Was wirklich geschah

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Nachdem Keylam gegangen war, widmete auch ich mich wieder meiner Arbeit. Ich setzte mich in Bewegung und betrat schließlich die Eingangshalle, ehe ich die Treppe hinauf in das obere Stockwerk lief. Die Sonne schien nun bereits etwas heller durch die vereinzelten Fenster, in die Eingangshalle hinein. Dieses helle, noch ein wenig goldene Licht, bereitete mir ein wohliges Gefühl der Zufriedenheit. Bald würde der Frühling hereinbrechen und ich hätte die Möglichkeit, eine längere Zeit außerhalb des Schlosses zu verbringen.

Die Gänge waren leer. Auch Wachen konnte ich keine entdecken, ich wusste aber, dass sie da waren. Sie verstanden ihren Auftrag sehr gut, sich so lange im Hintergrund zu halten, bis deren Anwesenheit benötigt wurde. Mein Weg führte mich an dem Schlafgemach von Phileas, sowie an dem von Kiyan vorbei. Weder begegnete ich ihnen auf diesem Weg, noch konnte ich von dort irgendein Geräusch vernehmen, dass darauf hindeutete, dass sie sich darin aufhielten. So war es bereits in den vergangenen Tagen gewesen. Es hatte sich nichts geändert.

Vor der Tür zum Schlafgemach der Königin blieb ich schließlich stehen und klopfte leise. Aus dem Inneren folgte jedoch keine Reaktion, weshalb ich erst einen Moment unsicher wartete und dann beschloss, unaufgefordert durch die Tür zu treten. Im Raum selbst war es dunkel, so wie es jeden Morgen der Fall war. Womöglich schlief sie noch. Also schloss ich nach dem Betreten des Raumes, wieder leise die Tür hinter mir, um sie nicht direkt aufzuwecken. Der König würde es ihr hoffentlich nachsehen, wenn sie etwas später zum Essen hinunter kommen würde.

Mit leisen Schritten wagte ich mich in die Richtung der Vorhänge und zog diese ein wenig zur Seite, um vereinzelt ein paar dieser freundlichen Sonnenstrahlen in den Raum hineinzulassen. Während ich am Fenster stand, konnte ich bereits die sanfte Wärme in diesen Strahlen spüren. Ich vermisste diese warmen Sommertage, in denen ich stundenlang draußen umherwandern konnte. In den warmen Jahreszeiten gab es so viel zu entdecken. Es bereitete mir jedes Jahr große Vorfreude, sobald der Winter sich langsam verabschiedete. Eine Weile würde es noch dauern. Draußen war es sicherlich noch bitterkalt, trotz der langsam wärmer werdenden Sonnenstrahlen. Auch die dünne Schneeschicht der letzten Wochen war noch nicht an allen Stellen gänzlich getaut.

„Ist es nicht ein wenig zu früh, um mich aus dem Schlaf zu reißen?" hörte ich plötzlich eine sanfte Frauenstimme hinter mir, die zu meiner Erleichterung einen amüsierten Unterton beinhielt. Daher drehte ich mich zu der Königin um und trat in dem nun etwas helleren aber noch immer dämmrigen Licht zu ihr ans Bett. „Wenn ich mich nicht täusche, sind Sie bedauerlicherweise ein wenig zu spät dran. Die Sonne scheint bereits." Erklärte ich ihr, woraufhin sie mich ein wenig verwundert anblickte. „Die Sonne?" Ich nickte bestätigend, was die Königin dazu veranlasste, sich in dem Bett aufzusetzen. „Sicherlich haben wir noch einen Augenblick.. Ich würde mir das gerne ansehen."

Ein wenig irritiert aber dennoch erleichtert, dass sie noch immer den Willen hatte, aufzustehen, half ich ihr schließlich dabei, das Bett zu verlassen. Sie wurde mit jedem Tag schwächer und sie wusste das. Niemand von uns konnte sagen, wie viel Zeit ihr noch bleiben würde. Auch der Arzt, der vor einer Weile vorbeigekommen war und nach ihr gesehen hatte, bestätigte unsere Vermutung. Den nächsten Winter würde sie wohl nicht überleben. Den Weg bis zum Fenster konnte sie alleine bewältigen. In dieser Zeit griff ich nach dem Morgenmantel, der über einem der Sessel lag und folgte ihr anschließend zum Fenster, wo sie stehen geblieben war.

Ihr Blick war nach draußen gerichtet, wanderte über die Aussicht, als würde sie jedes einzelne Detail davon genau untersuchen wollen. In dem leichten Sonnenlicht was dabei auf sie fiel, erkannte ich erst, wie sehr sie sich in den vergangenen Tagen verändert hatte. Ihr Gesicht war ein wenig eingefallen und zeigte nun deutliche, tiefer gehende Fältchen, die in dieser Ausprägung vorher nicht vorhanden waren. Dass sie schwächer wurde, sah man ihr mittlerweile auch körperlich an. Ich bemühte mich allerdings, ihr dies nicht vor Augen zu führen. „Seit Tagen war es stets bewölkt. Es ist schön, wieder ein wenig Licht sehen zu können."

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt