Ein bekannter Gast

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Mit aufkommendem Stolz konnte ich sagen, dass ich den halben Korb mit Beeren hatte füllen können und daraufhin noch ein paar wenige Pilze finden konnte. Somit war dieser kleine Korb in meinen Händen unerwartet gut befüllt, weshalb ich entschied, den Weg zurück zur Hütte anzutreten. Ich blickte mich einmal in meiner Umgebung um und entdeckte die Umrisse dieser in weiter Ferne. Auch der Regen hatte ein wenig nachgelassen, weshalb sogar vereinzelte Sonnenstrahlen durch die Baumkronen hindurch auf den Waldboden fielen.

Wie schon so oft, hellte das Licht der zurückkehrenden Sonne, meine Stimmung wieder ein wenig auf und ein Lächeln lag beinahe durchgehend auf meinen Lippen, während mich meine Beine wie von selbst zurück zur Hütte trugen. Obwohl meine Knochen und Muskeln noch immer unangenehme Schmerzen verursachten, hatte ich diese gut ignorieren können, während ich mich auf das Sammeln konzentriert hatte. Nun würde Jurian sicherlich noch ausgeruhter sein als zuvor und ich würde mir selbst etwas Zeit zum Ausruhen nehmen können.

Bei der Hütte angekommen, wirkte alles wie zuvor. Als wären Jurian und ich niemals hier angekommen. Von außen wirkte sie ebenso unbewohnt, wie sie bei unserer Ankunft bereits ausgesehen hatte. Als ich jedoch mit meiner Hand nach dem Knauf der Tür greifen wollte, um diese zu öffnen, stellte ich irritiert fest, dass die Tür einen Spalt weit offen stand. Mein erster Gedanke galt Jurian. Möglicherweise war er aufgewacht und suchte nun nach mir, dies würde jedenfalls die geöffnete Tür erklären. Denn ich konnte mich genau daran erinnern, dass ich diese beim Herausgehen wieder hinter mir geschlossen hatte. Jurian würde allerdings wissen, dass ich ihn niemals hier alleine zurücklassen konnte, weshalb es gleichermaßen unwahrscheinlich war, dass er die Schmerzen auf sich nahm, um nach mir zu suchen, wenn er doch wusste, dass ich bald wieder zurückkehren würde.

Ich schüttelte den Kopf und versuchte diese verwirrenden Gedanken aus meinem Kopf zu vertreiben. Es kostete mich nur mehr Anstrengung, darüber nachzudenken was geschehen war, als direkt in der Hütte nachzusehen. Weshalb ich meinen Mut neben der ansteigenden Nervosität zusammennahm und die Tür noch ein Stück weiter öffnete, um die Hütte zu betreten. Was ich als nächstes sah, ließ mich jedoch auf der Stelle zu einer regelrechten Salzsäule erstarren.

Nicht vor Angst, sondern vor aufkommender Freude und zeitgleicher Verwirrung über den unerwarteten Gast. Dort stand eine junge Frau mit dunkelbraunen Haaren mitten in der Hütte und hielt eine kleine Schüssel in den Händen, in der sie etwas zu verrühren schien. Als ich zur Tür hereinkam, drehte sie ihren Kopf in meine Richtung und ein beinahe schüchternes Lächeln trat auf ihre Lippen. „Es freut mich sehr, dich wiederzusehen, Camilla. Auch wenn die Umstände sicherlich alles andere als erfreulich sind."

„Amalia.." sprach ich ungläubig aus und konnte mich nun wieder aus meiner Starre lösen. Den Korb stellte ich auf dem angrenzenden Tisch ab und lief ihr schließlich mit einem leichten Kopfschütteln entgegen. „Was machst du hier? Es muss Monate her sein, seit du das Schloss verlassen hast. Ich dachte, du seist tot." Die junge Frau begann zu kichern und zuckte dann mit den Schultern. „Wie du siehst, bin ich das nicht." Erneut schüttelte ich den Kopf, konnte nicht wahrhaben, dass Amalia nach all dieser Zeit wieder hier vor mir stand.

Ich hatte alle Zofen, die damals mit mir zusammengearbeitet hatten, verloren. Thekla und Layana hatten dem Tod ins Auge blicken müssen. Bei der letzteren, traf mich die Erinnerung an ihren Tod noch immer schwer. Amalia war die einzige gewesen, die dem Schloss lebend verwiesen worden war, nachdem sie der Königin versehentlich, verursacht durch den König, eine Tasse Tee übergeschüttet hatte. Sie war damals für vogelfrei erklärt worden, so wie es nun auch bei Jurian und mir der Fall war.

„Ich hatte nicht vor, euch zu erschrecken. Solch einen Besuch hatte ich nur nicht erwartet." Das Lächeln auf ihren Lippen verblasste und ließ einen Hauch von Sorge in ihrem Gesicht zurück, ehe sie in Richtung Jurian deutete. „Er ist noch nicht erwacht, seit ich zurückgekommen bin." Anschließend hielt sie mir die Schüssel entgegen, die sie noch in den Händen hielt und darin herumgerührt hatte. „Das hier sollte ihm helfen." Verwundert nahm ich die Schüssel entgegen und betrachtete den Inhalt darin. Eine Mischung aus verschiedenen Kräutern und Wasser, konnte ich darin erkennen.

„Wie hast du in all dieser Zeit überlebt, Amalia? Es muss eine grausame Zeit gewesen sein." Sprach ich an, während ich zu dem Bett hinüberwanderte, worauf Jurian noch immer zu schlafen schien. „Die ersten Wochen waren grausam, das ist wahr. Anfangs hatte ich wahrlich jeden einzelnen Tag geglaubt, den nächsten Morgen nicht mehr zu erleben. Die darauffolgenden Monate wurden leichter, sobald die Kälte nachließ." Es war unglaublich, dass sie nach all dieser Zeit noch ebenso unversehrt vor mir stand, wie sie es damals im Schloss getan hatte. Es verlieh mir Hoffnung, dass unsere Zeit als Verstoßene, doch nicht ganz so schwierig werden musste, wie erwartet.

„Ich möchte nur ungerne danach fragen, Camilla, schließlich geht es mich nichts an. Ihr seht beide sehr mitgenommen aus.. was ist euch zugestoßen?" fragte sie schließlich, nach einem Moment des Schweigens. „Der König. Er hat uns am gestrigen Tag für vogelfrei erklärt. So, wie er es auch mit dir getan hat." Gab ich lediglich als Antwort, da ich nicht gerne diese Erinnerung an all diesen Schmerz zurückrufen wollte. Ich griff nach dem Fetzen meines Kleides, welcher noch immer auf Jurians Rücken lag und versuchte diesen so vorsichtig wie möglich zu entfernen.

Als dieser jedoch an den Blutflecken hängenblieb, wo das eingesogene Blut bereits ein wenig getrocknet war, fing Jurian an, sich unter meinen Händen zu bewegen. Die Muskeln auf seinen Rücken begannen sich anzuspannen, ehe er seinen Kopf in meine Richtung drehte. „Kannst du das nicht machen, wenn ich wach bin?" kam es regelrecht knurrend von ihm und auch in seinem Gesicht war die Freude darüber, dass ich ihn durch diesen Schmerz geweckt hatte, nicht sehr groß geschrieben.

„Bitte verzeih mir, Juri. Ich hatte nicht vor, dich zu wecken." Meine Worte ließ er ungeachtet, als er die junge Frau entdeckte, welche sich nur wenige Schritte von uns entfernt befand. „Wer ist das, Cami?" Seine Stimme hatte einen unsicheren Unterton angenommen, welchen ich nur äußerst selten bei ihm vernahm. „Das ist Amalia, eine alte Freundin aus dem Schloss." Jurian runzelte die Stirn und wollte gerade etwas darauf antworten, als ich den Stofffetzen noch ein wenig weiter entfernte und er schmerzverzerrt die Zähne zusammenbiss.

Doch auch danach sprach er nicht aus, woran er gedacht hatte. Ich kannte ihn gut genug, um mir dies bereits selbst nahezulegen. Nach dem war Thekla im Schloss getan hatte, war er anderen Bediensteten äußerst skeptisch. „Sie kann uns helfen, dafür musst du nur noch einen kurzen Moment stillhalten." Noch während ich dies sagte, entfernte ich auch das letzte Stück des Stoffs von seinem Rücken und konnte ihn daraufhin wieder etwas entspannter aufatmen hören.

Schließlich betrachtete ich die Schüssel mit dem seltsam grün-braunen Gemisch darin einen Moment, welche ich noch immer in einer Hand hielt, stellte diese jedoch zur Seite, als sich Amalia mit einem Eimer und einem stark zerfransten Tuch näherte. „Du siehst erschöpft aus, Camilla. Vermutlich solltest du dich ausruhen, ich übernehme das hier." Ich musste zugebend nicken, da mir die Anstrengung des stetigen Umherwanderns draußen im Wald, noch immer in den Knochen lag. „Das hier?" fragte Jurian regelrecht empört, wobei seine Stimme ein wenig stumpf klang.

„Jurian, richtig?" fragte Amalia, worauf dieser nur als Antwort nickte. „Da du den halben Tag verschlafen hast, muss ich nun erwähnen, dass deine Freundin oder wie auch immer ihr zueinander steht, in der gesamten Zeit draußen im Wald umhergelaufen ist. Da ich nicht davon ausgehe, dass du spontan erblindet bist, wirst du sicherlich selbst erkennen können, dass sie eine Pause braucht." Der Ausdruck in Jurians Gesicht sprach Bände, als er seinen Kopf in meine Richtung drehte und seinen Blick einen Moment über mich wandern ließ. Ein unangenehmes Gefühl, doch schließlich gab er mit einem Seufzen nach. „In Ordnung.."

Doch anstatt dass Amalia direkt mit ihrer Arbeit beginnen konnte, setzte sich Jurian schwerfällig auf und deutete schließlich auf den Platz neben sich. „..aber sie bleibt hier." Diese Worte entlockten der jungen Frau ein leichtes Lachen und sie blickte mit einem Schulterzucken zu mir hinüber „Er wird wohl darauf bestehen." Da ich mir dies bereits hatte denken können, ließ ich mich ohne ein weiteres Kommentar neben ihm auf dem Bett nieder. Viel Platz bot es nicht, doch Jurian hatte mir genug ermöglicht, damit ich es mir am Kopfende ein wenig gemütlich machen konnte.

„Ich werde nicht verhindern können, dass es wehtut, Jurian." Gab Amalia von sich, ehe sie das Tuch nahm und in den Eimer mit Wasser tauchte. Das Wasser musste aus dem Fluss stammen, eine andere Quelle konnte ich mir nicht vorstellen. „Ich habe bereits Schlimmeres ertragen müssen." Kam es murmelnd als Antwort von ihm. Bei diesen Worten griff ich nach seiner Hand und blickte ihm aufmunternd entgegen. Ich hatte ihn nicht vor den Handlungen des Königs schützen können, daher musste ich ihm zumindest in diesem Moment beistehen und dafür sorgen, dass es ihm schon bald besser ging. Meine blauen Flecken würden in Zukunft wieder verschwunden sein, doch Jurian würde für den Rest seines Lebens diese Erinnerungen in Form von Narben auf seinem Rücken tragen. So, wie es auch bei Kiyan der Fall war. 

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt