Der Schnitt in meiner Hand war nicht sonderlich tief. Er würde keine Narbe hinterlassen, wie diese, die ich bereits an mir trug. Mit einem Tuch, welches in der Nähe herumgelegen hatte, wischte ich die Reste des Tees auf und verband anschließend meine Hand mit einem weiteren, welches ich fand. Dies würde vorerst ausreichen. Solch ein Schnitt verheilte meist innerhalb kürzester Zeit von selbst.
Die Stunden waren wie im Flug vergangen, während ich diese erneut mit Lesen verbracht hatte. Kiyan hatte sich seither keinen Meter bewegt. Nicht einmal, als ich mich am späten Abend zu Bett begeben und die Kerzen soweit gelöscht hatte, dass nur noch die eine auf meinem Nachttisch vor sich hin brannte. Die einzige Kerze, die auch in der Nacht den Raum erhellen würde. Seit meiner entstandenen Furcht vor der Dunkelheit, hatte sich dies zu einer unausgesprochenen Routine entwickelt.
Stunden nachdem ich bereits im Schlaf versunken war, spürte ich eine Berührung an meinem Rücken und wurde dadurch aus dem vorherrschenden Land der Träume gerissen. Dunkelheit umgab den Raum, abgesehen von der stumm vor sich hin flackernden Kerze, wenige Meter von mir entfernt. „Camilla?" Noch im Halbschlaf drehte ich mich zu Kiyan um und stellte fest, dass er sich nach all den Tagen zu mir ins Bett gesellt hatte. Es wunderte mich ein wenig, da ich mich beinahe daran gewöhnt hatte, dass er die Nächte am Schreibtisch verbrachte.
„Es tut mir leid." Ich verstand nicht recht, was er damit meinte, weshalb ich mir einmal kurz über die Augen fuhr und meinen Blick schließlich mit seinem kreuzte. Selbst in dem dämmrigen Kerzenlicht um uns herum, waren seine dunklen Augenringe unübersehbar. „Ich bin im Augenblick nicht ich selbst. Auch du hast einen wichtigen Menschen verloren, das habe ich wohl außer Acht gelassen." „Es ist mitten in der Nacht, Kiyan.. du solltest schlafen." Hörte ich mich selbst murmeln, was er jedoch als Anlass nahm, mich zu sich heranzuziehen, damit ich meinen Kopf auf seiner Brust ablegen konnte. „Ich kann nicht schlafen, mit dem Wissen, dich verletzt zu haben. Es tut mir unendlich leid."
„Du trauerst, dafür musst du dich nicht entschuldigen." Noch während ich sprach, schloss ich meine Augen wieder, da seine Brust so unheimlich gemütlich war und mich dazu verleitete, sofort zurück ins Land der Träume zu fallen. „Doch, dass muss ich. Ich sollte an deiner Seite sein und dir den Halt geben, den du brauchst." Eine Berührung an meiner Hand ließ mich leicht zusammenschrecken, als er vorsichtig über die Stelle fuhr, die noch immer von dem dünnen Tuch verdeckt wurde. „Ich habe zugelassen, dass du verletzt wirst." „Es ist alles in Ordnung.. Dieser Schnitt ist nicht mehr als ein kleiner Kratzer."
„Es hätte gar nicht erst dazu kommen dürfen." Erklärte er mir murmelnd, zog seine Hand dann aber wieder von meiner zurück. Womöglich schien er gemerkt zu haben, dass mir diese Berührung unangenehm gewesen war. „Ich möchte nicht, dass du Angst vor mir hast." Diese Aussage ließ mich nun doch wieder die Augen öffnen und zu ihm blicken. „Ich habe keine Angst vor dir, Kiyan.. Du würdest mich niemals absichtlich verletzen, das weiß ich." „Wirst du in Zukunft noch auf die selbe Weise über mich denken? Ich werde nicht immer die Ruhe selbst sein können. Die Gene meines Vaters liegen tief verwurzelt in meinen Knochen."
Mit einem leisen Seufzen erhob ich mich ein wenig, um ihn eindringlicher anzusehen. „Zum Einen möchte ich nur ungerne erneut erwähnen, dass es mitten in der Nacht ist.. zum Anderen ist es mir gleich, ob du die Gene deines Vaters in dir trägst. Ich liebe dich für den Menschen, der du bist. Mit jeglichen Facetten." Ich sah ein kurzen Aufflackern in seinen grauen Augen, was ich erst als optische Täuschung aufgrund der Kerze in unserer Nähe abtat. „Camilla?" Mein Blick lag fragend auf ihm, während die Müdigkeit in meinem Innern, mich durchgehend dazu zu überreden versuchte, mich wieder schlafen zu legen.
„Dies ist womöglich der unpassendste Zeitpunkt, um darüber zu sprechen." Er sagte dies wohl eher zu sich selbst, als an mich gerichtet, weshalb ich diesen Worten keine große Aufmerksamkeit schenkte. Als ich meinen Kopf wieder auf meiner Brust ablegen wollte, legte er seine Hand an meine Wange und hielt mich somit davon ab. Gerne hätte ich weitergeschlafen, doch worüber er auch sprechen wollte, es schien ihm äußerst wichtig zu sein. Weshalb ich mich bemühte, ihm aufmerksam zuzuhören.
„Ich habe in den vergangenen Tagen oft über die Menschen nachgedacht, die ich verloren habe. Über Othila, meine Mutter, Phileas und auch über Jurian." Seinen Vater ließ er dabei unerwähnt, was ich allerdings nicht ansprach. Den Grund dafür konnte ich mir bereits selbst denken. „Den gesamten heutigen Tag habe ich damit zugebracht, mir eine Welt vorzustellen, in der du nicht existierst. Eine Welt, in der wir uns niemals kennengelernt hätten." Die Aufrichtigkeit seiner Worte stand ihm sogar ins Gesicht geschrieben und ich fühlte mich äußerst berührt von dem, was er sagte.
„So sehr ich es auch versucht habe mir vorzustellen, es war mir nicht möglich. Dich plötzlich verlieren zu können oder zu wissen, dass du in Zukunft nicht mehr an meiner Seite sein würdest, zerreißt mir das Herz." Ein Lächeln zog sich über meine Mundwinkel und ich schmiegte mich ein wenig in seine Hand, von dieser eine angenehme Wärme ausging. Sie waren nicht mehr so kalt, wie noch einige Stunden zuvor. „Ein Leben ohne dich, käme meinem Untergang gleich."
„Aus diesem Grund bitte ich dich.. nein, ich flehe dich an, mir diese Ehre zu erweisen. Werde meine Frau, meine Königin und ich werde mein Leben dafür geben, dich bis zum Ende unserer Ewigkeit zu beschützen." Das anfängliche Lächeln verschwand augenblicklich aus meinem Gesicht und auch die Müdigkeit in meinem Inneren, löste sich urplötzlich in Luft auf. Ich war wieder hellwach, als mir der Ernst seiner Worte bewusst wurde. Ohne einen Ring und das ganze Drumherum, doch dies war ein Antrag.
In rasender Geschwindigkeit irrten die Gedanken in meinem Kopf umher und versuchten mich für die eine oder andere Entscheidung umzustimmen. Ich liebte ihn, dies konnte ich nicht verneinen. Doch wenn ich dieses Band einging, würde ich Königin werden. War ich überhaupt bereit dazu, solch ein Amt zu übernehmen? An Kiyans Seite wäre ich sicherlich zu allem bereit sein können. Würde das Volk eine solch niedere Person wie mich als ihre neue Königin akzeptieren, nach allem was der König mir in der Öffentlichkeit vorgeworfen hatte? Mir wurde regelrecht schwindelig bei diesem Durcheinander in meinem Kopf.
„Ja." Sprach ich schließlich aus, ohne mich gedanklich auf eine Entscheidung geeinigt zu haben. Ich äußerte das, was mein Bauchgefühl mir sagte und nach allem was Kiyan und ich bereits erlebt hatte, fühlte sich diese Antwort absolut richtig an. „Ja?" fragte Kiyan nach, als wäre er sich nicht sicher, ob er meine Antwort richtig verstanden hatte. „Ja!" widerholte ich, während das Lächeln wieder auf meinen Lippen erschien und seine Mundwinkel es mir gleichtaten. „Du machst mich damit zum wohl glücklichsten Menschen auf diesem Planeten." Murmelte er leise, ehe seine Lippen den Weg auf meine fanden.
Hätte ich an diesem Morgen geahnt, was auf mich zukommen würde, wäre ich womöglich schreiend davongerannt und hätte das Weite gesucht. Nun war ich nicht mehr eine ehemalige Zofe der Königsfamilie, auch nicht mehr die Geliebte des Königs, die ich für viele Bedienstete darstellen musste, seit ich in das Schloss zurückgekehrt war. Ab sofort war ich seine Verlobte und würde schon bald den Platz als Königin neben ihm antreten. Die bevorstehende Zukunft bereitete mir ein wenig Angst, doch die Küsse, die Kiyan auf meinem Körper hinterließ, rückten diese Gedanken in weite Ferne.
Noch in der selben Nacht kamen wir uns näher als je zuvor und ich fühlte mich das erste Mal, seit meiner ersten Ankunft im Schloss, wirklich zuhause. Hier in Kiyans Armen, umgeben von der angenehmen Stille und dem dämmrigen Licht der Kerze neben uns, war ich seit Langem nicht nur unendlich glücklich, sondern sah auch wieder Hoffnung in der Zukunft, die vor uns lag. Trotz der Verluste, die wir zu tragen hatten, strahlten uns diese kommenden Jahre nun leuchtend hell entgegen und ließen unsere gemeinsamen Träume wieder entflammen.
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Die Zofe
Teen FictionIn einer Welt einige Jahre vor unserer Zeit, im alten Mittelalter, kämpft ein Mädchen gegen ihr Schicksal. Dazu bestimmt, den Rest Ihres Lebens gemeinsam mit ihrer Mutter auf dem Land zu verbringen und von dem wenigen Geld zu leben, welches sie auf...