Unklarer Verstand

326 23 0
                                    

Als ich in der darauffolgenden Nacht die Augen aufschlug und in die Dunkelheit um mich herum blickte, überkam mich augenblicklich ein Gefühl von Unbehagen. Durch die Fenster konnte ich ansatzweise den mit Sternen bedeckten Himmel erkennen, jedoch konnte mich dieser Anblick nicht zum Weiterschlafen verführen. Ich setzte mich langsam in dem Bett auf und spürte ein unangenehmes Ziehen in meinem Bauch. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass die Wirkung des Tees nachgelassen hatte.

Trotz der aufkommenden Schmerzen, schob ich mich aus dem Bett und tappte mit nackten Füßen durch den Raum, bis ich an Kiyans Schreibtisch ankam, über dessen Stuhllehne sein schwarzer Mantel lag. Ich fror ein wenig in diesem dünnen Nachtkleid und ich wollte nur ungerne die Kleidung aus seinem Schrank nutzen. Dies würde womöglich ein falsches Bild verdeutlichen. Schnell warf ich mir Kiyans Mantel über die Schultern und trat schließlich zu einem der Fenster, welche zum Garten ausgerichtet waren.

Außerhalb des Schlosses konnte ich keine einzige Lichtquelle entdecken. Lediglich der hell leuchtende Mond, ließ seinen silbernen Schein auf den Garten und die umliegende Gegend fallen. Ich hätte mich bereits kurz darauf vom Fenster abgewandt, hätte ich nicht eine Bewegung innerhalb des Gartens wahrgenommen, welche mich in meiner Bewegung stoppte. Fokussiert auf diese Bewegung erwartete ich, dass ein Tier hinter den Büchen hervorkommen würde. Vielleicht ein Reh, welches sich aus dem Wald in der Nähe verirrt haben musste.

Stattdessen jedoch, erkannte ich die beiden Prinzen, welche langsam durch den Garten wanderten und sich über etwas zu unterhalten schienen. Ich wusste nicht, wie spät es war, doch es konnte nur mitten in der Nacht sein. Warum waren sie noch wach? Ich beschloss, sie einen Augenblick zu beobachten, ehe sie aus meinem Blickfeld verschwinden würden. Doch die Brüder blieben stehen und wandten sich einander zu. Kiyan stand mit dem Rücken in meine Richtung, weshalb ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Phileas Gesicht hingegen, wurde durch den Mondschein ein wenig beleuchtet.

Seine Lippen bewegten sich stumm, ohne dass ich hören konnte, was er sagte. Schließlich folgte ein entschlossenes Kopfschütteln seinerseits. Je länger ich die beiden dort beobachtete, desto genauer konnte ich sie in der Dunkelheit erkennen. Phileas Gesichtsausdruck verfinsterte sich plötzlich, nachdem Kiyan einen Moment das Wort übernommen haben musste. Der jüngere Bruder trat ein wenig näher zum Älteren und tippte ihm beinahe drohend gegen die Brust. Ich hatte mich womöglich geirrt. Die Prinzen führten nicht lediglich eine einfache Unterhaltung. Dass sie eine eindeutige Meinungsverschiedenheit zu haben schienen, war unverkennbar.

Ein Schauer lief mir über den Rücken, als Phileas seinen Bruder plötzlich von sich wegstieß. Kiyan fing sein Gleichgewicht jedoch schnell wieder und schüttelte den Kopf. Was auch immer Kiyan zu seinem Bruder gesagt haben mochte, es schien ihm ganz und gar nicht zu gefallen. Ich zog den schwarzen Mantel ein wenig enger um mich, als ein Frösteln meinen Körper ergriff. Sprachen sie über den Tod des Königs? Das würde erklären, warum Phileas sich angegriffen fühlte. Der jüngere Prinz sprach weiter und ich hielt den Atem an, in der Hoffnung, seine Worte durch das geschlossene Fenster zu verstehen. Doch nur die vollkommene Stille umgab mich.

Ich schnappte hörbar nach Luft, als Kiyan aus dem Nichts zum Schlag ausholte und seinen Bruder mit der Faust ins Gesicht schlug. Auch dieser taumelte nun zurück, fing sich jedoch einen kurzen Augenblick später wieder. Mein Puls stieg rasant, als ich dies mit ansah. Dass Kiyan sich nicht immer unter Kontrolle halten konnte, war mir durchaus bewusst, doch dass er selbst bei seinem Bruder solch ein Verhalten zeigte, löste Angst in mir aus. Doch keine Angst um mich, sondern um Kiyan. Phileas musste etwas gesagt haben, was seinen Bruder mehr als alles andere verletzt hatte. Anders konnte ich mir sein Verhalten nicht erklären.

Phileas hielt sich seine Hand an die Nase, als er sich wieder seinem Bruder zuwandte. Mit einem gewissen Maß an Abstand zu ihm, formulierte er noch ein paar wenige Worte, ehe er sich in Bewegung setzte und kurz darauf aus dem Garten und somit aus meinem Blickfeld verschwand. Ich verspürte den Drang, loszurennen und Phileas entgegenzulaufen. Zwischen ihnen schien etwas gewaltig schief zu laufen und ich hatte das Bedürfnis, dies klären zu müssen. Stattdessen blieb ich wie angewurzelt an dem Fenster stehen und beobachtete, wie Kiyan nun mit regelrecht rastlosen Schritten durch den Garten wanderte.

Gelegentlich fuhr er sich durch seine dunkelbraunen, in der Dunkelheit schon schwarz wirkenden Haare und es war unverkennbar, dass er sehr aufgebracht sein musste. Gerade als ich dachte, er würde sich langsam wieder beruhigen, näherte er sich der Fassade des Schlosses und schlug mit der blanken Faust darauf ein. Mit jedem Schlag den er darauf setzte, zuckte ich immer stärker zusammen. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Mein wie wild schlagendes Herz, trieb das Adrenalin so stark durch meinen Körper, dass ich es nun doch schaffte, mich von meiner Position am Fenster zu lösen.

Ich musste zu ihm. Das war der einzige Gedanke der in mir aufkam, als ich mich mit schnellen Schritten der Tür des Zimmers näherte. Warum ich annahm, ihn beruhigen zu können, war mir unerklärlich. Ich erinnerte mich an Phileas Worte, die er vor einer ganzen Weile an mich gerichtet hatte. Er war der Meinung, dass ich ihm helfen könnte. Womöglich war dies der Grund, warum ich nun mit einer schnellen Bewegung die Tür aufriss und in den Gang hinauslief. Dem Schmerz, der daraufhin in meinem Inneren entstand, schenkte ich keine Beachtung.

Weit kam ich nicht, als sich zwei Arme um meinen Körper schlangen und mich vom Weitergehen abhielten. Panik ergriff mich, als das Abbild des Königs vor meinem inneren Auge erschien. Windend versuchte ich mich, aus dem unbarmherzigen Griff dieser Arme zu befreien, doch die Person, welche mich zurückhielt, war deutlich stärker als ich. Zumal sich mein geschwächter Körper schon bald nicht mehr zur Wehr setzte. „Es ist alles in Ordnung, Cami." Hörte ich eine sanfte Stimme in der Nähe meines Ohres und eine Gänsehaut erfasste mich.

„Lass mich los, Jurian. Ich muss.." fing ich an, regelrecht außer Atem, nach meinem anstrengenden Kampf gegen die Kraft in seinen Armen. „Du musst zurück ins Bett, vollkommen richtig." Beendete er meinen Satz und nahm mir somit die Worte aus dem Mund. Das hatte ich nicht sagen wollen, doch ich kam nicht dazu, ihm eine verständliche Erklärung für mein Verhalten zu geben. Tränen traten mir in die Augen, als ich erneut versuchte, mich aus seinem Griff zu befreien. Jedoch ohne Erfolg. Warum hielt er mich zurück?

„Nein, ich kann nicht.. ich kann ihn nicht.." meine Stimme überschlug sich förmlich, als ich zu erklären versuchte, warum er mich unbedingt loslassen musste. Daraufhin verstärkte sich sein Griff um mich jedoch umso mehr, war mir letztendlich jede Möglichkeit nahm, mich zu bewegen. „Es ist alles in Ordnung, Cami." wiederholte Jurian leise, was meine Selbstkontrolle schließlich einstürzen ließ. Tränen strömten mir über die Wangen und Schluchzen überkam mich. Wie konnte er so etwas nur sagen? Es war rein gar nichts in Ordnung.

Ich konnte nicht sehen, was Kiyan in diesem Augenblick tat. Ob er noch immer gedankenlos gegen die Fassade des Schlosses schlug. Dieser Anblick hatte sich in meine Gedanken eingeprägt, wie ein lästiges Wespennest. Ich wollte glauben, dass Jurian recht hatte. Damit, dass alles in Ordnung war. Kiyans Anblick dort unten im Garten, hatte jedoch das vollkommene Gegenteil davon ausgestrahlt. Nach all den Dingen, die ich über ihn und seine Vergangenheit erfahren hatte, zerriss mich die Erinnerung an diesen Anblick beinahe.

„Bitte.." brachte ich nur noch mühselig unter Tränen hervor und war sogar ein wenig froh darüber, dass Jurian mich festhielt. Nur, da ich das Gefühl hatte, dass meine Beine mich nicht mehr würden tragen können, wenn er mich nun losließ. Meine gesamte Kraft war aus meinem Körper gewichen. Ich fühlte mich tonnenschwer, als die Welle an Adrenalin langsam wieder versiegte. „Ich muss zu Kiyan, Juri.. es geht ihm nicht gut." Brachte ich schließlich über meine Lippen, sobald das Schluchzen nachließ und ich wieder etwas ruhiger atmete.

Jurians Arme lockerten sich ein wenig, ließen mich allerdings nicht vollständig los. Dies gab mir jedoch die Möglichkeit, mich zu ihm umzudrehen. Seine braunen Augen blickten mit einem besorgten Ausdruck zu mir hinunter. Er schwieg, während er mich regelrecht zu analysieren schien. „Du musst einen Alptraum gehabt haben. Amalia hat uns bereits vorgewarnt, dass dies vorkommen kann." „Das war kein Alptraum!" protestierte ich und befreite mich mit einer ruckartigen Bewegungen aus seinen Armen.

„Ich habe ihn gesehen. Er war mit Phileas im Garten!" versuchte ich ihm zu erklären, da ich nicht annahm, dass er dies von dieser Position im Gang hatte sehen können. Was machte er überhaupt hier? Er sollte genauso in tiefem Schlaf versunken sein, wie die Prinzen es hätten tun müssen. „Dein Verstand spielt verrückt." Jurian schüttelte langsam den Kopf und wollte nach meiner Hand greifen, doch ich wich vor ihm zurück. Warum sagte er so etwas? Ich wusste ganz genau, was ich gesehen hatte. Warum glaubte er mir nicht?

Die ZofeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt