Die dunkle Seite

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Kiyan schien zu zögern. Sein Blick lag erst auf mir, sank dann aber hinab zu seiner Hand, dessen Griff noch immer um meinen Arm lag. Er schien wahrlich damit zu ringen, mir diesen Teil der Geschichte zu erzählen. „In Ordnung." Gab er schließlich gefolgt von einem leisen Seufzen von sich und löste seine Hand von meinem Arm, ehe er in die Richtung des Sessels deutete. „Du solltest dich setzen." Ein wenig skeptisch, ob er mir wirklich alles erzählen würde, stieg ich über das Chaos auf dem Boden und ließ mich schließlich auf dem nahestehenden Sessel nieder. Dass er jemanden herbeirufen würde, der dieses Durcheinander beseitigte, hatte er augenscheinlich noch nicht in die Tat umgesetzt.

„Ich erinnere mich nicht mehr an die Zeit, bevor Phileas geboren wurde. Dieses eine Jahr ohne ihn, habe ich vollkommen aus meinem Gedächtnis verloren." Aufmerksam wandte ich mich wieder Kiyan zu, der wieder ein wenig näher zu mir trat, sich jedoch nicht setzte. „Womöglich wirst du mir das nicht glauben aber Vater war nicht immer so, wie er jetzt ist. Als wir Kinder waren, haben wir sehr viel Zeit gemeinsam verbracht." Ich verzog leicht das Gesicht, allein bei dem Gedanken daran, für längere Zeit in der Nähe des Königs zu sein. „Er hat Phileas und mir das Reiten beigebracht, wir waren oft tagelang unterwegs. Mutter empfand es nicht als störend, dass sie alleine im Schloss hatte bleiben müssen. Sie war froh, wenn wir lebend und mit einem Lächeln wieder zuhause ankamen."

Ich verstand nicht recht, warum er in einer solch frühen Zeit, in seiner Kindheit, mit seiner Erklärung begann. Diese Narben schien er sicherlich nicht als Kind erhalten zu haben, besonders nicht nach seinen jetzigen Erzählungen. „Du hast recht, das ist mir nur schwer vorstellbar. Was hat ihn verändert?" Auf diese Frage schwieg er einen Moment. Womöglich überlegte er, wie er seine Worte formulieren wollte. „Es hat begonnen, als ich alt genug war, um das Wissen für meine Thronfolge zu erlernen. Othilia war damals bereits ein Jahr alt. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie sonderbar es war, dass Phileas nicht ebenfalls an diesem Unterricht teilnahm. Das war das erste Mal, dass wir den Großteil des Tages getrennt voneinander verbrachten."

„Warum wurde ihm dies nicht gestattet? Er ist doch ebenso ein möglicher Thronfolger, sollte dir etwas geschehen." „Vater war der Meinung, Phileas käme mehr nach unserer Mutter, daher sah er es nicht als notwendig an, ihn dort mit einzubeziehen. Im Nachhinein bin ich sogar ein wenig erleichtert darüber." Erklärte er mir und ließ sich nun doch neben mir auf dem Sofa nieder. „Weil euer Vater sich verändert hat?" Kiyan gab mir ein Nicken zur Antwort. „Mir war nie bewusst, was geschah, ehe es zu spät war. Da Vater sich nur widerwillig mit Thia beschäftigen wollte, hat Phileas dies übernommen. Ich habe sie gelegentlich durch das Fenster beobachtet, wenn er mit ihr im Garten gespielt hat."

„Das hört sich doch recht friedlich an. Ich verstehe nicht, wie er plötzlich so.. selbstsüchtig werden konnte." Natürlich war der König aus der Vergangenheit nicht besonders freundlich, er schien allerdings nicht einmal ansatzweise solch ein grauenvoller Mensch zu sein, wie jetzt. Was war in dieser Zeit nur geschehen? „Sowohl mein Bruder, als auch Thia waren unglaublich neugierig. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir das Schloss noch nie verlassen. Meine Schwester war noch zu jung, um dieser Neugierde heimlich nachzugehen, doch Phileas hat einen Weg gefunden, sich aus dem Schloss zu schleichen. Er wollte unbedingt alleine durch die unbekannten Winkel dieser Welt ziehen."

Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. So wie ich Phileas kennengelernt hatte, konnte ich mir diesen Moment regelrecht bildlich vor Augen halten. „Warst du nicht auch neugierig, was dort draußen geschieht?" Kiyan schüttelte nach einem kurzen Zögern den Kopf. „Vater hat mir keine Möglichkeit dazu gegeben, auch nur darüber nachzudenken und die damaligen Ausritte hatten mir genügt. Das was ich auf unseren Reisen sah, hatte mich nie so sehr interessiert wie Phileas." „Also ist er verschwunden." Ergänzte ich seinen Satz, woraufhin Kiyan sogar ein kurzes Lachen von sich gab. „Nur für ein paar Stunden. Er hat es zu Fuß nicht weit geschafft, die Wachen haben ihn schließlich zurückgebracht.

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt