenig in der Umgebung um und überlegte mir einen möglichen Weg, ohne die Hütte zu weit aus den Augen zu verlieren. Schließlich setzte ich einen Fuß vor den anderen und ließ die Hütte mit jedem Schritt ein kleines Stück weiter hinter mir zurück. Gerade noch soweit, dass ich dessen Umrisse in der Ferne erkennen konnte. Mein Blick lag dabei halbwegs auf dem Waldboden zu meinen Füßen, in der Hoffnung, etwas Essbares wie Pilze zu finden.

Bei diesem anhaltenden Regen, welcher mir nun wieder die Regentropfen über das Gesicht laufen ließ, war dies schwieriger, als anfangs angenommen. Ich kam an einem Busch vorbei, der mich augenblicklich an die Worte meiner Mutter erinnerte. Nur, weil etwas schmackhaft aussah, musste es nicht unbedingt auch essbar sein. Vater hatte mir dies gegenüber ebenfalls häufiger erwähnt, als ihm dieser Fehler gelegentlich unterlaufen war. Ich fing bei diesem Gedanken leicht an zu lächeln. Es war eine schöne Zeit gewesen, als wir alle noch gemeinsam in unserem kleinen Haus gelebt hatten.

Die Beeren, die an diesem Busch wuchsen, wirkten nicht nur essbar, ich wusste auch, dass sie es waren, was mich erleichtert aufatmen ließ. Sie würden unseren Hunger nur geringfügig stillen können, doch es verschaffte mir ein wenig Hoffnung, dass wir im Inneren dieses Waldes, nicht verhungern mussten. Denn dieser Busch würde sicherlich nicht der einzige sein, der sich in dieser Gegend befand. Womöglich hatte Kiyan aus diesem Grund auf den Fluss hingewiesen. Da er wusste, dass hier die Nahrungsquellen deutlich wahrscheinlicher waren. Möglicherweise hatte er auch von der Hütte gewusst, doch darüber konnte ich nur spekulieren. So selten, wie er das Schloss in den letzten Jahren verlassen hatte, war dies wohl eher unwahrscheinlich. 

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt