Ein Winterwunderland

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„Camilla, wie oft soll ich Ihnen das noch sagen? Mir gefällt Althea eindeutig lieber, anstelle dieses gehobenen 'eure Majestät'." Sie wirkte nicht verärgert, eher amüsiert darüber, dass ich mich noch immer nicht an ihren Namen gewöhnt hatte. Es war auch ein wirklich seltsames Gefühl, sie bei ihrem Vornamen zu nennen, obwohl sie in der Rangfolge um einige Stellen über mir stand. „Verzeihung." Angesteckt von ihrer scheinbar guten Stimmung, wandte ich mich nach dem Öffnen der Vorhänge in ihre Richtung. In ihren Augen konnte ich die darin liegende Müdigkeit deutlich erkennen, doch das Strahlen in ihrem Gesicht, schien dies fast gänzlich zu überdecken.

„Käme es Ihnen gelegen, ein wenig an die frische Luft zu gehen? Ich habe soeben festgestellt, dass es zu schneien begonnen hat." Erklärte ich Althea mit einem zuversichtlichen Lächeln auf den Lippen und obwohl der Schnee mir nach diesem seltsamen Traum ein ungutes Gefühl gab, freute es mich, dass sie diesem Vorschlag zustimmte. Fast sofort erhob sie sich von dem Bett, wobei ich ihr im nächsten Moment jedoch zur Seite stand, da ihr dies nicht ganz so leicht zu fallen schien.

„Irgendwo in den Tiefen dieses Schrankes sollten sich noch einige Mäntel befinden. Einer von ihnen ist grün mit weißem Fell, wenn ich mich recht erinnere. Könnten Sie diesen bitte heraussuchen?" Wie gebeten machte ich mich daran, diesen Mantel im großen, recht unübersichtlichen Schrank zu suchen, sobald ich mir sicher war, dass die Königin alleine zurechtkam. Während sie sich umzog, ihre Kleider suchte sie sich meist selbst aus, sie mochte es nicht sonderlich, auf diese Weise wie ein kleines Kind behandelt zu werden, fand ich den verlangten Mantel und legte ihn derweil über einen der Sessel, die sich genau wie bei Kiyan, inmitten des Raumes befanden.

Erst als die Königin meine Hilfe zum Schließen des recht schlichten Kleides benötigte, ging ich ihr wieder zur Hand. Ich ahnte stark, dass sie sich so gut wie möglich selbst um sich kümmern wollte. Nicht so, wie es der König für angemessen erdachte. Aus seiner Sicht war es wohl das Beste, wenn sie den Rest ihrer Tage abgedunkelt in diesem Zimmer verbrachte, um ihn bloß nicht bei seiner Arbeit zu stören. Diese Dinge dachte ich nur, ich sprach sie nicht aus. Besonders nicht in Gegenwart der Königin, obwohl ich mir sicher war, dass sie genauso darüber dachte, wie ich.

Sobald das Kleid geschlossen war, griff Althea nach einer Bürste die auf einer nahegelegenen Kommode lag und ließ sich auf einem der Sessel nieder, ehe sie mir die Bürste entgegenhielt. „Wären Sie so freundlich?" Sie klang ein wenig enttäuscht darüber, dies wohl nicht mehr selbst tun zu können. Doch ich verstand sie, sie war krank, genaueres wusste ich darüber nicht und jede Bewegung musste unglaublich anstrengend sein. Es war abzusehen, dass sie für solche Kleinigkeiten schnell zu erschöpft war. Erst zögerte ich, griff dann jedoch nach der Bürste und begann damit, ihre langen, leicht gewellten, braunen Haare zu kämmen. Ihre Haare glichen förmlich purer Seide, so sanft glitten die Borsten der Bürste durch sie hindurch.

„Darf ich fragen, woher Sie kommen, Camilla?" diese Frage traf mich so unerwartet, dass ich erst nicht wusste, wie ich darauf antworten sollte. Althea hatte mich durch das Bürsten Ihrer Haare regelrecht an sie gebunden. Somit konnte ich solchen Fragen nun nicht mehr aus dem Weg gehen. „Geboren wurde ich in einem kleinen Dorf, nur wenige Stunden von Maradon entfernt. Das Dorf selbst hat keinen Namen, es gab nie einen Grund es zu benennen, so klein wie es ist."

„Sie scheinen einen weiten Weg hinter sich zu haben, Maradon liegt etwas mehr als einen Tagesmarsch von hier entfernt." Gab Althea ein wenig verwundert von sich, und ich antwortete mit einem Nicken darauf. Wie weit ich wirklich von meinem alten Zuhause entfernt war, wurde mir erst in diesem Augenblick bewusst. An den Weg, den ich mit Kiyan und Phileas zurückgelegt hatte, konnte ich mich kaum erinnern. Wir schienen wohl doch weiter gereist zu sein, als ich gedacht hatte.

„Der schwarze Tod hat unser Dorf heimgesucht, aus diesem Grund war ich gezwungen, zu gehen. Kiyan und Phileas haben mich auf dem Weg gefunden und schließlich hierhergebracht." Was genau vorgefallen war, erwähnte ich hierbei nicht. Es war bereits unangenehm genug, an diesen Teil meiner Vergangenheit zurück zu denken. „Hatten Sie Geschwister? Was ist mit Ihren Eltern?" fragte sie mich daraufhin, worauf ich jedoch keine Antwort gab. Es störte mich nicht, ihr davon zu erzählen, nur würden mich meine Gefühle überwältigen, wenn ich noch detailreicher an diese Zeit zurückdachte. An all die Menschen, die ich durch mein Verschwinden und auch zuvor bereits verloren hatte.

Eine sanfte Berührung an meiner Hand, löste mich aus meinen Gedanken und ich sah, wie Althea über ihre Schulter hinweg nach meiner Hand gegriffen hatte, auch wenn sie mich dabei nicht ansah. Es war nur eine kleine Geste, sie sagte dabei kein Wort. Sie hatte wohl sofort verstanden, was ich durch mein Schweigen hatte vermitteln wollen. Eine Weile herrschte Stille zwischen uns. Jedoch fühlte es sich nicht unangenehm an. Für einen Moment fühlte es sich sogar richtig an, hier bei ihr zu sein. Beinahe schon vertraut.

„Nun lassen Sie uns hinausgehen, bevor der Schnee wieder verschwindet." Erklang Altheas Stimme wieder mit ihrer zuvor bereits aufgeweckten Art und sie ließ meine Hand los, ehe sie sich von dem Sessel erhob. Die Bürste legte ich wieder an ihren vorigen Platz auf der Kommode zurück. „Vergessen Sie Ihren Mantel nicht." Erinnerte ich Sie und hob diesen vom Sessel, um ihn ihr kurz darauf überzulegen. Daraufhin blickte sie mich einen Moment lang etwas nachdenklich an. Sie schien dabei wohl ihren eigenen Gedanken nachzugehen.

Bis sie sich schließlich auf den Schrank zubewegte, diesen erneut öffnete und begann, etwas darin zu suchen. Ich beobachtete sie ein wenig verwirrt dabei, da ich nicht ganz verstand, was ihr eben in den Sinn gekommen war. Schließlich entfernte sie sich wieder vom Schrank, drehte sich zurück in meine Richtung und hielt mir einen zweiten Mantel entgegen. „Nehmen Sie diesen Mantel als Geste meiner Dankbarkeit. Sie werden für ihn wohl einen besseren Nutzen finden können als ich."

Auch ihr wollte ich darauf nicht widersprechen, weshalb ich den Mantel mit einem leichten Lächeln auf den Lippen und einem sichtlich erfreuten „Vielen Dank, Althea." entgegennahm. Ich musste mir innerlich gestehen, dass ich solch ein hochwertiges Kleidungsstück noch nie in den Händen gehalten hatte. Nicht einmal unsere Kleidung als Zofen wurde aus solch einem Material und mit solch einer Sorgfalt hergestellt. Somit warf auch ich mir diesem Mantel über, ehe sich Althea noch ein paar dicke Stiefel überzog und wir schließlich ihr Schlafgemach verließen. Mit langsamen, bedachten Schritten, damit sich die Königin nicht überanstrengte, führte unser Weg die breite Treppe in der Eingangshalle hinunter, bis zum großen Eingangstor.

Das Schloss auf diese Weise zu verlassen, war mir neu. Meist nutzte ich für etwas frische Luft die Tür zum angrenzenden Garten. Ein anderer Weg war uns als Bedienstete im Normalfall nicht gestattet. Diesmal bewegten wir uns auf diese großen Tore zu, die sich fast schon automatisch, ohne dass die Königin ein Wort von sich geben musste, vor uns öffneten. Wir traten durch die nun offenen Tore hindurch, während ich die skeptischen Blicke der umstehenden Wachen durchaus auf mir spüren konnte. Es war absehbar, dass der König schon bald eine Nachricht zu unserem Ausflug erhalten würde.

Diese Gedanken verflogen schnell, als das letzte Tor geöffnet wurde und ein kalter Windstoß über uns fegte. Ein amüsiertes Kichern aus Althea's Richtung, ließ meine ansteigende Unsicherheit verschwinden. Für sie war solch ein Ausflug wohl ebenfalls nicht alltäglich. „Als Sie sagten, dass es schneit, ahnte ich bereits, dass es kalt ist. Jedoch nicht, dass es so kalt ist." Hörte ich Althea lachen, ehe sie sich für einen Moment in meine Richtung drehte. Ein breites Lächeln zierte ihre Lippen und ihr gesamter Gesichtsausdruck strahlte nichts als Freude aus.

„Möchten Sie lieber wieder hineingehen, wenn es.." „Oh nein, Camilla." Unterbrach Sie mich sofort und trat mit vorsichtigen Schritten auf die weiße Schneefläche, die sich auf dem Boden außerhalb des Schlosses gebildet hatte, soweit ich blicken konnte. "In dieser Kälte werde ich sicherlich nicht verkümmern." Der Schnee gab knirschend unter ihren Schritten nach, was sie erneut zum Lachen brachte. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie lange sie dieses Schloss nicht mehr verlassen hatte. Die Tatsache, dass sie sich über solch eine Kleinigkeit auf diese Weise freute, ließ mich erahnen, dass seitdem eine sehr lange Zeit vergangen sein musste.

Wir entfernten uns immer weiter vom Schloss, während ihre Stiefel und meine halbhohen Absatzschuhe Spuren im Schnee hinter uns zurückließen. Unsere Spuren führten am See entlang, wobei uns die Stille des hereinbrechenden Winters umgab. Gelegentlich war ein freudiges Lachen von Althea zu hören, wenn sie etwas Sonderbares in dieser regelrecht verzauberten Winterwelt entdeckte. Bereits nach wenigen Minuten schien sie sich nicht mehr so steif und langsam zu bewegen wie zuvor, trotz der Kälte um uns herum, sondern lief mit freudigem Strahlen in der Umgebung umher, um sich jeden kleinsten Winkel genauer anzusehen. Als ich dabei einen kurzen Blick zurück zum Schloss warf, traf mich etwas Kaltes an meiner Schulter, was mich kurz zusammenschrecken ließ. „Entschuldigen Sie, Camilla. Ich hatte nicht vor, Sie zu treffen." Ich drehte mich augenblicklich zu Althea um und begann zu lachen, als ich einen weiteren Schneeball entdeckte, der sich in ihrer Hand befand.

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt