Bedauerlicherweise meinte Phileas dies durchaus ernster, als ich angenommen hatte. Er war wohl der vollen Überzeugung, dass ein kurzer Ausflug in die Welt außerhalb des Schlosses, sowohl Kiyan als auch mir ein wenig mehr Ruhe verschaffen könnte. Trotz der Abende, in denen in Kiyans tiefste Geheimnisse erfahren hatte, standen wir uns nicht sonderlich nahe. Es war mir daher nicht ganz geheuer, mich für eine längere Zeit mit ihm alleine in der mir unbekannten Welt dort draußen aufzuhalten. Sollte etwas geschehen, wusste ich nicht einmal ansatzweise, wo ich mich befand. Ich musste mich vollkommen auf Kiyan verlassen und dies gefiel mir ganz und gar nicht.
„Könnte ich dich für einen kurzen Moment sprechen?" Vor Schreck stolperte ich ein paar Schritte zurück, als mir Jurian direkt beim Umlaufen einer Ecke entgegen kam. Ich hätte ihn nicht in den Gängen des Schlosses erwartet. „Was machst du hier, Juri? Du solltest nicht hier sein." Sein Blick wanderte kurz an mir herab, richtete sich dann jedoch wieder auf meine Augen. „Du scheinst im Augenblick auch nicht deiner Arbeit nachgehen zu wollen." Schlussfolgerte er anhand des Kleides, welches ich trug und für die tägliche Arbeit die ich zu verrichten hatte, ein wenig zu fein zu sein schien.
Das Kleid war in ein helles Blau getaucht und schöner als alles, was ich bisher getragen hatte. Es hatte am frühen Morgen zusammengefaltet in einem kleinen Karton vor der Tür meines Zimmers gelegen und ich habe es als Aufforderung betrachtet, es zum Anlass dieses kleinen Ausflugs tragen zu müssen. Wer dieses Kleid dorthin gelegt hatte, hatte ich nicht erfahren, es musste unweigerlich ein Kleid der Königin sein. Ich fühlte mich geehrt, diesen Teil von ihr, mit auf unsere kleine Reise zu nehmen. Dieses Kleid hatte dafür gesorgt, dass ich mich nicht doch dafür entschieden hatte, im Schloss zu bleiben. Ich wollte der Königin diesen kleinen Gefallen tun und ihre verbleibenden Erinnerungen in diesem Kleid, mit hinaus aus dem Schloss tragen. Wäre sie noch hier gewesen, hätte sie sich sicherlich über solch einen Ausflug gefreut. So wie es auch im Winter der Fall gewesen war.
„Ich erkenne dich kaum wieder, Cami." Sprach er schließlich weiter, noch immer sonderlich verwundert über mein verändertes Erscheinungsbild. Er hob eine Hand, um mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. Womöglich mit dem Hintergedanken, die Wunde an meiner Schläfe begutachten zu können, weshalb ich einen Schritt zurücktrat und ihn somit davon abbrachte. „Ich habe das Recht zu erfahren, was mit dir passiert ist. Du kannst diese Geschehnisse nicht für die Ewigkeit vor mir verbergen." Ich gab ein leises Seufzen von mir und versuchte, kommentarlos an ihm vorbeizugehen. Er stoppte mich auf halbem Weg, in dem er meinen Arm umgriff. „Sind die Prinzen dafür verantwortlich? Wir können jederzeit von hier verschwinden, Cami." Jurian trug unweigerlich die Bekleidung der Wachen, was mich daran erinnerte, in welcher Position er sich befand.
„Nein. Es geht mir gut, Juri. Diese Verletzungen sind nichts, worüber du dir Gedanken machen müsstest. Lediglich Missgeschicke meiner Tollpatschigkeit." Gänzlich unrecht hatte ich damit nicht. Die Wunde an meiner Hand wäre nicht geschehen, hätte ich mich früh genug bei Kiyan bemerkbar gemacht. Nach einem misstrauischen Zögern, ließ er meinen Arm schließlich langsam wieder los und ich konnte meinen Weg in Richtung Eingangshalle fortsetzen. Jurian folgte mir, schwieg jedoch, während er meinen gesagte Worten nachzuhängen schien.
Die Tore des Schlosses öffneten sich direkt vor uns, noch bevor wir diese endgültig erreicht hatten. Alles blieb still, bis sich das letzte Tor öffnete, die ersten Sonnenstrahlen auf uns fielen und ich das Vogelgezwitscher vernehmen konnte, welches nun zu uns herüberschallte. Die Wachen an den Toren, richteten ihre kühlen Blicke auf mich, während ich an ihnen vorbeilief, doch sie hinderten mich nicht daran, das Schloss zu verlassen. Mir war ein wenig mulmig bei dem Gedanken, dass diese Wachen mein Handeln als Anlass sehen konnten, Bericht zu erstatten. Kiyan hatte mir allerdings am gestrigen Morgen versichert, dass Phileas die Einteilung der Wachmänner mit großer Sorgfalt geplant hatte.
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Die Zofe
Teen FictionIn einer Welt einige Jahre vor unserer Zeit, im alten Mittelalter, kämpft ein Mädchen gegen ihr Schicksal. Dazu bestimmt, den Rest Ihres Lebens gemeinsam mit ihrer Mutter auf dem Land zu verbringen und von dem wenigen Geld zu leben, welches sie auf...