Die Zeit danach

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An diesem Tag rissen mich ein paar vereinzelte Sonnenstrahlen aus dem Schlaf. Es war der erste Tag seit Langem, der nicht von Wolken verhangen, grau und eintönig war. Es musste ein guter Tag werden. Noch immer etwas schläfrig erhob ich mich von dem Bett im Schlafsaal und wanderte hinüber in den Waschraum, um mich ein wenig frisch zu machen. Nachdem nun auch Layana und Thekla nicht mehr im Schloss waren, war es seltsam still in diesem Saal. Die Arbeit, die für uns Bedienstete anfiel, häufte sich dadurch allerdings mit jedem Tag.

Es musste gründlich aufgeräumt, beschädigte Gegenstände entsorgt und die alltägliche Arbeit verrichtet werden. Daher war es absehbar, dass ich in den vergangenen Tagen, nach dem Hinterhalt deutlich weniger Schlaf bekommen hatte, seitdem ich mich wieder der Arbeit gewidmet hatte. Jurian war dagegen gewesen, dass ich mich direkt wieder in die Arbeit stürzte. Ich konnte ihn davon überzeugen, dass meine Hilfe gebraucht wurde. Wir hatten alle Hände voll zu tun, selbst jetzt, nachdem bereits eine knappe Woche vergangen war.

Ich zog mir das schwarze Kleid über, band mir die weiße Schürze um und schlüpfte in die schwarzen, halbhohen Schuhe. Mittlerweile hatte ich mich an diesen Ablauf gewöhnt. Es hatte sich zu einer Routine entwickelt. Schließlich verließ ich den Schlafsaal, um mich mit den ersten Aufgaben zu beschäftigen, die an diesem Morgen anfallen würden. Ich vermisste den Trubel, der normalerweise im Schlafsaal stattfand, wenn alle Zofen damit beschäftigt waren, sich für den angebrochenen Tag fertig zu machen. Nun war alles still.

Auch in den Gängen war kein Geräusch zu hören. Ich hatte etwas länger geschlafen als erhofft, meist verließ ich das Zimmer bereits vor dem Sonnenaufgang. Mein Körper schien mir die Anstrengung der letzten Tage deutlich signalisieren zu wollen. Kurz sortierte ich meine Gedanken, um herauszufinden, welche Aufgaben von Bedeutung waren. Die Königsfamilie würde ebenfalls bald erwachen. Daher würde ich den Speisesaal vorbereiten müssen, ehe ich die Königin dorthin begleiten würde. Liebend gerne würde auch ich noch etwas länger im Bett liegen bleiben. Ich musste gestehen, ich beneidete sie ein wenig dafür.

Also betrat ich nur wenige Minuten später mit einem leises Seufzen die große Küche, aus der bereits ein wenig Geklapper zu hören war. Dieser Teil des Schlosses war schon immer früher wach als ich, nur bekam ich von den Machenschaften darin kaum etwas mit. „Einen wunderschönen guten Morgen, Camilla!" Erklang direkt die Stimme eines Jungen, sobald ich die Küche betrat. Meine Aufmerksamkeit richtete sich daher auf Keylam, der mir bereits mit einem Servierwagen entgegenkam. Auch diesmal lag ein erfreutes Schmunzeln auf seinen Lippen.

„Du bist nicht in den Stallungen?" Es sollte mich nicht wundern, nach der reduzierten Anzahl an Personal, welches sich noch in diesem Schloss aufhielt, doch in den vergangenen Tagen hatte ich ihn hier nie sehen. „Heute nicht." Antwortete er mir und deutete dann in Richtung der Tür. „Vater hat mich gebeten, ein wenig auszuhelfen. Zudem scheinst du wohl ein wenig Hilfe zu gebrauchen." Erklärte er mir, woraufhin wir gemeinsam die Küche wieder verließen und er den Servierwagen dabei vor sich her schob. Ich wusste nicht recht, ob ich mich darüber freuen sollte.

Ich mochte Keylam, das stand außer Frage. Trotzdem genoss ich die Ruhe am Morgen und dieser Junge sprühte förmlich vor Energie. Damit musste ich mich wohl nun zufriedengeben, ich sollte für jede Hilfe dankbar sein, die mir zur Verfügung stand. „Camilla.. ich hätte Jurian nicht auf diese Weise angehen sollen, das tut mir leid." Gab er schließlich von sich, da ich mich nicht weiter zu Wort gemeldet hatte. Mein Blick richtete sich wieder auf ihn und ich runzelte die Stirn. „Dein Verhalten war verständlich, Keylam. Du kanntest ihn nicht. Womöglich hätte jeder so reagiert wie du, das muss dir nicht leid tun."

„Doch, das muss es. Ich habe außer Acht gelassen, dass du aufgrund deiner Verletzung noch Ruhe brauchst. Ich hätte deine Zeit nicht auf diese Weise beanspruchen sollen." Nun hoben sich meine Mundwinkel ein wenig. „Wie du siehst, geht es mir besser. Es gibt keinen Grund zur Sorge." Nach einer kurzen Pause fügte ich noch hinzu: „Ist dir bekannt, wo Jurian sich im Augenblick aufhält?"

Keylam nickte und bog schließlich mit mir in den Gang ein, in dem der Speisesaal lag. „In den Stallungen bei meinem Vater. Deshalb hat er mich weggeschickt. Jurian scheint ihm dort nützlicher zu sein, als ich." Eine Welle der Erleichterung überkam mich. Er war nicht verschwunden, hatte einen kurzzeitigen Platz um sich zu beschäftigen und es gab kein Risiko ihm dabei plötzlich zu begegnen. „Du wirst mir mit deinen kleinen Händchen sicher gut zur Seite stehen können."

Der Blick, der daraufhin von ihm folgte, wirkte entrüstet. „Darf ich dich darauf hinweisen, dass ich nur ein ganz kleines bisschen kleiner bin als du? Im nächsten Winter habe ich dich sicherlich eingeholt." Er hatte recht. Grob geschätzt war er womöglich nur einen halben Kopf kleiner als ich. Er würde noch wachsen, das stand fest. „In Ordnung, ich bitte um Entschuldigung." Meinte ich, gefolgt von einem kurzen Lachen. Nun war mir seine Anwesenheit in diesem Moment doch nicht mehr so unpassend. Er gab mir ein wenig Leichtigkeit, die ich so vermisste.

Wir betraten den Speisesaal und begannen damit, das Geschirr vom Servierwagen auf dem weitläufigen Tisch zu verteilen. Es würde ein langer Tag werden, ich konnte nur hoffen, dass keine weiteren Zwischenfälle folgen würden. „Hast du vor Kurzem mit Prinz Phileas gesprochen?" fragte mich Keylam nach einer Weile, während ich damit beschäftigt war, die Kerzen auf dem Tisch anzuzünden. Als Antwort darauf, schüttelte ich den Kopf. „Nein. Ich habe die Prinzen bereits seit ein paar Tagen nicht gesehen." Gestand ich, was mir erst in diesem Moment erst richtig bewusst wurde.

Normalerweise war es nicht unüblich, dass ich den Prinzen begegnete, während sie im Schloss umherwanderten, hier im Speisesaal eine Mahlzeit zu sich nahmen oder ich im selben Stockwerk mit einer meiner Arbeiten beschäftigt war. Doch bereits seit ein paar Tagen hatte ich weder Phileas noch Kiyan auf diese Weise angetroffen. Sie waren allerdings im Schloss. Wären sie aus einem bestimmten Grund vereist, wäre uns und den übrigen Bediensteten dies mitgeteilt worden.

„Es scheint Probleme zu geben, meinte mein Vater. Wir sind uns allerdings nicht sicher, ob es etwas Politisches oder Familiäres ist. Jedenfalls verlassen sie nur selten das obere Stockwerk." Dies wäre eine mögliche Erklärung dafür, dass ich sie so lange nicht gesehen hatte. „Wir werden es sicherlich in naher Zukunft erfahren." Versuchte ich sowohl ihn als auch mich mit dieser einfachen Ablenkung von dem Thema zufriedenzustellen. Wie recht ich mit diesen Worten hatte, war mir zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht bewusst.

Die Königin besuchte ich mehrmals am Tag, doch auch von ihr hatte ich diesbezüglich keine Informationen erhalten, die auf das sonderbare Verhalten der Prinzen hindeuten könnte. Dass der Königin und Althea sich nur selten in unserer Nähe aufhielten, war nicht unüblich. Doch besonders Phileas war die Nähe zum Personal sehr wichtig. Er schätzte unsere Arbeit. Dass er so plötzlich nicht mehr herunterkam, musste also einen Grund haben. Daher galt es nur noch zu warten, bis wir diesen Grund erfahren würden.

Die Tür des Speisesaals öffnete sich so plötzlich, dass ich vor Schreck zusammenzuckte. Glücklicherweise hatten wir alles Notwendige bereits vorbereitet, wir hatten uns nur noch mit der Feinarbeit beschäftigt. Aus Neugier wandte ich mich der Tür zu, senkte jedoch augenblicklich wieder den Blick, als ich erkannte, dass der unerwartete Gast der König höchstpersönlich war. Er schien unsere Anwesenheit kaum wahrzunehmen, sondern lief schweigend an uns vorbei, ehe er sich an den für ihn bereits typischen Platz am Ende der langen Tafel niederließ. Ein kurzer Blick zu Keylam bestätigte mir, dass auch er sich nicht traute, nun noch weiter ein Wort zu wechseln. Die Stimmung war generell schon mehr als angespannt in den letzten Tagen.

Wir beendeten unsere Arbeit und verließen mit zügigen, jedoch noch angemessenen Schritten, wieder den Speisesaal. Um den Rest würden sich die Bediensteten aus der Küche kümmern, diese Aufgaben standen uns nun nicht mehr zu. Sobald sich die Tür wieder hinter uns schloss und wir alleine im Gang waren, atmete ich einmal kurz durch. „An manchen Tagen kann er wirklich beängstigend sein." Hörte ich Keylam sagen, ehe er sich mir zuwandte. Ich konnte mir ein kurzes Auflachen nicht verkneifen, denn er hatte wahrlich Recht. „Ich muss noch etwas erledigen, solltest du meine Hilfe benötigen, bin ich in der Nähe." Es folgte ein zuversichtliches Lächeln seinerseits, was ich erwiderte und daraufhin ein ehrliches „Vielen Dank, Keylam." von mir gab.

Er war so jung aber hatte bereits mehr an diesem Ort erlebt, mehr Informationen erhalten und mehr über die Geschichte dieser Familie erfahren, als es bei mir jemals der Fall sein würde. Womöglich war er hier aufgewachsen, hatte seine Kindheit an diesem Ort verbracht. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie das für ihn und besonders für seinen Vater gewesen sein musste. Allein die Vorstellung war grauenvoll. Eine Kindheit an diesem Ort wäre für mich der pure Albtraum gewesen.

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt